Eisenbahnen außerhalb Europas
Schmalspurige und andere schnelle Eisenbahnen in Taiwan, R.O.C. - Teil 7
Eisenbahn allgegenwärtig
1. Generaleindruck
Drei prägende Spurweiten mit 762, 1067 und 1435 mm mit ihren jeweils technisch und betrieblich sehr unterschiedlichen Schwerpunkten haben in Taiwan signifikante Spuren hinterlassen. Schaut man auch nur ein wenig mit dem Kennerblick durchs Land, stellt man die teils subtilen Einflüsse der Eisenbahn fast überall fest. Dass dies vom Laien eher nicht so wahrgenommen wird, ist aber auch nicht verwunderlich. Selbst unter den Taiwanesen hat es öfter mehr als Verwunderung ausgelöst, wenn die Frage nach diversen Eisenbahnthemen aufkam. Durch umfangreiche Devotionaliensammlungen bereicherte Gaststätten, als Erinnerungsstätten fungierende Warteräume in Bahnhöfen oder auch Ansammlungen typischer Eisenbahnschilder in ganz anderen Zusammenhängen im Straßenverkehr mag man auch in Deutschland kennen. Dass Fußböden in Fußgängerzonen oder Einkaufstempeln grafisch mit einer Abbildung von Gleisen und Bahndämmen ausgestattet werden, übergroße Bilder von Bahnanlagen oder Zügen an Gebäuden prangen oder gar ganze Bahnhofsgebäude durchs Land transferiert werden, ist dann schon herausragend.
2. Museen
Es verwundert daher eher doch, dass es kein „nationales Eisenbahnmuseum“ gibt, in dem die Eisenbahn und Eisenbahngeschichte ganzheitlich beleuchtet wird. Der geneigte Interessent ist da schon gezwungen, etwas durchs Land zu tingeln, will er einen Überblick bekommen. Das „National Taiwan Museum“ mit naturkundlichem Schwerpunkt, zehn fußläufige Minuten vom Hauptbahnhof von Taipei entfernt, hat zwar nur einen kleinen Eisenbahnbezug, dafür aber zwei prägnante Exponate in einem Glaspavillon im frei zugänglichen Außengelände: „Teng-Yung“, die 1888 bei der Aktiengesellschaft für Lokomotivbau Hohenzollern in Düsseldorf gefertigte allererste auf Taiwan eingesetzte Dampflokomotive, und die Lok Nr. 9, die 1871 von der englischen Lokomotivfabrik Avonside Engineering Co. gebaute älteste Dampflok in Taiwan, die 1901 auf die Insel kam, sind hier ausgestellt. Will man einen guten Überblick über die 762-mm- und 1067-mm-Lokomotivtechnik mit Dampf- und Diesellokomotiven bekommen, dann ist das „Miaoli Railway Museum“ genau an der TRA-Station in Miaoli eine gute Adresse. Etwa 20 Lokomotiven, Triebwagen und Wagen unterschiedlichster Baureihen und Typen, dazu einige Drehgestelle, Gleisbaugerätschaften sowie andere typische Ausstattungen sind unter einem großen freitragenden, auf seitlichen Säulenreihen lagernden Dach ausgestellt. Ob ein in der Nähe der Anlage stehender frühzeitlicher Gleisbaukomplex der Plasser American Corporation zur Ausstellung gehört, war nicht festzustellen. Es wäre aber mithin eine gute Ergänzung. Dass die Fahrzeuge alle (außer dem Plasser-Gerät) in einem Top-Aufarbeitungszustand sind, versteht sich von selbst. Weiter südlich, nahe des TRA-Bahnhofes von Changhua, befindet sich im noch in aktiver Nutzung befindlichen Bahnbetriebswerk ein zwölfständiger Rundschuppen (siehe Foto in Teil 6 der Artikelreihe), der nach Eintragung in eine Besucherliste beim Pförtner des Bw regulär als aktives Museum besichtigt werden kann. Die zwei betriebsfähigen TRA-Dampflokomotiven CK 124 und DT 668 sind hier zusammen mit Dieselloks der R- und der S-Class zu besichtigen. Die nächste Station für eine größere Impression zu Eisenbahnfahrzeugen ist der „Railway Park“ in Chiayi (siehe Teil 2) mit besonderem Schwerpunkt auf die Fahrzeuge der Alishan Forest Railway. Die vierte Sammlungsanlage letztendlich befindet sich im ehemaligen Güterbahnhof am Hafen von Kaohsiung. Seit September 2017 hat die als Ringbahn konzipierte Straßenbahn eine Station genau zwischen den Dampfloks und Wagen der Sammlung auf dem weitläufigen Areal, das auch für vielfältige Großveranstaltungen genutzt wird. Wie die Freiluftausstellung mit dem dazugehörigen kleinen Museum in der ehemaligen Güterabfertigung künftig weiterentwickelt wird, ist noch nicht ersichtlich. Mit Sicherheit wird die Anlage nicht einfach verschwinden, das wäre ziemlich untypisch für das taiwanesische Eisenbahnkulturverständnis. Weitere Sammlungen von Eisenbahnfahrzeugen wurden bereits in den vorhergehenden Teilen der Artikelreihe benannt.
3. Sockelloks, Spielplatzloks und Imitate
Nach der Internetseite www.steamlocomotive.info sind in Taiwan noch 93 Dampflokomotiven vorhanden – ein Großteil davon als Einzelausstellungsstücke, auf Sockeln oder gar als Spielplatzexponate. Sie aufzuzählen, würde nicht nur den Umfang dieses Artikels sprengen, sondern wäre auch in jedem Fall unvollständig und inaktuell. Letzteres wird vor allem dadurch erreicht, dass bei den Loks auf Denkmalsockeln oder Spielplätzen viel Bewegung ist. Interessanterweise werden die originalen Loks noch durch Imitate ergänzt, die einer bestimmten Lok u. U. nachempfunden sein können, vielfach aber nur den Zweck haben, eben eine witterungsbeständige Lokdarstellung zu geben. Prägnantestes Beispiel dieser Gattung ist das an der ehemaligen Endstation der Nebenbahn von Taipei nach Tamsui (heute Endpunkt der Roten Linie der Taipei Metro) aufgestellte Stück.
4. Bahnhöfe und Stationen
Dass Bahnhöfe von Menschenmassen bevölkerte öffentliche Orte sind, kann man in Taiwan regelmäßig beobachten. Die preisgünstigen Fahrkarten der TRA tun ein Übriges für die gute Auslastung (aber auch negative Profitabilität der Staatsbahn). Gleichwohl sind die Bahnstationen auch ein Hort der Erinnerungen an die historischen Grundlagen. In vielen Bahnhöfen gibt es Traditionskabinette, die zu- meist sogar regulär durch TRA-Mitarbeiter oder Freiwillige besetzt sind (leider letztere zumeist ältere Menschen ohne Englischkenntnisse) und in denen man von Uniformknöpfen, Fahrkartensammlungen, Schienennägeln, Bildersammlungen bis zu zweisprachig in Japanisch und Chinesisch verfassten Vorschriftensammlungen alles finden kann. An manchen Bahnhofsanlagen kann man aber auch das historische Flair noch entdecken, da insbesondere bei der TRA (mangels Geld) die große Modernisierungswelle der Gebäude noch nicht begonnen hat.
5. Private Sammlungen
Weniger erstaunlich, aber für eine derartige Aufzählung unerlässlich zu berücksichtigen ist, dass es auch private Sammlungen gibt, die einem gut ausgestatteten Museum alle Ehre machen. Die Szene der Eisenbahnfreunde in Taiwan ist sicherlich vergleichsweise überschaubar, so dass man schnell bei einigen Kontakten auf jemanden trifft, der nicht unerhebliche Schätze und Dokumentationen sein Eigen nennt. Wie bei ähnlichen Privatakquisitionen in Deutschland versteht es sich aber von selbst, dass man nicht allzu intensiv nach der Herkunft von Unterlagen fragen sollte, wenn es einem nicht ohnehin erklärt wird. So wurden dem Autor sehr umfangreich erscheinende Zeichnungssammlungen von diversen japanischen Dampflokbaureihen mit der Frage vorgelegt, ob dies ausreichen würde, diese Loks neu zu bauen. (Persönliche Anmerkung: Nein, ich habe keine Empfehlung ausgesprochen.)
6. Einbindung von Eisenbahnrelikten in touristische Infrastrukturen
Es ist vielleicht noch am ehesten mit den Bemühungen in Sachsen entlang der DAMPFBAHN-ROUTE zu vergleichen, wie ehemalige Bahnanlagen vielerorts thematisch in die touristische Infrastruktur eingebunden werden. Ehemalige Bahndämme werden Fahrradhighways oder Stationsgebäude zu Erfrischungspunkten. Aber man kann eben auch durch einen zwei Kilometer langen früheren Eisenbahntunnel mit dem Fahrrad radeln (zu Fuß wird das gefährlich, da die mitunter fehlende Beleuchtung noch nicht einmal das Nahen des Drahtesels im unbeleuchteten Tunnel erahnen lässt).
7. Persönliche Nachbetrachtung
Den Teil 1 dieser Artikelreihe hatte ich im PK 150 mit Abwägungen über „Für und Wider“ zu einer Berichterstattung über die Eisenbahnen in der kleinen, offiziell diplomatisch nicht anerkannten Republik China auf Taiwan begonnen. Inzwischen sind meinerseits weitere rund 100 Tage Anwesenheit auf der Insel und somit auch neue Erlebnisse hinzugekommen, die das Bild vervollständigen. Auch die Reaktionen der Leser während der vergangenen 18 Monate waren wie erwartet – von fundamentaler Ablehnung eines solchen Themas im PK mit Nutzung dieses Argumentes für eine Kündigung des Heftbezuges bis zur begeisterten Aufnahme unter Herstellung persönlicher Bezüge von eigenen Reisen. Eine „Beschwerde“ war dazu geradezu köstlich zu hören – die Artikelreihe wäre einfach ein paar Monate zu spät erschienen, denn ansonsten hätten die dienstlich veranlassten Wochenendaufenthalte in Taiwan viel interessanter werden können. Nun, in diesem Fall konnte es leider nicht genutzt werden – aber vielleicht hilft es ja dem einen oder anderen Leser als Anregung für eigene Ausflüge – die Intensität der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Taiwan wächst weiter. Ich würde mich über Rückmeldungen und vielleicht auch Aktualisierungen zu den Berichten freuen.
Nachsatz
Dankeschön an die Helfer in Taiwan für ihre Beratung, ihr Interesse sowie ihre Unterstützung beim Finden von Informationen sowie fürs Übersetzen ins Englische:
Credits
I would like to thank my friends and colleagues in Taiwan, especially Yoten Hsu, Ping-Ying Wu, Ming-Hsien Chung and Manfred Chen for their strong support, perseverance and interest in joint excursions to find the best railways related places and to get a lot of background information or translations.
11.10.2017
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