Eisenbahnen außerhalb Europas
Schmalspurige und andere schnelle Eisenbahnen in Taiwan, R.O.C. - Teil 6
Starke Gegensätze auf 1067 mm
1. Einleitung
Bezogen sich die Ausführungen in den Teilen 2 bis 5 dieser Artikelreihe besonders auf die verschiedenen bestehenden oder früheren 762-mm-Bahnen, ist dennoch zu konstatieren, dass das Rückgrat des Eisenbahnnetzes in Taiwan die 1117,9 km Gleis in 1067 mm CAP-Spur (auch Kapspur genannt) bilden. Wie im Teil 1 der Artikelreihe beschrieben, bilden die durch die staatliche Taiwan Railways Administration (TRA) betriebenen Hauptstrecken einen geschlossenen Kreis um die Insel. Von einem einst umfangreicheren Nebenstreckennetz sind letzthin nur noch vier Nebenstrecken als Stichbahnen übriggeblieben. Durch neue Verbindungsbahnen zur Taiwan High Speed Rail (THSR) und Reaktivierungen sind gegenwärtig sechs betriebene Nebenbahnen im Streckennetz vorhanden. Der Tiefpunkt der Netzgesamtlänge dürfte damit bereits wieder überschritten sein, da es weitere Reaktivierungs- oder Ergänzungsstreckenprojekte bei der TRA oder in Verbindung mit der Ausweitung von Metro-Systemen einiger Stadtgebiete in Planung oder Realisierung gibt. Dieser Teil der Artikelreihe widmet sich diesen Bahnen der TRA und der Darstellung deutlich wahrnehmbarer Gegensätze. Die Streckenkarte der Eisenbahnen wurde dazu um weitere Informationen und Ortsnamen ergänzt, die auch im folgenden Erwähnung finden.
2. Hauptstreckennetz
Erst mit der Vollendung der South-Link Line zwischen Fangliao und Taitung im Jahre 1991 ist das Hauptstreckennetz von Taiwan als Ring geschlossen worden. Auch wenn man bei einem Ring schwerlich einen Anfang definieren kann, ist der Hauptbahnhof von Taipei durchaus als das betriebliche Herz und der Abschnitt zwischen Changhua und Keelung als Hauptschlagader zu bezeichnen. In diesem Abschnitt ist gefühlt die betriebliche Auslastung der Strecke und der Füllungsgrad der Züge am höchsten. Für den normalen Eisenbahnnutzer ohne fachlichen Hintergrund wird der Anblick der Hauptstreckenanlagen, zudem noch in dem bereits zum Großteil elektrifizierten Kreisabschnitt, sich kaum von den Ausstattungen und Einrichtungen der Hauptstrecken in Deutschland unterscheiden lassen. Die Gleisinfrastruktur dieser Kapspurstrecken ist der 36,8 cm breiteren deutschen Regelspureisenbahn deutlich ähnlicher als den nur 6,7 cm schmaleren Harzer Schmalspurbahnen. Inzwischen werden auf der Western Line und der Mountain Line im westlichen dicht besiedelten Korridor sogar schrittweise zweigleisige Abschnitte in aufgeständerter Bauweise ertüchtigt, womit sie sich im Erscheinungsbild sogar eher noch den Hochgeschwindigkeitsstrecken nähern. Mit dem 1983 begonnenen und 1994 in der zweiten Ausbaustufe abgeschlossenen „Taipei Railway Underground Project“ verschwand die Eisenbahn im Großraum der Hauptstadt Taipei gänzlich vom Tageslicht und wurde – dort gemeinsam mit der THSR und der Metro von Taipei – in ein Tunnelsystem gebracht. In dem äußerlich an einen Jedi-Tempel aus dem „Star Wars-Universum“ erinnernden Gebäude des Hauptbahnhofs sind in vier Untergrundstockwerken die TRA-Strecke, der THSR-Shinkansen sowie zwei Metro-Linien untergebracht, während im Erdgeschoss neben dem Fahrkartenverkauf und der Information verschiedenste Verkaufseinrichtungen zu finden sind. Das erste Obergeschoss umspannt komplett als Restaurantringstrecke den Innenraum der großen Empfangshalle im Erdgeschoss. Die Räume in den vier Obergeschossen nutzen die TRA sowie zahlreiche Firmen als Büros. Dabei plant die TRA, ähnlich wie dies die DB AG praktiziert hat, in Kürze gänzlich aus den oberen Stockwerken zu verschwinden und sich anderweitig einzumieten, um wiederum die Flächen im Hauptbahnhof zu vermieten. Auf den Hauptstrecken fahren verschiedene Zuggattungen im Nahverkehr, beschleunigten Nahverkehr und Fernzugverkehr mit unterschiedlicher Halteintensität. Diese verkehren weitgehend in regelmäßigen Takten, so dass insbesondere auf der oben genannten Hauptschlagader beinahe regelmäßig im 10-Minuten-Abstand Züge in beide Hauptrichtungen unterwegs sind. Der Güterverkehr ist im Vergleich zu früheren Jahren deutlich zurückgegangen, auch hier war die gummibereifte Konkurrenz siegreich. Als eher ungewöhnliches Angebot sind daher die täglich in beiden Richtungen, an bestimmten Tagen sogar mehrmals verkehrenden Gepäckbeförderungsganzzüge zu nennen. Da es auf den meisten Stationen nach wie vor eine Gepäckabfertigung gibt, kann man von fast jedem Bahnhof zu jedem anderen Bahnhof Gepäck aufgeben und hat am Zielort – da die Beförderung ja nicht in den Personenzügen erfolgt – bis zu 24 Stunden Zeit, das aufgegebene Gepäck wieder abzuholen. In den letzten Jahren ist in diesen Zügen der Transport von Scootern (Motorrollern) explosionsartig angestiegen – bis zu zehn Wagen vollgestopft mit den Rollern können in einem solchen Gepäckzug dann schon mal zwischen Kaohsiung und Taipei pendeln.
3. Old Mountain Line
Eine Sonderrolle im Streckennetz der TRA spielt die „Old Mountain Line“, die bis 1998 als Bestandteil der Mountain Line zwischen Miaoli und Taichung zum Hauptstreckennetz gehörte (in der Karte mit 7 bezeichnet). Durch eine Streckenbegradigung mit einer weitgehend im Tunnel bzw. aufgeständert geführten Neubaustrecke zwischen Sanyi und Fengyuan wurde die alte bogen- und steigungsreiche 23,6 km lange Strecke überflüssig. In diesem Abschnitt befand sich auch die Station Shengxing, die bis zur Übernahme der Alishan Railway durch die TRA mit 402 m über dem Meeresspiegel höchstgelegene Station im westlichen Streckenteil. Da die Strecke durch eine interessante Mittelgebirgslandschaft als Vorgebirge zum taiwanischen Zentralmassiv führt, waren die Stationen der Strecke schon immer Ziel von Touristen und Ausflüglern aus den größeren Städten. Daneben ist die Yutengping Bridge („Drachenbrücke“ – siehe Foto) ein besonderes Wahrzeichen, das sowohl für Touristen als auch Eisenbahnenthusiasten gleichermaßen ein Anziehungspunkt ist. Diese im Jahr 1906 erbaute Ziegelbogenbrücke wurde im April 1935 beim Shinchiku-Taichu-Erdbeben (7,1 auf der Richterskala), dem opferreichsten Erdbeben in der Geschichte von Taiwan, so stark beschädigt, dass sie bei einem der Nachbeben im Juli 1935 einstürzte und nur die Pfeiler stehen blieben. Nachdem beim Jiji-Erdbeben 1999 weitere Beschädigungen auftraten, wurden die Reste der Eisenbahnbrücke 2003 in die Liste der nationalen Kulturgüter und als Erinnerungsstätte an zwei der schwersten Erdbeben des Landes aufgenommen. Mit dem Hintergrund des touristischen Interesses wurde die alte Strecke nach der Inbetriebnahme der Neubaustrecke am 24. September 1998 zwar stillgelegt, aber nicht abgebaut. Verschiedentliche Initiativen der regionalen Gebietskörperschaften, die Strecke für einen saisonalen oder musealen Verkehr zu öffnen, wurden viele Jahre abgelehnt. Im Juni 2009 kündigte die TRA dann an, die Strecke wieder für den Betrieb herzurichten und im Sommer 2010 wurden zur Förderung des Tourismus wieder einige Züge der Hauptstrecke über die alte Streckenführung umgeleitet. Die Erwartungen an die Nutzungsintensität für die Stationen der alten Eisenbahnstrecke erfüllten sich jedoch nicht und schon zum Jahreswechsel 2010/11 ruhte der Betrieb wieder. Sowohl die Regierung des Distrikts Miaoli als auch die von Taichung setzen die Bemühungen um eine touristische Nutzung der Strecke aber fort, so dass die Hoffnung besteht, dass hier wieder einmal Züge fahren werden. Die Infrastruktur der Old Mountain Line wiederum ist nach dem Rückbau von Signalanlagen und Oberleitung und der Flächenübergabe entlang der Stationen an Privat eher einfach – da gegenwärtig kein Betrieb stattfindet, sind Tunnel und Gleisanlagen beliebte Wanderwege.
4. Nebenstrecken
Insgesamt werden offiziell sechs Strecken als betriebene Nebenstrecken mit 1067 mm Spurweite der TRA geführt. Bei zwei dieser Strecken, der Liujia-Line (3) bei Hsinchu und der Shalun Line (6) bei Tainan, handelt es sich um im vergangenen Jahrzehnt neu errichtete Anbindungen vom TRA-Netz zu den teils weitab der namensgebenden Großstadt errichteten Stationen der Hochgeschwindigkeitseisenbahn. Dementsprechend verläuft bei diesen beiden auch die Strecke weitgehend aufgeständert und es ist kaum ein Unterschied zum Hauptstreckennetz feststellbar, auch wenn dort nur Nahverkehrszüge zum nächsten Knoten der TRA verkehren. Die 4,6 km lange Shen’ao Line (5) von Ruifang nach Badouzi stellt insofern eine Besonderheit dar, da auch hier der Betrieb erst in den vergangenen Jahren, zur jetzigen Endstation sogar erst zum Jahresanfang 2017 aufgenommen wurde. Allerdings handelt es sich um eine der ältesten Eisenbahnstrecken des Landes, die als Anbindung des Streckennetzes an den Hafenort Badouzi im Norden der Insel sowohl militärisch als auch für den Güterverkehr von Bedeutung war. Vor ihrer Wiederinbetriebnahme für den Personenverkehr – zunächst nur bis zum Nationalmuseum für Meereswissenschaften und Technik – lag die Strecke über fast zwei Jahrzehnte brach. Bei der Shen’ao Line sowie den drei anderen, jeweils in Richtung des Gebirgsmassives im Landesinneren verlaufenden Bahnen, herrscht im Gegensatz zu den beiden erstgenannten ein ganz anderes Flair. Durchgängig einspurig angelegt, an einzelnen Stationen mit der Möglichkeit zu Kreuzungen, erinnern diese Bahnen deutlich mehr an typische Schmalspureisenbahnen. Die Gleise werden auf vergleichsweise schmalen Bahndämmen mit kleinen Bogenradien, soweit erforderlich auch direkt neben Straßen oder Wegen geführt und die Streckensicherung erfolgt mit dem Electric Token Block. Dort, wo die Gleise direkt durch Ortschaften verlaufen, wie zum Beispiel in Shifen an der Pingxi Line, wird die Gleisanlage durch die Bevölkerung quasi direkt vereinnahmt und nur intensive Betätigung des Signalhorns durch den herannahenden Zug sichert kurzzeitig die Beräumung der Gleisanlagen. Die Pingxi Line (1) hatte ihre Entstehung ursprünglich den zahlreichen Kohlegruben in dem langgestreckten Tal zu verdanken, von denen noch einige museal erhalten sind und sich ebenfalls zu lokalen Touristenattraktionen entwickelt haben. Im Gegensatz dazu sind die Neiwan Line (2) und die Jiji Line (4) ursprünglich für den Abtransport des in den Bergen geschlagenen Holzes errichtet worden. Besonders in Checheng, dem Endpunkt der Jiji Line im Gebirge, wird der Geschichte als Holzfäller- und Holzverarbeitungsstandort große Aufmerksamkeit gewidmet. Auch hier hat sich mit der Aufstellung von nicht mehr genutzten Schienenfahrzeugen und rekonstruierten Holzverarbeitungsanlagen rund um den Bahnhof ein touristischer Anziehungspunkt entwickelt. Besonders an den Wochenenden sind die Züge auf den Nebenstrecken daher besonders stark frequentiert. Ist der Zug nicht in Sichtweite, sind die Gleisanlagen auch schon mal gern genutzter Treffpunkt für die Menschen.
5. Eisenbahnflair in den Stationen
Egal ob Haupt- oder Nebenstrecken, bei einem Großteil der Stationen und Bahnhofsanlagen ist ein großes Traditionsbewusstsein der Eisenbahner zu erkennen. Dies wird in der Pflege von Erinnerungsstücken, Gedenktafeln und auch dem Erhalt bestimmter, eigentlich überflüssiger Ausrüstungen immer wieder deutlich und macht den Eisenbahnbetrieb interessant. An zahlreichen Stationen werden auch außer Betrieb gesetzte Fahrzeuge als Schaustücke ausgestellt. Abstellgleise sind oftmals ein Schaufenster in die frühere noch intensivere Nutzung der Eisenbahn für den Gütertransport.Text & Fotos: Jörg Müller
Vorankündigung: Der abschließende Teil 7 der Artikelreihe wird sich speziell den Museen, Denkmälern und Erinnerungsobjekten der Eisenbahn in Taiwan widmen. Jörg Müller
15.06.2017
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