Preßnitztalbahn-Meilensteine
Teil 6: 25. & 26. April 1992 – Gleisbau für die neue Preßnitztalbahn beginnt
Eine wesentliche Voraussetzung, um vom Aufbau einer Museumseisenbahn sprechen zu können, ist das Entstehen von Gleisen. Ohne Fahrzeuge machen Gleise wenig Sinn, ohne Gleise braucht man gar nicht erst von einer Eisenbahn zu reden.
Diese Grundweisheit war den aktiv Beteiligten am Aufbauprojekt in Jöhstadt Anfang der 1990er Jahre so ziemlich klar, allein über den Weg dahin bestand noch viel Unklarheit. Am Sonnabend, den 25. April 1992, ging es dann endlich los. Binnen eines Wochenendes lagen vom Lokschuppen beginnend rund 250 m Gleis montiert auf dem Bahndamm. Da es noch keine Verbindung zu den Gleisen vor dem Lokschuppen gab, wurde das neue Streckengleis zum Pfingstfest mit dem Jubiläum „100 Jahre Preßnitztalbahn“ nur von wenigen Besuchern registriert – für die Vereinsmitglieder war dieses Wochenende jedoch von enormer psychologischer Bedeutung. Jetzt konnte man wirklich ernsthaft von einer Museumsbahn im Aufbau sprechen.
Die Anfänge
Bereits im August 1990 wurde der Start des Gleisbaus für den Wiederaufbau der Schmalspurbahn ausgerufen – über die knapp 40 m geraden Schienenstrang vor dem Lokschuppenstand 3 wuchs die Gleisanlage aber dann innerhalb eines Jahres nicht hinaus. Die baulichen Voraussetzungen und fehlendes Gleisbaumaterial ließen zunächst gar keine großen Schritte zu. Erst im Spätherbst 1991 kam die Gleislänge vor dem Lokschuppen schon auf die etwa doppelte Ausdehnung mit einer ersten Weiche. Doch wie viele andere Aktivitäten in den Anfangsjahren folgten die Arbeiten hin zum „richtigen Gleisbau“ durchaus einer notwendigen und logischen Dramaturgie, die erst im Rückblick folgerichtig erscheinen. Im Jahr 1991 konnten diese Abhängigkeiten von vielen Aktiven kaum gesamtheitlich überschaut werden. Bereits im Herbst 1990 hatten Kay Kreisel und einige weitere Vereinsmitglieder erste neuerliche Annäherungsversuche mit der Bahnmeisterei (Bm) Annaberg der Deutschen Reichsbahn gestartet, nachdem übermotivierte Vereinsfreunde im Frühjahr dort noch viel Porzellan zertrümmert hatten, als sie die dortige Leitung in moralische Haftung für den erfolgten Abbau der ehemaligen Schmalspurbahnstrecke Wolkenstein – Jöhstadt und zur Unterstützung für den Wiederaufbau als Museumsbahn drängen wollten. Nichts lag natürlich näher, als die Mittel und Möglichkeiten der Bahnmeisterei tatsächlich für den Aufbau der Museumsbahn zu gewinnen. Das lag allerdings auch zeitweilig in unerreichbarer Ferne, da der Verein bei einem in starke Umbrüche geratenen Staatsunternehmen um Unterstützung für sein Hobbyprojekt warb.
Grundlagenarbeit
In kleinen Schritten wurde ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, kleine Projekte der Zusammenarbeit wurden zwischen Bm Annaberg und IGP zum gegenseitigen Vorteil initiiert – schließlich waren viele Berufseisenbahner doch auch irgendwie zu begeistern, selbst wenn das die meisten gut verbergen konnten. Der Verein stellte mehrfach seine Flexibilität unter Beweis, mit Lastkraftwagen und Mitarbeitern der Bahnmeisterei helfen zu können. Altbrauchbares Material fand dadurch auf günstige Weise den Weg nach Jöhstadt, die Bm sparte sich im Gegenzug Kosten für Entsorgung des Altmaterials und für die Baustellenberäumung. Für Jöhstadt bedeutete dies, dass ab Mai 1991 immer wieder Lkw-Ladungen alter Regelspurschwellen ankamen und zwischenzeitlich hohe Schwellenberge entstanden. Oft zerbröselten angelieferte Altschwellen schon beim ersten Umsortieren, die Quote der verwertbaren und auf Schmalspurmaß kürzbaren Schwellen war mitunter ziemlich schlecht. Viele Wochenenden des Jahres standen das Kürzen und das Neuaufplatten der Schwellen auf der Tagesordnung, um einen ausreichenden Vorrat für den geplanten Gleisbau bis Schlössel zu erarbeiten. Die in den Jahren 1991/92 anstehenden sehr umfangreichen Arbeiten der Bm Annaberg mit Gleisbaufirmen auf der Schmalspurbahn Cranzahl – Oberwiesenthal waren selbstredend ebenfalls „unter starker Beobachtung“ des jungen Vereins. Verschiedentlich ergab sich für die Mitglieder der IG Preßnitztalbahn e. V. die Möglichkeit, die Bm bei mehreren Arbeitseinsätzen durch manuelle Tätigkeiten zu unterstützen – und damit für die Museumsbahn nützliche Gegenleistungen mit der Bm oder Baufirmen abzusprechen. Eine „Win-Win-Situation“ waren die gemeinsamen Aktionen mit der Bahnmeisterei Annaberg immer, auch wenn der finanzielle Vorteil zumeist ausschließlich bei der DR zu finden war. Eine der dabei vereinbarten „preisgünstigen Kompensationen“ sollte sich für den Verein aber später noch als unbezahlbarer Glücksgriff erweisen.
Vorarbeiten für den Gleisbau
Dass zum Gleisbau Schwellen, Schienen und Verbindungsmaterial benötigt werden, erschloss sich jedem schnell. Eine richtige Vorstellung, wie weit ein am Wochenende „produzierter“ Schwellenstapel ausgelegt tatsächlich reichen würde, hatte aber noch niemand. Um 100 Schwellen verlegefertig zu bearbeiten, waren zwei Tage intensiver Arbeit notwendig, und doch reichten diese bei 70 cm Verlegeabstand gerade einmal für 70 m Gleis. Bei 8000 m bis Steinbach oder 23 000 m bis Wolkenstein rechnete mancher im Kopf schon seine eigene Verweilzeit im „Schwellengulag“ aus. Das Planum bis Schlössel (und darüber hinaus) war im Sommer 1990 mit einer Planierraupe der noch existenten NVA der DDR geschoben worden, im September 1991 wurden dann auf den ersten 300 m Schwellen gebraucht erworbene S49-Schienen ausgelegt. Im Juli 1991 fertigten Mitarbeiter des Instituts für Geodäsie und Kartographie der Hochschule für Verkehrswesen „Friedrich List“ aus Dresden für insgesamt 10 000 DM das erste Gleisprojekt für den Bahnhof Jöhstadt und die Strecke bis nach Schlössel, um das Gleis auch nach Plan verlegen zu können. Im Herbst 1991 verstärkte sich das Drängen von Vereinsmitgliedern, nun endlich bald mit der Gleismontage in Richtung Wolkenstein zu beginnen. Doch dafür waren zuvor die Arbeiten im Lokschuppen fertig zu stellen und vor dem Lokschuppenstand 2 sollte noch ein Außenkanal mit Anschluss an einen Ölabscheider errichtet werden. Im Zusammenhang mit den dafür zu verlegenden Rohren und Leitungen, die frostsicher in den Untergrund bei rund 1,80 m Tiefe einzulegen waren, sollte der Lokschuppen auch gleich noch einen notwendigen Neuanschluss für Strom, Wasser und Telefon erhalten. Nach anhaltend winterlicher Witterung bis in den März hinein verwandelten die Vereinsmitglieder Anfang April 1992 das Lokschuppenvorfeld in eine Grabenlandschaft. Jetzt drängte die Zeit, denn mit einer Dampflok im Lokschuppen und mit einem runden Jubiläum Anfang Juni sollte der Auftakt der Geschichte vom Aufbau der Museumsbahn nicht am fehlenden Gleis scheitern.
Der Gleisbau beginnt …
Nun verfügte der Verein zwar über engagierte Vereinsmitglieder mit unterschiedlichsten Ausbildungsrichtungen – Gleisbauer waren jedoch nicht darunter. Um diesen Umstand wissend, hatte Kay Kreisel mit dem ab März 1992 neuen Leiter der Bahnmeisterei Annaberg, Carsten Hunger, eine strategische Absprache getroffen: Während der Verein bei einer Bauaktion auf der Schmalspurbahn Cranzahl – Oberwiesenthal mit Manpower bei unbeliebter Handarbeit aushelfen sollte, würde der Bm-Chef zusammen mit dem damaligen Streckenmeister Enrico Knutti am ersten Gleisbauwochenende des Vereins mit Rat und Anleitung zur Verfügung stehen. Im Kalender wurde der 25. April als passender Termin gefunden – durch den langen Winter mussten daher die anstehenden Tiefbauarbeiten innerhalb von drei Wochen komplett erledigt sein. Rund ein Dutzend Vereinsmitglieder waren den Aufrufen des Vereinsvorstandes zum Gleisbaueinsatz gefolgt und lernten im Schnelldurchlauf an den zwei Wochenendtagen die Grundlagen des Gleisbaus. Voller Elan und mit viel Enthusiasmus legten sie Schwellen aus, hoben Schienen auf die Schwellen und verschraubten alles zum Gleis. Dabei kam ausschließlich gebrauchte Reichsbahn-Technik zum Einsatz. Schienenbohrmaschine, Schienensäge und Schraubmaschine aus den Altbeständen von NVA und Deutscher Reichsbahn zeigten recht schnell ihre Grenzen und behinderten eher ein noch schnelleres talseitiges Vordringen des Gleisendes. Rund 250 m des ersten selbst gebauten Gleises standen in zwei Tagen harter Arbeit nebst unzähliger Blasen an Händen und Quetschungen an Füßen und Beinen auf der Habenseite der Aktiven. Auch wenn ein Teil des Gleises später noch einmal mit Winkelstößen und per Flex geschnittenen Stößen neu montiert wurde – es war für die Mitarbeiter eine wertvolle Erfahrung und eine ungeheure Motivation. Ein Großteil der bei diesem Einsatz beteiligten Mitglieder ist auch heute noch aktiv im Verein. Einen unerwarteten Nebeneffekt mit Langzeitwirkung brachte der Arbeitseinsatz aber auch noch. Denn nach dem vereinbarten einmaligen „Anleitungseinsatz“ gewann der Verein Carsten Hunger für den weiteren Aufbau der Museumsbahngleisanlage über viele Jahre als verantwortlichen Bauleiter, fach- und sachkundigen Mitstreiter sowie als Vereinsmitglied. Erst im Sommer 1992 wurde dann richtig am Streckengleis weitergearbeitet – doch der Anfang war gemacht. An den drei folgenden Wochenenden vor Pfingsten wurden mit den gesammelten Erfahrungen des ersten Einsatzes die Gleise und Weichen vor dem Lokschuppen aufgebaut. Zum Jubiläum „100 Jahre Preßnitztalbahn“ bewies der Verein mit der Dampflok 99 1568-7 und mit den ersten Gleisen, dass er über alles verfügte, was den Namen Museumsbahn rechtfertigt.
Im Gespräch mit Carsten Hunger
Zu einem unvorhergesehenen, aber wertvollen Nebeneffekt des ersten Baueinsatzes entwickelte sich das weitere Engagement des damaligen Bm-Leiters Carsten Hunger in seiner Freizeit als fachliche Stütze für den Aufbau der Museumsbahn. Über viele Jahre stand er als Oberster Bauleiter, einige Jahre auch als Vorstandsmitglied, für einen hohen Qualitätsanspruch beim Aufbau und bei der Unterhaltung der Museumsbahnstrecke ein. Auch heute noch nutzt Carsten Hunger einen Teil seiner berufsbedingt geringen Freizeit, mit Rat und Tat dem Verein bei der Unterhaltung der Strecke zur Seite zu stehen. Für den PK sprach Jörg Müller mit Carsten Hunger:
PK: Wann bist Du erstmalig mit der alten Preßnitztalbahn in Berührung gekommen? Carsten Hunger: Als ich 1985 nach der Dienstzeit bei der NVA auf den Beginn des Studiums wartete, habe ich ein paar Monate bei der Bahnmeisterei Annaberg, meinem Lehrbetrieb als Gleisbauer, gearbeitet. Während des Abrisses der Gleise im oberen Preßnitztal war ich für ein paar Tage mal dabei, um Arbeiten und die Einhaltung der Betra zu beaufsichtigen. Ansonsten war ich in dieser Zeit mit dem Projekt der Umspurung des verbliebenen Schmalspurbahnbetriebes zwischen Schönfeld-Wiesa und der Papierfabrik auf Regelspur beschäftigt …
PK: Und ab wann hast Du etwas vom Neuanfang im Preßnitztal mitbekommen? Carsten Hunger: Im März 1990 war ich mit meinem Studium in Dresden fertig und kam als Technologe zur Bahnmeisterei Annaberg zurück. Über die ersten Gespräche beim Bm-Chef, die mir in Erinnerung geblieben sind, hieß es: „Da waren ein paar Verrückte da, die wollen einen Bahnhof in Jöhstadt neu aufbauen“. Mit den späteren Kontakten zum Verein, vorwiegend mit Kay (Kreisel) und Sven (Oettel), ergab sich in der Folge aber ein viel rationaleres Herangehen.
PK: Was brachte Dich aber dann dazu, als Vorarbeiter für den ersten Gleisbaueinsatz des Vereins nach Jöhstadt zu kommen? Carsten Hunger: Einerseits war es die Absprache mit Kay. Der Einsatz der Vereinsmitglieder zwischen Vierenstraße und Kretscham-Rothensehma brachte uns als DR ja durchaus einen nützlichen Effekt – quasi auf dem kleinen Dienstweg. Aber es war sicherlich auch mit Skepsis verbundene Neugier darauf, was es denn mit diesem Projekt in Jöhstadt wirklich auf sich hatte.
PK: Wie hast Du den Arbeitseinsatz am 25. und 26. April 1992 selber in Erinnerung? Carsten Hunger: Besonders der unglaubliche Einsatz aller Vereinsmitglieder, die regelrecht hungrig darauf waren, alles über den Gleisbau zu lernen und damit so viel wie möglich zu schaffen. Wir mussten teilweise eher bremsen, denn zuviel Ungestümtheit ist beim Gleisbau selten gut für die Gesundheit. Es hat Spaß gemacht.
PK: Was hat dich letztlich dazu bewogen, nach dem vereinbarten Vorarbeitereinsatz hier weiter zu machen? Carsten Hunger: Es war vor allem diese Begeisterung der Jungs und die Tatsache, dass in diesem Verein eine Vielzahl unterschiedlichster Aufgaben und Tätigkeitsfelder möglich waren und nicht alle nur ständig um die Dampfloks herumsprangen. Es war den Mitgliedern klar, dass der Streckenaufbau eine Herausforderung war und ich fand es immer wieder motivierend, wie diese Herausforderung angenommen wurde und ein harter Kern über viele Jahre dem Gleisbau treu geblieben ist. Deshalb bin ich dann auch Vereinsmitglied geworden.
PK: Was siehst Du heute als Herausforderung für den Verein? Carsten Hunger: Man darf nicht vergessen, dass der erste Gleisabschnitt bis Schlössel jetzt schon 25 Jahre alt ist. Teilweise war das altbrauchbar eingebaute Material damals schon deutlich älter. Es muss daher auf absehbare Zeit wieder verstärkt in die Instandhaltung investiert werden. Da steht der Verein – neben dem Aufbau des neuen Bahnhofes Jöhstadt – vor erheblichen Aufgaben.
PK: Vielen Dank Carsten, für Deine langjährige Mitarbeit und für die verschiedenen erhellenden Aspekte der Rückbesinnung auf 25 Jahre Zusammenarbeit.
14.04.2017
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