Preßnitztalbahn-Meilensteine
Teil 8: November 1991 – sieben Weichen auf einen Streich
Das Jahr 1991 war in Jöhstadt für die Aktiven vor Ort noch durch das Vorhandensein von viel „Nichts“ und „Lücke“ gezeichnet, wo eigentlich Eisenbahn sein sollte: keine nennenswerten Gleise und Weichen auf dem Bahnhof Jöhstadt (nur die Weiche aus Kretscham-Rothensehma, die heutige W7 in der Bauform Va, war schon vorhanden) - und keine Loks, aber noch viel Gestaltungsplatz. Gepaart mit dem unbändigen Bestreben der Aktiven, daraus wieder eine Eisenbahn zu machen, lief die Suche nach diversem Material zum Ausfüllen der Lücken für die Gleisanlagen sowie des Fahrzeugparks auf Hochtouren und an verschiedenen Stellen parallel. Einige Ereignisse dieses Jahres waren schon Gegenstand früherer Beiträge in dieser Serie. Natürlich entstanden dabei Kontakte zu den bestehenden Schmalspurbahnen und nicht zuletzt auch zu noch existenten Betrieben mit Güterverkehr, gleichwohl lief die Suche auch entlang bereits stillgelegter Strecken.
1. Kaolinwerk Kemmlitz
Mit dem Kaolinwerk in Kemmlitz beim „Wilden Robert“ entstand ein Kontakt auf der Suche nach einer Diesellok – im Sommer 1991 hatten sich unter den Eisenbahnern in Mügeln die Gerüchte verdichtet, dass der Bahntransport von Rohkaolin bald eingestellt werden könne. Doch zum Zeitpunkt der Nachfrage wollte man noch keine der vorhandenen V10C abgeben. Dafür gab es aber den Hinweis auf einen seit mehreren Jahren brachliegenden Betriebsteil mit einer Anschlussbahn, deren Weichen noch herumlägen und nach Verständnis der neuen Rechtslage baldigst beseitigt werden müssten. Schnell stand fest: Mit diesen Weichen könnte kurzfristig der Bahnhofsaufbau in Jöhstadt möglich werden und diese Gelegenheit sollte nicht ungenutzt verstreichen. Der betreffende Betriebsteil, das Werk III, lag zwischen Kemmlitz und Börtewitz an der 6,4 km langen Strecke Nebitzschen – Kroptewitz (NK-Linie). Nachdem in dem Gebiet zunächst bis 1957 auch untertage Kaolin abgebaut worden war, dehnte sich der Kaolintagebau „Karl Marx“ nahe der Werksanlagen zunehmend aus, so dass die Strecke der Schmalspurbahn in den Jahren 1960/61 auf 300 m Länge zwischen Kemmlitz und Börtewitz um den heute in Karten als „Silbersee“ bezeichneten Absetzteich verlegt wurde. Das Werk III war danach nur noch über die Anschlussweiche am km 3,43 der NK-Linie aus Richtung Kroptewitz angeschlossen. Nach der Stilllegung des Streckenabschnittes Kemmlitz – Kroptewitz Ende August 1967 wurden die Gleise hinter der Anschlussweiche bis 1969 abgebaut. Zur Bedienung des Anschlusses befuhren die Züge das ehemalige Streckengleis als Spitzkehre. Nach der Einstellung des Anschlussbetriebes zum Werk III im Jahr 1984 demontierte die Reichsbahn das nun obsolet gewordene frühere Streckengleis bis zum Streckenkilometer 2,97 kurz hinter dem Abzweig zum Werk I am Bahnhof Kemmlitz. Im Sommer 1991 legte das Kaolinwerk die völlig veralteten und verschlissenen Anlagen des Werkes III endgültig still.
2. Sechs Weichen zum Bergen
Für das verlängerte Wochenende zwischen dem Reformationsfeiertag, am Donnerstag, den 31. Oktober 1991, und dem Sonnabend, den 2. November, wurde nun der erste mehrtägige auswärtige Bergungseinsatz des jungen Vereins angesetzt – per mündlicher und telefonischer Abstimmung wurden in den Wochen zuvor insgesamt zehn Vereinsmitglieder zum gemeinsamen Hobbyeinsatz zusammengetrommelt. Der S4000 wurde dafür in Jöhstadt mit allerlei Werkzeug wie Winden, Hacken, Brennschneider sowie Seilen ausgestattet und in Dahlen, in der nächstgelegenen Jugendherberge, das Übernachtungsquartier ab 30. Oktober für drei Nächte aufgeschlagen. Dafür mussten alle 10 Teilnehmer kurzerhandeinen Mitgliedsausweis des Jugendherbergswerkes erwerben. Mit einer heute bei Oldtimertreffen sicherlich wohlbestaunten Flottille aus Mopeds, Pkw und S4000 ging es dann jeweils zur 25 Kilometer entfernten Bergungsstelle nach Kemmlitz. Die zum Bergungszeitraum bereits rund sieben Jahre nicht mehr genutzte Anschlussbahn war erwartungsgemäß gut zugewachsen, aber auch zuvor schienen Unterhaltungsarbeiten an den Gleisanlagen selten gewesen zu sein. Es waren insgesamt fünf linke und eine rechte S33-Weichen in Stahlschwellenausführung vorhanden, vier direkt aufeinanderfolgende Linksweichen bildeten dabei eine regelrechte Weichenstraße in der Anbindung zum früheren Streckengleis. Die beiden weiteren Weichen sorgten für die Zusammenführung der drei Verlade- und Rangiergleise, während ein Gleis stumpf ins Werksgelände hineinführte. Um die Weichen letztendlich per Kran verladen und per Tieflader transportieren zu können, mussten sie komplett freigelegt, d. h. aus dem Erd-Schotter-Gemisch herausgewunden und voneinander sowie jeweils an den Schraubstellen der Weichenhauptteile demontiert werden. Schraubenschlüssel mit Aufsteckverlängerung erwiesen sich schnell als machtlos, zum Schluss war die Lösung für die Schraubverbindungen fast überall der Schneidbrenner. Mit Spitzhacken und Spaten wurden Löcher für die Winden gegraben, um die Weichen wieder ans Tageslicht zu bekommen. Danach musste die Erde von jeder Schwelle einzeln abgebrochen oder geschaufelt werden. Nach zwei Tagen Grabungsarbeiten lagen die Weichen am Abend des 1. Novembers einzeln und frei da, so dass am folgenden Sonnabend die Verladung mittels Kran und Transport per Tieflader zum Betriebsbahnhof Kemmlitz erfolgen konnte. Da zu dieser Zeit noch regelmäßiger Schienengüterverkehr vom Kaolinwerk (Werkteile I und II) über die Döllnitzbahn erfolgte, konnte die Verladung auf dem Rangier- und Zugbildungsgleis in Kemmlitz nur am betriebsfreien Wochenende erfolgen. Mit mehreren Transporten vom Anschlussgleis am Werk III zur Umladestelle am Bahnhof mit mehrfachem Auf- und Abbauen des Kranes wurden alle sechs Weichen auf drei aufgebockte Niederbordwagen verladen. Dazwischen sorgte noch ein Malheur für zeitliche Verzögerung, als der Tieflader in die abgedeckte und überwachsene Gleiswaagengrube einbrach. Mit anstrengendem Auffüllen der Grube mit Altschwellen und unter Nutzung von Vorspanndiensten des Vereins-S4000 konnte der Sattelschlepper dann wieder freigezogen werden. Natürlich wurde von den Teilnehmern des Bergekommandos an diesen Tagen auch die Gelegenheit genutzt, die Mügelner Gegend nach weiteren Fundstücken abzusuchen. Einige Wagenkastenstandorte waren zu dieser Zeit noch wenig bekannt und manche Ecken der früheren LPG- und BHG-Anlagen der Umgebung bargen noch diverse Relikte und Ersatzteilspender. Doch das ist wohl Stoff für eine andere Geschichte.
3. Seit 23 Jahren ungenutzt
Von wem damals der entscheidende Hinweis kam, ließ sich nicht mehr aufklären – da die Suche nach altbrauchbarem Material durch Vereinsmitglieder in dieser Zeit sachsenweit erfolgte. Im Herbst 1991 tauchte in den Gesprächen in Jöhstadt über ein neuerliches „Fundstück“ der Name „Metzdorf“ auf. Dabei handelt es sich um ein 1922 nach Hohenfichte eingemeindetes Dorf an der 1968 stillgelegten Schmalspurbahn Hetzdorf – Eppendorf (– Großwaltersdorf), deren Gleise bis 1974 vermeintlich komplett abgebaut worden waren. Doch im Herbst 1991 lag die Anschlussweiche zur „Parkettfabrik Metzdorf Herbert Schwarz“ noch immer auf dem Bahndamm der früheren Strecke. Bis zur Stilllegung des Betriebes, der nach der Verstaatlichung in der DDR als „VEB Parkett-Holzwaren“ geführt wurde, produzierte die 1878 aus einer Tischlerei hervorgegangene Fabrik Parkettfußböden aller Art. Ihr Inhaber in den 1880er/1890er Jahren, Johann Lang, gehörte zu den größten Befürwortern des Baus der Eisenbahn durch das Lößnitztal. Sein Werk erhielt bei Inbetriebnahme der Schmalspurbahn im November 1893 ein Anschlussgleis. Da auch schon bei der Deutschen Reichsbahn die Regel galt, dass die Anschlussweiche dem Anschließer gehört, war zwar die Strecke von der DR komplett abgebaut worden, aber die Weiche letztlich liegengeblieben. 23 Jahre sollte der Dornröschenschlaf dauern, bis sie zur Abholung „fällig wurde“. Doch die im Oktober 1991 vorgesehene Kranverladung und der anschließende Straßentransport der S33-Weiche nach Jöhstadt scheiterte zunächst, weil die vorgesehene Transportfirma sich weigerte, mit ihrem Tieflader in das Gelände zu fahren. Ein neuerlicher Anlauf wurde dann zusammen mit der am 16. November vorgesehenen Überführung der Weichen aus Kemmlitz eingeplant. Dazu wurde am Vortag des Transportes die Weiche der früheren Parkettfabrik in Metzdorf geborgen und bildete für den Transporttag schon mal die erste Fracht. Nach zwei Wochen Bahnfahrt von Kemmlitz nach Annaberg-Buchholz oberer Bahnhof traf die Weichenfracht per Straßentransport dann in Jöhstadt ein.
4. Vier aus Sieben
Am 16. November 1991 kamen per Straßentransport damit insgesamt sieben S33-Stahlschwellenweichen nach Jöhstadt, deren Schienenprofil zumeist Markierungen aus dem Ende des 19. Jahrhunderts aufwiesen. Vier der sieben Weichen haben tatsächlich Verwendung bei der Preßnitztalbahn gefunden. In Jöhstadt wurde im Mai 1992 zuerst die Weichenposition am Außenkanal (Weiche 6) mit einer in Kemmlitz geborgenen Gleisverbindungseinrichtung bestückt. Am 4. November 2017 endete diese in der Schrottverwertung, als sie verschleißbedingt durch eine neue Weiche ersetzt werden musste. Im Sommer 1992 folgte der Einbau der Gleisverbindung an der Wendeschleife (Weiche 5), welches die ursprüngliche aus Metzdorf stammende Rechtsweiche war. Sie ist per Stand Dezember 2017 die einzige noch verbliebene Weiche aus den 1991er Bergungsaktionen. Als im Oktober 1992 in Schlössel der Bahnübergang in die Staatsstraße eingebaut wurde, kam direkt anschließend die zweite Weiche (W4) aus der Kemmlitzer Lieferung zur Verwendung. Diese wurde aber rund zehn Jahre später durch eine gebrauchte S49-Weiche ersetzt. Mit dem Fertigbau des Bahnhofs Schlössel war der Horizont der S33-Weichenverwendung aber schon überschritten, hier konnte auf altbrauchbare S49-Weichen zurückgegriffen werden. Die vierte S33-Weiche bekam im April 1993 als damalige Weiche 3 im Bahnhof Jöhstadt Netzanschluss ohne wirkliche Bedeutung, da sie mehr als „Drohung“ zum unvollendeten Stand des Bahnhofs als Abstellgleis für zwei Fahrzeuge diente. Zwischen Ostern und Pfingsten 2015 fiel sie dann dem Neubau des Umfahrungsgleises zum Opfer. Auch hier war die Schrottverwertung das finale Ziel.
5. Verweise
(1) Für ausführlichere Informationen über den Kaolinabbau rund um Kemmlitz ist das Heft 13 „Die Kaolinlagerstätten des Kemmlitzer Reviers“ in der Heftreihe „Bergbau in Sachsen“ des Sächsischen Landesamtes für Umwelt und Geologie (LfUG) zu empfehlen. (2) Weitere Daten zur Schmalspurbahn Nebitzschen–Kroptewitz sind auf den Internetseiten „stillgelegt.de“ und „sachsenschiene.net“ zu erhalten. (3) Die Internetseite „stillgelegt.de“ bietet auch eine Bildersammlung von der früheren Schmalspurbahn Hetzdorf – Eppendorf – Großwaltersdorf. Darin ist eine Ansicht enthalten, die die Lage der ehemaligen Anschlussweiche zur Parkettfabrik erkennen lässt. Sollten Ergänzungen oder Korrekturen zum Beschriebenen notwendig sein, freut sich der Autor über entsprechende Rückmeldungen.
11.12.2017
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