Eisenbahn-Geschichte
Letzte Fahrt der 86 1049-5 unter Dampf vor 30 Jahren (Oktober 1991)
Manchmal mag man es gar nicht glauben, aber Ende Oktober 2021 jährte es sich inzwischen zum 30. Mal, dass die ehemals Pockauer Dampflok 86 049 (EDV-gerecht: 86 1049-5) ihre „letzte Fahrt“ unter Dampf absolvierte. Blicken wir kurz zurück: Die seit 1937 als Bahnbetriebswerk existierende Dienststelle (bis dahin Lokbahnhof) in Pockau hatte ursprünglich eine dezentrale Heizung. Später wurde eine zentrale Heizungsanlage installiert, da jetzt neben Lokschuppen und Verwaltungsgebäude auch die 1965 geschaffene „Zentralwerkstatt Pockau-Lengefeld“ mit beheizt werden musste. Als das Bw seine Selbstständigkeit verlor und fortan Einsatzstelle des Bahnbetriebswerkes Karl-Marx-Stadt, Betriebsteil Hilbersdorf hieß, benötigte man eine leistungsfähige Wärmequelle. Da eine solche aber kurzfristig nicht zu beschaffen war, behalf man sich bis 1977 mit wechselnden Heizloks, die meist auf die Aufnahme in ein Raw warteten, aber nicht mehr als zugdiensttauglich galten. Dies funktionierte irgendwann nicht mehr unproblematisch und es musste eine dauerhafte Lösung gefunden werden. Der Heizstand befand sich im nur über die 18-Meter-Drehscheibe erreichbaren Lokschuppen, was die Auswahl der Loks bereits damals stark einschränkte. Solchen örtlichen Gegebenheiten verdanken einige Exoten ihr Überleben, wie 65 1008-5, die in Bautzen, Zittau und zuletzt in Luckau heizte, 86 1056-0 in der Einsatzstelle Falkenstein oder 95 1016-5 in Kamenz. Letztere sorgte dort von 1982 bis 1992 für Wärme, nachdem der Kessel des dortigen Dampfspenders 56 2156 (im August 1982 zerlegt) „am Ende“ war.
Für Pockau-Lengefeld fiel die Wahl auf die Glauchauer 86 1049-5, welche die Rbd Dresden nach einer L6-Untersuchung im Raw Meiningen ab dem 31. September 1978 in der erzgebirgischen Einsatzstelle beheimatete. In Pockau selbst war sie keine Unbekannte, da sie bereits von 1944 bis 1951 hier im Dienst stand. Allgemein könnte man auch sagen, dass die 86 049 sehr regional verbunden bleibt, weilte sie doch in ihrer Einsatzzeit fast ständig in Sachsen. Nach ihrer Ablieferung durch die Firma Borsig 1932 in Berlin diente sie in verschiedenen Dresdner Bahnbetriebswerken, dann in Chemnitz, Pockau, Adorf, Zwickau, Bautzen, Werdau, Glauchau und zum Schluss wieder in Karl-Marx-Stadt bzw. Chemnitz.
Nur zwei Mal erfolgte eine kurze Beheimatung außerhalb Sachsens: 1971/72 im südbrandenburgischen Elsterwerda, wo sie vermutlich nur rangierte, und von 1973 bis 1975 in Sangerhausen als kalt abgestellte Reserve. In Pockau-Lengefeld verließ die Lok zum Kohlenehmen einmal am Tag den Schuppen, daher musste sie auch für die Zukunft aus eigener Kraft fahrfähig bleiben. Ob eine offizielle Heizlok auch weiter „zugdiensttauglich“ war, hing von ihrem technischen Zustand und vom Interesse der Dienststelle ab. Und dieses war in Pockau von Anfang bis zum Ende gegeben. So kam es immer wieder vor, dass die Maschine zum „Reinigen der Kesselrohre“, wie es damals offiziell hieß, in den Zugdienst gelangte. Des Weiteren zog sie in den kommenden Jahren auch oft Sonderzüge, unter anderem für den Deutschen Modelleisenbahn-Verband der DDR (DMV), oder war auf Lokausstellungen zu Gast. Nur um einige Einsätze zu nennen: 1984 – Teilnahme an der Dampflok-Sternfahrt in Dürrröhrsdorf mit 86 1333-3 und Sonderzug von Dresden über Bad Schandau und Sebnitz; 1986: Teilnahme am Bahnhofsfest in Freiberg und Beförderung eines Sonderzuges mit 86 1001-6 nach Holzhau anlässlich „100 Jahre Freiberg – Holzhau“; 1989: Teilnahme an der Fahrzeugparade in Riesa (im Schlepp die kalte 80 023 vom Bw Leipzig Hbf Süd).
Mit der politischen Wende in der DDR und der Währungsunion änderten sich viele Bedingungen für den Einsatz von Dampflokomotiven, so auch in der kleinen Einsatzstelle im Erzgebirge. Fuhr die 1049 im Jahre 1990 noch insgesamt stolze 2710 km, so wurden es 1991 bis zum Fristablauf Ende Oktober nur noch 984 km, wovon allein 547 km nur aus den Überführungsfahrten zum und den Fahrten beim inzwischen legendären „Plandampf Oberlausitz 1991“ resultierten. Weitere Einsätze waren im Jahr 1991 am 1. Mai beim Plandampf für den VSE und dann nur noch bei den eigenen „Abschiedsfahrten“ im Oktober. Man plante diese vor Planzügen am 24. Oktober 1991. Da sich aber das Wetter an diesem Tag von einer dermaßen schlechten Seite zeigte, kamen alle Beteiligten überein, dass nach der Fahrt vor den Planzügen 19760/19761 ein „Lokschaden“ vorlag und die Aktion für diesen Tag endete. Am 28. Oktober 1991 klappte es mit dem Wetter wesentlich besser und so wurden dann die Planzüge P19769 Pockau-Lengefeld – Flöha, P19761 Flöha – Neuhausen und P19764 Neuhausen – Pockau-Lengefeld bespannt.
Aus Spaß erhielt dann die Lok die Schilder „086 049-4“ angeschraubt und führte damit noch das Zugpaar P17785/P17788 nach Marienberg und zurück. An ihrem letzten Einsatztag legte die Maschine nochmals 122 km zurück. Als Lokführer stand an diesem Tag der im Jahr 2003 an den Folgen eines Unfalls verstorbene langjährige Dienststellenleiter der Einsatzstelle, Günter Gläser, am Regler. Den Arbeitsplatz des Heizers besetzte Hans-Thomas Reichelt, der mit der 86er auch schon oft als Lokführer unterwegs war. Am Tag vor ihrem Fristablauf, dem 29. November 1991, ging die Lok noch einmal auf die Strecke zur Überführung in ihre Heimat-Dienststelle Chemnitz-Hilbersdorf. Dann erlosch das Feuer in ihr endgültig. Aus planungstechnischen Gründen hatte man aber vergessen, sich um Ersatz zu kümmern. Somit konnten in den folgenden zwei Wochen die Räume in der Einsatzstelle nicht geheizt werden – und das Anfang Dezember im Erzgebirge! Kurzerhand verfügte man die entbehrliche 86 1001-6 aus Aue zum Heizen nach Pockau. Nach einigen Wochen traf dann dort auch die 86 1333-3 ein, eigentlich gleichfalls eine in Sachsen heimische Maschine, zuletzt in Glauchau, Karl-Marx-Stadt und Aue im Einsatz, aber seit März 1991 in Wustermark stationiert. Sie trat die Nachfolge der 86 1049 an und heizte bis Mai 1993.
Die vorgesetzte Dienststelle plante, die 86 1049-5 nach ihrem Fristablauf in das Raw Görlitz zu schicken. Das Fahrwerk hatte noch Fristen und der Kessel benötigte „nur“ eine Zwischenuntersuchung. Deshalb wurde bereits eine Materialprobe aus der rechten Seite des Langkessels entnommen und zur Befundung in das Raw Meiningen gesandt. Praktisch sah es jedoch anders aus. Die Maschine hatte 1987 in Meiningen zwar eine Hauptuntersuchung bekommen, die aber für eine Heizlok nicht sehr umfangreich war. Da die Lok aber neben den absolvierten Zugleistungen vor allem im Winterhalbjahr praktisch ständig unter Dampf stand, zeigten kessel- und fahrwerksseitig viele Bauteile größere Abnutzungserscheinungen. Trotz der guten Pflege in Pockau – Wunder oder große Reparaturen konnte man dort eben auch nicht vollbringen. Weiterhin gelang Günter Gläser bei der Schadvormeldung leider keine Einigung über den nötigen Arbeitsumfang mit den Verantwortlichen im Raw. Es bestand ja immer noch die Gefahr, für nicht gemeldete offensichtliche Mängel gerügt zu werden oder, sollten sich viele gravierende Mängel erst nach dem Auseinanderbau im Raw zeigen, dass niemand die zusätzlichen Kosten tragen wollte, ebenso nicht für das dann kostspielige Montieren der unreparierten Lok. So wurde die 1049 später kalt wieder nach Pockau geschleppt.
In einigen in Pockau gedrehten Filmen eines bekannten Freiburger Verlags wirkte sie noch als kalte Statistin mit. Nach langen Verhandlungen und vielen Fahrten nach Berlin konnte der VSE die 1049 schließlich am 16. März 1992 von der DR erwerben. Im Vorfeld war übrigens im Gespräch gewesen, anstatt der 86 1049-5 die 86 1333-3 zu kaufen. Doch der VSE wollte diese den Kollegen in Glauchau überlassen, da 86 1333-3 längere Zeit in Glauchau bzw. in der Einsatzstelle Rochlitz im Einsatz gestanden hatte. Dass der Plan so nicht aufgegangen ist, zeigte sich ein Jahr später: Die seit 1991 in Glauchau existierende IG „Traditionslok 58 3047“ konnte 1993 finanziell nicht mit einer westdeutschen Gesellschaft mithalten. Daher kamen auch die 86 1501-5 und die 86 1056-0 nach Amstetten zur Österreichischen Gesellschaft für Eisenbahngeschichte (ÖGEG). Die 86 1501-5 fuhr dort noch bis zu ihrem Fristablauf im Jahre 2005, optisch jedoch nach dem dortigen Geschmack umgestaltet.
Die 86 1056-0 befindet sich heute noch in dem gleichen Zustand, in dem die ÖGEG diese Lok 1992 übernahm, zusammen mit der 86 1501-5 abgestellt als Ersatzteilspender im Eisenbahnmuseum in Ampflwang (die 86 1056-0 in einem für Besucher regulär unzugänglichen Bereich).
Die 86 1049-5 blieb vorerst weiter in Pockau, um den dortigen Personalen die Möglichkeit zu geben, sich weiter um ihre Lok zu kümmern. Nach den vielen Fahrten, die die Maschine für den VSE bis zu diesem Zeitpunkt durchgeführt hatte, waren freundschaftliche Beziehungen entstanden und man wollte eine VSE-Regionalgruppe dort entstehen lassen. Durch den allgemeinen Rückgang des Eisenbahnverkehrs, Dienststellenschließungen, Umsetzungen von Personal, was schließlich in der Auflassung der Einsatzstelle im Sommer 1995 endete, konnte diese Planung nicht aufrechterhalten werden. Mit der Installation einer neuen zentralen Heizanlage Anfang 1993 gelang es, auf den kostspieligen Einsatz einer Heizlok zu verzichten. So überführte die letzte Pockauer Heizlok 86 1333-3 ihre kalte Schwester zunächst nach Chemnitz-Hilbersdorf zur Zwischenabstellung. Im Juni 1993 wurde sie nach Schwarzenberg geschleppt und erinnert seitdem an „die“ typische Einheits-Nebenbahntenderlokomotive im Erzgebirge. Zum „Tag der Sachsen“ im Jahr 2006 kam die 86 1049-5 zusammen mit der 75 501 (damals Leihgabe des DDM) nochmals ins Flöhatal in ihre alte Heimat. Der Autor dieser Zeilen hatte die Ehre, beide mit einer Lauffähigkeitsbescheinigung ausgestatteten Loks hinter der vereinseigenen 106 992-1 von Schwarzenberg nach Zwickau Hbf zu bringen. In Marienberg fand in Zusammenarbeit von VSE, Sächsischem Eisenbahnmuseum e. V. Chemnitz-Hilbersdorf, der PRESS und der DB Erzgebirgsbahn eine Fahrzeugparade statt, an der auch die Dieselloks 112 646-5 und 118 141-1 teilnahmen. Außerdem verkehrten Sonderzüge zwischen Marienberg und Pockau-Lengefeld.
Im Jahr 2017 erwarb die PRESS die Anlagen der ehemaligen Einsatzstelle Pockau-Lengefeld und bemüht sich seitdem, die Immobilie zu reaktivieren, um in Zukunft dort wieder Eisenbahnfahrzeuge unterzubringen.
Nachsatz: Der Autor dankt Andreas W. Petrak, Hans-Thomas Reichelt und Falk Thomas für ihre umfangreichen Informationen, ohne welche dieser Text nicht hätte entstehen können.
14.12.2021