Eisenbahnen außerhalb Europas
Schmalspurige und andere schnelle Eisenbahnen in Taiwan, R.O.C. - Teil 4
Holztransport auf 500 mm und 762 mm Spurweite im Gebirge
Dieser Teil der Artikelreihe widmet sich noch einmal, nachdem Teil 2 über die Alishan-Mountain Railway berichtete, den schmalspurigen Schienensystemen in Gebirgslagen bis zu 2000 m über dem Meeresspiegel. Doch wenn man auch hier mit Fug und Recht von Netzen an solchen Bahnen sprechen kann, haben diese einen ganz anderen Charakter als Eisenbahnnetze nach europäischer Vorstellung. Zur Einordnung der im Artikel erwähnten Waldbahnen hilft wieder die schematische Karte, die jedoch keine Vollständigkeit über alle derartigen Bahnen widerspiegeln kann. Für den Autor waren die erwähnten Gebiete Ziele von einzelnen Exkursionen, weil eine öffentliche Infrastruktur den Zugang zu den Waldgebieten gewährleistet. Weitere Holzabbaugebiete, die nach dem Ende der intensiven Nutzungen in den 1970er Jahren nicht für Nachfolgenutzungen erschlossen blieben, sind heute mangels Straßen oder Wegen einfach nicht mehr erreichbar.
1. Holz, Holz, Holz
Die intensive wirtschaftliche Ausbeutung des anfänglich scheinbar unendlichen Holzbestandes auf der Insel Formosa, der im Gegensatz zu den japanischen Inseln oder auch Europa noch komplett in Form von Menschenhand unberührtem Urwald bestand, trieb in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts geradezu abenteuerliche Blüten. Die Holzindustrie entwickelte sich innerhalb weniger Jahre zum führenden Wirtschaftszweig der japanischen Provinz Taiwan, in der auch immer mehr Menschen ihren Lebenserwerb fanden. Um den Transport kompletter Baumstämme vorrangig zu den japanischen Hauptinseln zu vermeiden, fand bereits ein Großteil der Weiterverarbeitung auf Formosa statt. Ein erheblicher Anteil von Sägemühlen und weiterverarbeitenden Gewerben siedelte sich entlang der Gebirgsränder und an den Küstenstädten an. Noch heute kann man die Tradition der Holzverarbeitung in Museen, Ausstellungen und bei Präsentationen des lokalen Brauchtums erleben. Über 50 Jahre intensiver Holzabbau sorgten aber auch dafür, dass die imposanten Baumriesen, die bis zu ihrer Fällung zumeist mehrere Jahrhunderte Lebenszeit hatten, völlig aus den zugänglichen Waldgebieten verschwunden sind. Dank tropischer und subtropischer Klimabedingungen ist inzwischen in fast allen Rodungsgebieten wieder üppige Regenwaldvegetation zurückgekehrt – die Vorstellung der Größe dieser besonderen Baumgiganten, von denen man in den Wäldern noch Wurzelreste und Stammteile finden kann, lässt den Verlust nur erahnen.
2. Technische Akrobatik
Die erste Erschließung der höheren Gebirgsregionen, in denen es besonders wertvolle alte Baumriesen gab, fand Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Alishan-Mountain-Railway über eine lange Rampe mit Kehrschleifen und Kehrtunneln bis auf 2200 m Höhe statt. Spätestens ab den 1920er Jahren setzten die Holzfällergesellschaften auf neue Technologien. Dabei kombinierten sie die Seilbahnen, Schrägaufzüge und Lastenhängebahnen mit Eisenbahnen. Dadurch waren aufwendige und streckenverlängernde Gleise oder starke Steigungen vermeidbar. Der Bau der Transportsysteme verlief an mehreren Zugangsstellen zum Gebirge ähnlich. Mit einer 762-mm-Eisenbahnstrecke wurde die Anbindung von einer Ortschaft mit Eisenbahnstation bis zum Fuß des Gebirgsmassives hergestellt. Hier gab es teils sogar regulären öffentlichen Personenverkehr. Ab der ersten starken Steigung begann dann ein System aus Seilbahnen oder Schrägaufzügen, mit denen die „Carts“ oder Holzschemelwagen (und natürlich auch bei Notwendigkeit Lokomotiven und andere Ladungen) auf eine höhere Ebene befördert wurden. Hier führte dann wieder eine Eisenbahnstrecke, gelegentlich mit Verzweigungen, bei geringer Steigung entlang von Berghängen auf gleicher Höhenlinie bis zur nächsten Seilbahn oder Aufzuganlage. Dieses Wechselspiel akrobatisch anmutender Verknüpfungen wiederholte sich in manchen Abbaugebieten bis zu sechs Mal, um so in die Regionen der Baumriesen oberhalb von 1500 m über dem Meer zu gelangen. Für den Betriebsablauf brachte das zahlreiche Vorteile mit sich. So genügte bei den Betriebsmitteln der Streckensegmente in den Bergen einfachste Technik. Die Loren waren ohne Bremse ausgestattet und wurden mit der Lok über Zugstangen oder Seile verbunden. Kleine Dieselloks reichten aus, die Holzlorenzüge von den Einschlagstellen oder von der Übergabestelle der vorherigen Ebene zur Übergabestelle der nächsttieferen Ebene ohne große Steigungen oder Gefälle zu befördern. Andererseits konnte man damit auch die leicht zu haltenden Loks per Lastenaufzug oder Seilbahn hinaufbringen. Per Lift oder Seilbahn wurden die kompletten Loren bzw. Rungenwagen mit verladenen Baumstämmen von einer Ebene zur nächsten befördert. Insgesamt wiesen diese verzweigten Netze Streckenlängen von mehreren hundert Kilometern auf. War ein Bereich abgeholzt, blieb das Gleis liegen. Für die Holzfäller waren die Lorenzüge die einzige Gelegenheit, von und zu den Übergabestellen zu kommen. Bei der touristischen Erschließung einiger Gebiete in den 1960er und 1970er Jahren standen diese Eisenbahnen, Aufzüge und Seilbahnen auch diesen Besuchern zur Verfügung. Allerdings entstand daraus nirgends ein nennenswertes Beförderungsaufkommen und die Einstellung des Holzeinschlages ab Mitte der 1970er Jahre ließ diesen Nebenerwerb ebenfalls zum Erliegen kommen. An wenigen Stellen begannen die Gemeinden und Kreise Jahre später damit, einen Teil der Anlagenreste für touristische Zwecke nutzbar zu machen.
3. Betriebsmittel
Die Betriebsmittel der Waldbahnen waren, dem Betriebsablauf entsprechend, zumeist sehr einfach. Auf den Flachstrecken im Tal, die den Abtransport des Holzes in Zügen bis zum Anschluss an die nächste TRA-Strecke zu bewerkstelligen hatten, waren die Lokomotiven zumeist aus japanischer Produktion und leistungsstärker als im Gebirge. Hier waren teils noch bis zum Ende der Holzproduktion in den 1970ern Dampflokomotiven eingesetzt. Personenverkehr spielte vor allem für die im Wald Beschäftigten und die örtliche Bevölkerung eine Rolle, um die Zubringerfunktion von der nächsten größeren Ansiedlung zu den am Ausgangspunkt der Forstgebiete entstehenden Arbeitersiedlungen zu gewährleisten. Auf den Bahnen in Gebirgslage kamen von Anfang an kleine zwei- oder dreiachsige Dieselloks zum Einsatz, die zwei Meter lange zweiachsige Flachwagen („Carts“) zogen, wobei die auf zwei Wagen gelegten Baumstämme dann die Verbindung zwischen diesen herstellten. Der Einsatz von Dieselloks hatte den Vorteil, dass die Versorgung über Diesel in Fässern einfach zu handhaben war.
4. Verbliebene Zeugnisse
In den Gebieten Lintienshan (Fenglin Township, Hualien County), Taipingshan (Yilan County) und Wulai (New Taipei City) wurden die Ausgangspunkte der früheren Holzabbaugebiete zu Naherholungsgebieten umgestaltet. Vielfältige Bezüge zur kulturhistorischen Bedeutung der früheren Holzindustrie sind in Museen, über Schautafeln, durch Displays und durch die Integration von Holzindustrieanlagen in Parks und Wanderwege nachzuerleben. Die wesentliche Rolle der Eisenbahn bei der Erschließung dieser Naturressourcen wird an diesen Stellen einprägsam gezeigt. Im Wulai-Gebiet und im Taiping Mountain Forest Recreation Area können Besucher auf kurzen Strecken das Flair der Waldbahnen in der Inkarnation als Touristenbahn erleben. Im Jahr 2016 waren beide Strecken nach den Zerstörungen durch den Taifun Soudelor vom August 2015 nicht im Betrieb, die Wiederherstellung der Anlagen läuft aber.
07.12.2016
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