Preßnitztalbahn-Meilensteine
Teil 9: Der Lokschuppen wird zur Heimatbasis
Nur wenige Monate nach dem offiziellen Abschluss der Abrissarbeiten an der Schmalspurbahn Wolkenstein – Jöhstadt begannen im Herbst 1989 erste zaghafte Erhaltungsarbeiten einiger Eisenbahn- und Heimatfreunde um die Brüder Ralph und Detlef Böttrich am verbliebenen Restgleis- und Wagenbestand in Großrückerswalde. Mehrere Arbeitseinsätze folgten Anfang 1990, bei denen die Mitglieder der damals im Kulturbund der DDR agierenden Interessengemeinschaft Preßnitztalbahn Un-kraut beseitigten, das Schotterbett reinigten sowie an den beiden Schmalspurwagen 970-628 und 974-331 punktuell Rostschutz auftrugen.
Nachdem im Sommer 1989 der Gleisrückbau in Großrückerswalde geendet hatte, ging der Blick bereits frühzeitig über diese letzte mit Gleisen versehene frühere Station der Schmalspurbahn hinaus. Die Idee einer Museumsbahn zwischen Jöhstadt und Schmalzugrube als erster Schritt für den weiteren Wiederaufbau der Strecke war schnell geboren, eine Handvoll Eisenbahnfreunde wurde mit Briefen, Eingaben, Beschwerden gegenüber den Gebietskörperschaften, den Kreisverwaltungen in Annaberg und Marienberg und anderen staatlichen Stellen aktiv. Der Fokus der Argumente lag dabei vor allem auf dem Erhalt und möglicherweise durchführbaren Instandsetzungen an den früheren Anlagen der Schmalspurbahn zwischen Wolkenstein und Jöhstadt. In seinem Antwortschreiben vom 14. Februar 1990 äußerte sich der damalige Jöhstädter Bürgermeister Weiser: „… Zum ehemaligen Lokschuppen in Jöhstadt folgender Stand: Der Rechtsträger des Gebäudes ist der Rat der Stadt. Der bauliche Zustand ist als schlecht einzuschätzen. Allerdings steht z. Zt. ein Abbruch nicht zur Debatte. Es ist dem Rat der Stadt jedoch in nächster Zeit nicht möglich, für eine Instandsetzung die erforderlichen materiellen und finanziellen Fonds bereitstellen zu können. Wir würden es sehr begrüßen, wenn Interessenten in einer AG sich dieser Sache annehmen würden, um einen weiteren Verfall des Gebäudes zu vermeiden. Initiativen dieser Art wird der Rat jederzeit unterstützen.“ Im Frühsommer 1990 ergab sich nach den ersten Kommunalwahlen, dass mit Günter Baumann ein früherer Befürworter des Erhalts der Schmalspurbahn als neuer Chef in das Jöhstädter Rathaus einzog. Zeitnah darauf gab es erste Gespräche zwischen dem neuen Stadtoberhaupt und Mitgliedern des Vereins, in denen ein prinzipielles Nutzungsrecht des ehemaligen Bahnhofsbereiches ausgesprochen wurde. Ab Mitte Mai 1990 waren damit die ersten Beräumungen von Unrat möglich, der insbesondere aus der zuvor eingestellten Nutzung des Lokschuppens als SERO-Annahmestelle nach 1984 stammte. Bei einer Beratung am 9. Juni 1990 in Jöhstadt mit zahlreichen Bürgermeistern und Vertretern der Kreise Annaberg und Marienberg sowie weiterer staatlicher Stellen, Unternehmen und Einzelpersonen sowie sieben IGP-Mitgliedern zeigte Ralph Böttrich die Vorstellungen der Interessengemeinschaft Preßnitztalbahn zum Wiederaufbau des Teilstückes Schmalzgrube – Jöhstadt der ehemaligen Bahnlinie Wolkenstein – Jöhstadt auf. Das Konzept beinhaltete u. a. auch die Aufforderung an die Anwesenden, das Vorhaben zur Inbetriebnahme dieses Streckenabschnittes zur 100-Jahr-Feier 1992 zu unterstützen. Die teils sehr ambitionierten Anforderungen an die staatlichen Stellen sorgten für gebremste Begeisterung unter den Teilnehmern – Bürgermeister Günter Baumann erneuerte mithin trotz leerer Kassen sein Bekenntnis, dem Verein das Lokschuppengebäude zur Verfügung zu stellen und im Rahmen der Möglichkeiten für Unterstützung zu sorgen. Eine drei Tage später an den Bürgermeister übergebene Liste mit notwendigen Bauaufgaben, die möglichst kurzfristig in den folgenden zwei Wochen zu erledigen seien, kennzeichnete das durchaus hohe Selbstbewusstsein und das Erwartungsdenken der agierenden Vereinsmitglieder. Auch wenn der Lokschuppen noch für geraume Zeit den Charme einer Ruine tragen sollte – die Außenfenster hatten einen großen Teil der Glasfüllung verloren, das Dach war an verschiedenen Stellen undicht, das Mauerwerk und der Innenputz durch jahrelang stehende Nässe aufgrund Beschädigungen der Entwässerungsleitungen einen trostlosen Eindruck hinterließ – hier schlug nun das Herz des Vereins. Der frühere Aufenthaltsraum wurde zur „Pranzbude“ ( * ), zum Platz für die gemeinsamen Mahlzeiten, Zentrale für die Aktivitätenplanungen und Drehscheibe der Vereinsorganisation. Mehrere Arbeitseinsätze in den Sommermonaten, bei denen mit Unterstützung einer Planierraupe der NVA aus Marienberg der herumliegende Bauschutt und Müll zu großen Haufen aufgetürmt wurde und die ersten rund 750 m der Strecke in Richtung Schmalzgrube mit der Raupe altschwellenfrei geschoben wurden, boten auch genug Raum für viele „Strategieüberlegungen“. Trotz beschwerlicher Fortschritte und schier endloser Mühen, das Lokschuppengelände etwas ansehnlicher zu gestalten und zugleich weiterhin etwas in Großrückerswalde zu bewirken, kursierten bald die hochtrabendsten Ziele vom Gesamtwiederaufbau der Strecke. Mit der eigenen Heimatbasis im Rücken begannen Träumereien – aber auch die Erkenntnis zu wachsen, dass noch viel harte Arbeit notwendig werden würde, den Lokschuppen zur Ausgangsbasis der Museumsbahn machen zu können. Das Ziel eines Museumsbahnbetriebes ab 1992 erschien bald kaum noch realisierbar. Dank Unterstützung der Stadtverwaltung gelang es aber bis zum Spätherbst, die äußere Hülle des Heizhauses abzudichten, die Seitenfenster der Schuppenstände wieder zu verglasen und im Anbau neue Fenster einzusetzen. Zur Jahreshauptversammlung im Oktober 1990 erklärte der an diesem Tag neu gewählte Vorstand die Sanierung des Lokschuppens zur Chefsache. Ab Frühjahr 1991 waren die Rekonstruktion der Gleise und Arbeitsgruben, die Erneuerung des Mauerwerkes sowie die Ausbesserung bzw. Erneuerung des Daches wesentliche Schwerpunkte der nunmehr fast in zweiwöchentlicher Folge stattfindenden Arbeitswochenenden. Mitte 1991 begannen dann die Arbeiten zur Erneuerung des Außenkanals – der alte war wegen Baufälligkeit nicht mehr nutzbar. Es gehörte natürlich auch zur Kategorie „Erfahrungen sammeln“, dass manche Arbeiten wiederholt werden mussten – besonders wenn falsches Material zum Einsatz kam oder Höhen nicht richtig beachtet wurden. So wurde der Kanal des Schuppenstandes 1 Anfang 1991 und Anfang 1992 noch einmal neu gebaut – beim ersten Mal hatten Vereinsmitglieder ohne Berücksichtigung der notwendigen Schienenhöhe drauflos gemauert. Unabhängig davon präsentierte sich der Schuppen im Herbst 1991 im Inneren wieder frisch verputzt und geweißt, die neue Holzverschalung des Daches schimmerte noch hell. Der Aufenthalts- und der Duschraum wurden neugestaltet und boten fortan genug Ausstattung, um zum regelmäßigen Mittelpunkt für die Vereinsmitglieder zu werden. Als am 19. Januar 1992 mit der Lok 99 1568-7 die erste „Stammbewohnerin“ des Heizhauses zurückkehrte, war die Heimatbasis des Vereins fortan auch dauerhaft besetzt.
13.08.2018
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