Preßnitztalbahn aktuell
Zum Gasteinsatz von 99 1542-2 in Österreich
In der Redaktionsschlussphase des vorigen Preß’-Kuriers fehlte die Zeit zum Vollenden des auf der Titelseite angekündigten Textes über den Gasteinsatz der Jöhstädter Dampflok 99 1542-2 in Österreich. In den vergangenen Wochen ließ sich das einerseits nachholen und andererseits um weitere Hintergrundinformationen ergänzen, so dass wir dazu jetzt ausführlich berichten können:
Wie die Deutsche Reichsbahn, so zogen sich auch die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) in den vergangenen Jahrzehnten vom Betrieb ihrer Schmalspurbahnen immer mehr zurück. Als die vor 40 Jahren zum Weiterbetrieb der niederösterreichischen Höllentalbahn von Payerbach nach Hirschwang gegründete Österreichische Gesellschaft für Lokalbahnen (ÖGLB) hörte, dass die ÖBB den 1988 eingestellten Bergabschnitt der Ybbstalbahn von Lunz am See nach Kienberg-Gaming abreißen wollten, rief der Verein aus seinen Reihen eine Arbeitsgruppe ins Leben. Diese Sektion der ÖGLB übernahm von den ÖBB im Juni 1990 den genannten Streckenabschnitt und betreibt ihn seitdem als „Ybbsthalbahn Bergstrecke“. Den Zugbetrieb vermarktet der Verein seit einigen Jahren zusätzlich unter dem Namen Ötscherland-Express. Die Betriebsführung hält seit 1990 die Niederösterreichische Lokalbahnen GesmbH inne. In Reminiszenz an die Niederösterreichischen Landesbahnen, die bis 1922 die meisten Lokalbahnen in Niederösterreich errichtet und betrieben hatte, wählte die ÖGLB als Abkürzung für ihre Betreibergesellschaft die Buchstaben NÖLB.
Die „übrige“ Ybbstalbahn
Zwischen Waidhofen an der Ybbs und Lunz am See (53,5 km) sowie von Gstadt nach Ybbsitz (5,7 km) boten die ÖBB in den 1990er Jahren einen täglichen Schienenpersonennahverkehr mit Dieseltriebwagen an. Nachdem sich die ÖBB, das Land Niederösterreich und die Gemeinden nach dem Jahr 2000 auf keinen vollständigen Weiterbetrieb des in Staatshand verbliebenen Teils der Ybbstalbahn einigen konnten, wurden die Abschnitte Gstadt – Ybbsitz sowie Gstadt – Lunz am See am 10. Dezember 2010 eingestellt. Um den knapp zehn Kilometer langen Abschnitt von Lunz am See nach Göstling an der Ybbs bemühte sich die ÖGLB beim Land Niederösterreich, die Gleise zwischen Gstadt und Göstling ließ das Land hingegen Anfang 2014 abbauen. Anschließend entstand auf fast der kompletten Trasse ein Radweg. Am 17. Juni 2017 weihten das Land und die Gemeinden den zwischen Gstadt und Göstling errichteten Ybbstalradweg ein.
ÖGLB-Betrieb bis Göstling an der Ybbs
Vor dem Abriss der unteren Ybbstalbahn übernahm die ÖGLB im Frühjahr 2013 den Abschnitt von Lunz am See nach Göstling an der Ybbs zur Pacht. Damit erhöhte sich das von der NÖLB betriebene Streckenstück der Ybbs- talbahn von knapp 17,5 km auf fast 27 km (38 Prozent der Ybbstalbahn). In der Saison 2013 und 2014 gab es daraufhin regulären Betrieb von Kienberg-Gaming bis Göstling. Im Zuge der Verlängerung der seit 1990 gültigen Bewilligung des Fahrbetriebes auf der Bergstrecke verzögerte eine Abteilung des Landes Niederösterreich der ÖGLB jedoch im Jahr 2015 einen durchgängigen Betrieb ab Kienberg-Gaming, so dass die Museumszüge lediglich zwischen Lunz am See und Göstling fuhren. Seit vorigem Jahr befährt der Verein wieder die Gesamtstrecke von Kienberg-Gaming bis Göstling nunmehr mit einem unbefristeten Bescheid.
Die ÖGLB und die IG Preßnitztalbahn e. V.
Für das Jubiläum „40 Jahre ÖGLB“ suchte der Verein mit Hauptsitz in Wien bereits im vorigen Jahre nach einer Attraktion. Anregungen fanden Vorstandsmitglieder dafür in den vergangenen Jahren bei ihren Besuchen in Sachsen. Denn mindestens aller zwei Jahre nehmen ÖGLB-Aktive in Jöhstadt Quartier, um den Betrieb zwischen Jöhstadt und Steinbach zu erleben und sich mit Mitgliedern der IG Preßnitztalbahn e. V. auszutauschen. Daraus wuchs eine Vereinsfreundschaft, die ein im vorigen Jahr unterzeichneter Partnerschaftsvertrag manifestiert. Beide Vereine sind stets auf der Suche, ihrem Publikum etwas Besonderes zu bieten, sehen sich aber zugleich in der Pflicht, die Erinnerung an den Schmalspurbahnbetrieb in ihrer Heimatregion mit authentischen Fahrzeugen und Details wach zu halten. Beide Vereine betreiben zudem Eisenbahnen in einem Mittelgebirge mit all den dazu gehörenden klimatischen Herausforderungen – und nicht zuletzt geben beide Vereine eine Vereinszeitschrift im Format A5 heraus. Bei den Besuchen im Erzgebirge lernten mehrere Lokführer und Heizer der ÖGLB den Umgang mit den Loks der sächsischen Gattung IV K kennen. Die Jöhstädter Vereinsmitglieder interessierten sich hingegen für die in ÖGLB-Eigentum befindlichen Dampflokomotiven, zu denen auch eine der österreichischen Reihe U gehört. Immerhin fuhr eine solche Maschine in den 1940er Jahren auf der Schmalspurbahn von Hetzdorf über Eppendorf nach Großwaltersdorf auch im Erzgebirge.
Sächsische Schmalspurdampfloks in Österreich
Einen Einsatz von schmalspurigen Dampflokomotiven aus Sachsen auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich hat es in der Vergangenheit lediglich in den 1940er Jahren gegeben. Zur Unterstützung der Reichsbahndirektionen (RBD) im damals zum Deutschen Reich gehörenden Österreich setzte die RBD Dresden im Jahr 1944 je eine Lokomotive der sächsischen Gattung VI K in die RBD Wien und in die RBD Villach um. Die Lommatzscher 99 643 kam im Juli 1944 direkt ins Waldviertel. Die Schwesterlok 99 647 gelangte im Juli 1944 hingegen nach Kärnten zur Strecke Völkermarkt-Kühnsdorf – Eisenkappel. Ob sie auf der 17,5 km langen Vellachtalbahn zum Einsatz kam, ist nicht nachweisbar. Ende August 1944 kam diese VI K ebenfalls ins Waldviertel. Dort überrollte sie im Frühjahr 1945 die Front. Nach Kriegsende erklärten die Sowjets auch diese beiden VI K zu ihrem Beutegut und ließen sie im Dezember 1948 in die Sowjetunion abfahren. Der Einsatz von Lokomotiven der sächsischen Gattung IV K auf zum altösterreichischen Herrschaftsbereich gehörenden Territorien beschränkte sich bisher auf den Heeresfeldbahnbetrieb in Galizien (heutiges Südostpolen) und in Siebenbürgen, das während des Ersten Weltkrieges noch komplett zur ungarischen Reichshälfte der Habsburg-Monarchie gehörte. Derartige Kriegseinsätze hatten bewiesen, dass ein Betrieb von 750-mm-Fahrzeugen meist ohne Komplikationen auch auf Gleisen mit 760 mm Spurweite möglich ist.
Jubiläumsgeschenk für Partnerverein
Die Idee, eine IV K von der Preßnitztalbahn auf der Ybbstalbahn fahren zu lassen, entstand im Jahr 2000 bei einem gemütlichen Abend von Mitgliedern der ÖGLB und IG Preßnitztalbahn e. V. in der damals noch existenten Gaststätte „Zur scharfen Ecke“ in Jöhstadt. Unklar waren aber viele Jahre der Anlass und vor allem die Finanzierung für eine solche Aktion. Im Dezember 2016 besuchten mehrere ÖGLB-Aktive wieder die Preßnitztalbahn. In diesen Tagen kam es unter anderem zu Gesprächen mit dem Vorsitzenden der IGP sowie mit dem Geschäftsführer der PRESS und zugleich langjährigen Vorsitzenden der IGP. Dabei berichteten die Österreicher von ihrem bevorstehenden 40. Vereinsjubiläum im Jahr 2017. Die IGP und PRESS entschieden daraufhin, im Sommer 2017 eine IV K aus Jöhstadt ins Alpenvorland zu bringen und dem Partnerverein als Jubiläumsgeschenk leihweise für die Fahrten auf der Ybbstalbahn zur Verfügung zu stellen. Voraussetzung für die öffentlichen Fahrten war die Tauglichkeit der Maschine auf den dortigen 760-mm-Gleisen, speziell auf Weichen. Die Lokomotiven der sächsischen Gattung VI K sind für die Ybbstalbahn zu schwer und würden vor den zweiachsigen Wagen auch zu groß wirken. Die Lokomotiven der sächsischen Gattung IV K passen hingegen von ihrer Größe ideal zu den vorhandenen österreichischen Fahrzeugen. Die ÖGLB und die IGP beschlossen, mit dem IV K-Einsatz erst an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn er von der zuständigen Aufsichtsbehörde in Österreich gestattet worden ist. Zur Ermittlung der Einsatztauglichkeit brachte die PRESS in der zweiten Aprilhälfte 2017 die IV K 99 1542-2 nach Kienberg-Gaming. Am 22. April absolvierte diese mit einem zuvor in Jöhstadt angefertigten Kupplungsadapter eine Probefahrt mit zwei saugluftgebremsten zweiachsigen Personenwagen der ÖGLB. Aufgrund eines erneuten Wintereinbruches im Ötscherland führte die Fahrt nur bis zur sechs Kilometer entfernten Betriebsstelle Mitterau. Von dort zog die aus Rumänien stammende Diesellok 2099.01 vom Typ L45H den Zug zurück nach Kienberg-Gaming. Ein von der niederösterreichischen Aufsichtsbehörde anerkannter Ingenieur attestierte der IV K auf den 760-mm-Gleisen einen einwandfreien Lauf. Lediglich auf Weichen empfahl er eine geringe Geschwindigkeit. Das aus Jöhstadt angereiste Personal sammelte bei der Probefahrt seinerseits die notwendige Streckenkenntnis. Nach drei Tagen in Österreich kehrte die 99 1542-2 Ende April auf dem Tieflader der PRESS ins Erzgebirge zurück. Nach dem Eintreffen der Betriebserlaubnis für öffentliche Züge bewarb die ÖGLB ab Juni den Einsatz einer sächsischen IV K an den Wochenenden 22./23. und 29./30. Juli sowie am 5./6. August.
Der öffentliche Einsatz im Sommer 2017
Die Ankündigung des IV K-Einsatzes auf der Ybbsthalbahn-Bergstrecke sorgte für großes Aufsehen – sowohl in Österreich als auch in Deutschland. So manche Laien, aber auch selbsternannte Experten glaubten an einen verspäteten Aprilscherz, weil sie im preußischen Korrektheitswahn die um einen Zentimeter abweichende Spurweite als Ausschlusskriterium ansahen. Doch wenn die ÖGLB oder die IGP etwas ankündigen, dann funktioniert das auch! Zumindest technisch, denn ein Parameter sorgte bei Werner Schiendl, dem Obmann des österreichischen Vereins, Anfang Juli noch für Sorgenfalten: die Trockenheit. Im Alpenvorland galt zu diesem Zeitpunkt eine hohe Waldbrandgefahrenstufe. Mehrere Regenfälle entspannten Mitte Juli die Situation. Daraufhin rollte am 20. Juli erneut 99 1542-2 auf dem PRESS-Tieflader von Jöhstadt nach Kienberg-Gaming. Am nächsten Tag absolvierte sie zwei Probefahrten. Während die erste mit fünf Personenwagen über die Bergstrecke nach Lunz am See führte, nahm sie bei der zweiten acht zweiachsige Wagen mit und fuhr damit bis Göstling an der Ybbs. Auch dabei überzeugte die IV K mit ihrer Leistungsfähigkeit. Dennoch blieb das die einzige Fahrt auf der Gesamtstrecke des Vereins bis Göstling, da der Gasteinsatz bewusst auf dem spektakulären Stammabschnitt der ÖGLB – der Bergstrecke von Kienberg-Gaming nach Lunz am See – angekündigt war. Auf diesem Streckenteil befinden sich mit dem Hühnernest- graben- und dem Wetterbachviadukt zwei im Bogen errichtete Gerüstpfeilerviadukte, wie sie ähnlich einst zwischen Stützengrün und Schönheide zu finden waren. An den drei folgenden Wochenenden befuhr die IV K sonnabends und sonntags jeweils zwei Mal die Bergstrecke nach Lunz am See. Auf dem Führerstand der Lok teilten sich Lokführer und Heizer aus Jöhstadt und von der ÖGLB die Dienste – gelebte Vereinspartnerschaft. Nachts stand die 99 1542-2 im Lokschuppen in Kienberg-Gaming, in dem die derzeit nicht betriebsfähigen Dampfloks „Molln“ (ex ÖBB 298.104), Uv.1 (ex ÖBB 298.205) und NÖLB U.1 (ex ÖBB 298.51), aber auch die einzigartigen Diesellokomotiven der ÖGLB untergestellt sind. Der Einsatz der Gastlok aus Deutschland fand in der österreichischen Tagespresse eine große Resonanz. Dadurch wuchs der Zuspruch auf die Fahrten weiter an. Insgesamt nutzten an den drei Wochenenden etwa 2000 Fahrgäste die Gelegenheit für eine Fahrt hinter der IV K über die Bergstrecke. Nachdem die ÖGLB am 6. Mai zur offiziellen Jubiläumsfeier an ihren Gründungsort im niederösterreichischen Höllental eingeladen hatte, war dieser Zuspruch auf der Ybbsthalbahn der zweite Höhepunkt im Festjahr „40 Jahre ÖGLB“.
Medienecho und Fazit in Deutschland
Der Einsatz der Jöhstädter IV K in Österreich sorgte auch in Deutschland für Schlagzeilen. So widmete der „Eisenbahn-Kurier“ aus Freiburg diesem Thema neben einer Doppelseite in der Ausgabe 9/2017 sogar das Titelbild. Das „Dampfbahn-Magazin“ aus Zittau würdigte den Gasteinsatz ebenfalls mit einer Doppelseite, wobei der Vortextschreiber die Namen des Vereins und der Betreibergesellschaft im Ybbstal verwechselte: Nicht die 1990 gegründete NÖLB, sondern die ÖGLB feiert in diesem Jahr ihr 40-jähriges Bestehen … Unter anderem im Meldungsteil des „Lok-Magazin“ gab es ebenfalls eine Meldung mit einem Nachrichtenbild. Für die Verlagsgruppe Bahn (VGB) war mit Joachim Schmidt einer der führenden deutschen Filmemacher im Ybbstal vor Ort, so dass bald auch ein Film den Gasteinsatz in Erinnerung halten wird. Für die Personale aus Sachsen und Österreich war ihr gemeinsamer Dienst auf der IV K ebenfalls unvergesslich. Die Aktion brachte die Mitglieder beider Vereine noch enger zusammen, so dass sich die spannende Frage stellt, was die beiden Vorstände als nächstes planen – im Preß’-Kurier werden Sie davon lesen! André Marks/Werner Schiendl
Nachtrag: Die ÖGLB lädt in diesem Jahr noch am 2./3.sowie vom 8. bis 10. Dezember zu den Adventsfahrten auf die Ybbstalbahn ein. Dann zieht eine Diesellok (voraussichtlich 2099.01) die Züge zwischen Kienberg-Gaming und Göstling an der Ybbs.
30.09.2017