Eisenbahnen außerhalb Europas
Schmalspurige und andere schnelle Eisenbahnen in Taiwan, R.O.C. - Teil 8
Nationales Eisenbahnmuseum
1. Rückblick und Vorbetrachtung
Es erscheint aus vielerlei Gründen passend, die bisherigen sieben Teile der Artikelreihe über die Eisenbahnen von Taiwan aus den Jahren 2016 und 2017 fortzusetzen. Sechs Jahre bieten ausreichend Zeit für eine ganze Menge Neuigkeiten und zahlreiche Leser interessierten sich – so aus Leserbriefen und Gesprächen zu entnehmen – für die Eisenbahnen auf der Insel in Fernost.
Nicht zuletzt die Rückkehr eines Krieges in Europa rückt die gleichermaßen spannungsreiche Region und die aggressiver werdende Rhetorik über eine Einverleibung der historisch nie zur Volksrepublik China gehörenden de facto unabhängigen Republik China auf Taiwan auch in den Blickpunkt der hiesigen Öffentlichkeit. Viele Menschen haben dabei in den vergangenen Monaten häufiger als zuvor in den Medien von dieser Spannungslage gehört: Nach zunächst angriffslustiger Rhetorik folgten exzessive Militärmanöver und es entstand quasi eine zeitweilige Blockadesituationen für das Land. Für die Einheimischen auf der Insel ist das als Bedrohung allgegenwärtig und viele erhoffen sich – obwohl tausende Kilometer vom Kriegsschauplatz in Europa entfernt – ein eindeutiges Stoppsignal der Welt an den russischen Aggressor, um jegliche Gedanken an eine unwidersprochene und erfolgreiche Nachahmung einer Gebietsvereinnahmung ad absurdum zu führen.
Tatsächlich gibt es aber auch viel Neues in dem kleinen Land mit seinen rund 24 Mio. Einwohnern. Gehörte beispielsweise zum Fazit im letzten Teil der Beitragsreihe im PK 158 über ausgewählte Besonderheiten der Eisenbahnen in Taiwan im Oktober 2017 noch die Aussage „Es verwundert daher eher doch, dass es kein „nationales Eisenbahnmuseum gibt …“, so ist genau dieses nun inzwischen im Entstehen und wie bei vielen anderen taiwanesischen Verkehrsprojekten kann man nicht behaupten, dass da nur gekleckert wird.
2. Der „Taipei Railway Workshop“
Schaut man von Taipeis bestem Aussichtspunkt im 89. Stock des „101 Taipei Tower“ in westliche Richtung über die Stadt zum innerstädtischen Flughafen Songshan, fällt einem ganz unweigerlich eine gänzlich aus dem Rahmen der sonstigen Bebauung mit Wolkenkratzern bzw. dichter Wohnbebauung fallende Fläche auf. Inmitten höherer Bauwerke – umringt von Shopping-Centern, Bürotürmen und einer Kunstgalerie – befindet sich quasi in einem „Filetstück“ innerstädtischer Lage die frühere Hauptwerkstatt der Taiwan Railway Administration (TRA), gut vergleichbar und auch in seiner flächenmäßigen Anlage ähnlich den früheren Ausbesserungswerken bei den deutschen Staatsbahnen (vor deren flächenmäßigen Optimierung in den 1990ern).
Ab dem Jahr 1900 gab es bereits eine Eisenbahnwerkstatt im damals noch eher dörflichen Charakter ausstrahlenden Bereich um den heutigen Hauptbahnhof. Mit der Fertigstellung der „Western Line“, der Hauptlinie der TRA zwischen Keelung im Norden und Kaohsiung im Süden als Verbindung der größten Städte auf der Insel, begann an gleicher Stelle 1908 der Aufbau einer Hauptwerkstatt mit vergrößerter Fläche, um die führende Einrichtung der TRA im Norden für Instandhaltung und Modifizierungen zu werden. Doch bald zeigte sich, dass all diese Arbeiten auf dem begrenzten Areal nicht möglich waren. Im Jahr 1929 erwarb die Eisenbahnbehörde in 6 km Entfernung in östlicher Richtung entlang der Linie nach Keelung die neue, bis heute bestehende Fläche.
Bis zum 30. Oktober 1935, dem Tag der offiziellen Eröffnung des „Taipei Railway Workshop“, war der Umzug auf die damals noch am Stadtrand gelegene, heutige innerstädtische Lage abgeschlossen. Zwischen 1950 und 1970 spielte die Werkstatt die Hauptrolle beim Traktionswechsel von Dampf auf Diesel bei der TRA, wofür insbesondere eine große Diesellokwerkstatt und Reisezugwagenwerkstätten ausgebaut wurden. Der nächste Traktionswechsel hin zu elektrisch betriebenen Triebwagen hatte für den Werkstattstandort kaum noch Bedeutung. Durch das rapide Wachstum der Stadt und den Aufbau von Stadtschnellstraßen ringsum bestand frühzeitig das Interesse, die 16,8 Hektar große Fläche für städtische Entwicklungen zu nutzen. Zuletzt verblieb einzig dieses Eisenbahngelände an der sichtbaren Oberfläche der Stadt, während ansonsten die TRA-Gleise komplett in den Untergrund verschwanden.
Ab 2005 erfolgte die schrittweise Verlagerung von Instandhaltungsaktivitäten an den bisher betreuten Fahrzeugen auf andere Werkstätten bzw. wurden diese durch den Generationswechsel durch Umstellung vieler Einsatzfelder lokbespannter Züge auf Elektrotriebwagen weniger. In dieser Zeit wurde auch die Anbindung des Geländes zum Eisenbahnnetz durch den Bau von Schnellstraßen in der Lage der früheren Gleistrassen gekappt. Im Jahr 2013 endete der Betrieb im Taipei Railway Workshop endgültig – und die Anlage fiel in einen mehrjährigen Dornröschenschlaf.
Inzwischen schossen in nächster Nähe der City Hall und dem „101“ die Grundstückspreise in die Höhe, so dass mancher Mitarbeiter bei der TRA schon eine kräftige Finanzspritze aus der Veräußerung des Areals erwartete. Nachdem bereits 2013 einzelne Teile des Werkstattkomplexes als „National Monument“ unter Schutz gestellt wurden, beendete die Entscheidung des Kulturministeriums am 16. April 2015 die Fantasien einer hohen Immobilienrendite bei der TRA durch die Einordnung der gesamten Hauptwerkstatt als „National Heritage“. Im November 2016 genehmigte die Regierung (Executive Yuan) einen Plan zur Umwandlung der Anlage in einen nationalen Eisenbahnmuseumspark.
3. Taiwans „National Railway Museum“
Nach knapp sechs Jahren, in denen das Gelände umgeben von einer großen Mauer mehr oder weniger sich selbst und den Einwirkungen der Natur sowie den teils desaströsen Auswirkungen von Taifunen und damit verbundenen Extremniederschlägen überlassen war, nahm im August 2019 das „Preparatory Office of National Railway Museum“ seine Arbeit auf. Im Rahmen eines mehrjährigen Planes soll das Gelände durch diese Vorbereitungsorganisation zu einem abwechslungsreichen und unterhaltsamen Eisenbahnpark umgebaut werden.
Organisatorisch untersteht das Vorbereitungsbüro dem Kulturministerium, welches für die Nutzung des Geländes zunächst auf Basis eines zehnjährigen Pachtvertrages eine nicht unerhebliche Summe an das Verkehrsministerium und damit an die TRA zu zahlen hat. Während das Büro hauptamtlich angestellte Mitarbeiter für die Organisation der durch Baufirmen auszuführenden Arbeiten beschäftigt, werden ehrenamtliche Freiwillige für Besucherführungen, aber auch für Rekonstruktionsarbeiten an Fahrzeugen und anderen Exponaten eingesetzt. Die Ziele lesen sich beeindruckend: Im Museum sollen in einer lebendigen, aktiven Werkstatt die historischen Technologien für die Besucher live erlebbar werden.
Durch die Wiederherstellung der Verbindung des Areals zum öffentlichen Raum und der Integration von Wohn-, Verwaltungs- und Freizeitfunktionen will man die früher abgeschottete Hauptwerkstatt mit ihren erhaltenen Produktionsstrukturen in die kulturellen Aktivitäten der Stadt einbringen. Und nicht zuletzt soll sich das Eisenbahnmuseum als Schnittstelle zwischen Menschen, Wissen, Wirtschaft, Kultur und Innovation etablieren und die Besucher dazu einladen, das Wissen über die Eisenbahn aus ihrer eigenen Perspektive zu interpretieren. Doch der Weg dahin führte zunächst zu einer Prioritätensetzung bei der Reanimation der „lost places“. Es ist geplant, in drei Abschnitten die Anlagen den Besuchern zu öffnen. Bereits im Jahr 2024 soll ein erster Abschnitt dauerhaft als Museum geöffnet und zuerst der nördliche Bereich des Parks der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Darin eingeschlossen sind der ehemalige Verwaltungsbereich, die Personaltoilette, das Auditorium sowie die Gebäude rund um die einstige Diesellok- und Elektrowerkstatt.
Im Jahr 2027 steht dann die Finalisierung der zweiten Phase an. Dann soll die Wiederherstellung aller Gebäude und die Gestaltung der Anlage weitgehend abgeschlossen sein und zeitgleich das bis dahin noch verantwortliche Vorbereitungskomitee in das „Nationale Eisenbahnmuseum Taiwan“ umgewandelt werden. Die Kernprojekte des Museums werden dann erlebbar sein, einschließlich der Hauptausstellung in der früheren Montagehalle, ebenso das Eisenbahntheater, ein Restaurant in originalen Speisewagen sowie Bühnen und Räumlichkeiten für Künstler. Selbstbewusst preist man schon heute die Hauptausstellungshalle als markanteste, einzigartige und zukunftsweisende Präsentationsfläche unter den Eisenbahnmuseen der Welt an. Typisch taiwanesisch, aber unterhalb dieses Anspruchs macht man es nicht. In einem dritten, langfristig geplanten Schritt will man Flächen im Randbereich des Museums stärker den jeweiligen angrenzenden städtischen Flächen öffnen und somit Möglichkeiten für flexible Veränderungen und Nutzungen schaffen.
Auch wenn das Eisenbahnmuseum noch im Vorbereitungsstadium ist und an mehreren Gebäuden umfangreiche Bauarbeiten laufen, werden bereits limitierte Gruppenführungen durch das Gelände angeboten. Dank Vermittlung durch gut vernetzte Freunde vor Ort konnte der Autor im April 2023 in einer rund fünfstündigen Führung durch den Direktor Min-Chang Cheng persönlich alles Wissenswerte zum Projekt und nicht zuletzt zu vielen bereits im Gelände befindlichen Ausstellungsstücken erfahren. Dass die Spannweite der Gebäudesubstanz dabei von morbide einsturzgefährdet bis historisierend neu errichtet reicht, ist bei der genannten Vorgeschichte wenig verwunderlich. Beim Fahrzeugpark scheint man dagegen schon auf eine längere Rekonstruktionshistorie zurückgreifen zu können, denn „Arbeitsvorrat“ und original restauriert bzw. originalgetreu nachgebaut hielten sich fast die Waage, was bei mehr als fünf Dutzend Fahrzeugen aller Bauarten durchaus beachtlich ist.
Für den eigentlichen Anspruch als nationales Eisenbahnmuseum soll aber die Bandbreite der ausgestellten Triebfahrzeuge und Wagen noch erweitert und dabei vor allem bisher in Depots der TRA nicht öffentlich zugänglich abgestellte Fahrzeuge herangebracht werden. Die im Teil 7 der Artikelreihe benannten Museen will man dabei nicht antasten, zumal die in der Nähe des Hauptbahnhofes vor dem „National Taiwan Museum“ in einem großen Glaspavillon stehenden ältesten erhaltenen Dampflokomotiven, eine 1871 in England sowie eine 1888 in Düsseldorf gefertigte Maschine, einem anderen Ministerium zugeordnet sind. Eisenbahninteressierte Taiwanreisende sollten sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, einen Besuch im „Entwicklungsgebiet Eisenbahnmuseum“ anzufragen. Ausländern, besonders Eisenbahnfreunden, wird nach Möglichkeit auch außerhalb der meist auf längere Zeit ausgebuchten Führungen durch den Bauzustand ein Besuch ermöglicht.
Weiterführende Informationen: Internetseite des Vorbereitungsbüros www.nrm.gov.tw/ Der Online-Artikel wurde gegenüber der Druckausgabe um weitere Bilder ergänzt.
14.06.2023
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