Eisenbahnen außerhalb Europas
Schmalspurige und andere schnelle Eisenbahnen in Taiwan, R.O.C. - Teil 3
Auf 762 mm Spurweite im Weltrekord bis zu 70 km/h schnell
Dieser Teil der Artikelreihe widmet sich einem weiteren, aber leider schon historischen Superlativ auf 762 mm Spurweite von Taiwan. Zur geografischen Einordnung hilft wiederum die schematische Streckenkarte der Eisenbahnstrecken auf der Insel Formosa.
1. Geologische Herausforderungen
Zu einer Zeit, als das Eisenbahnnetz auf dem westlichen Drittel der Insel Formosa am Anfang des 20. Jahrhunderts in Kapspur schon im kontinuierlichen Ausbau durch die japanische Provinzregierung stand, wirkte das Gebirgsmassiv an der Nord- und Südspitze der Insel noch als natürliche Barriere. 1924 wurde die „Yilan-Line“ mit zahlreichen Tunneln um die Nordspitze herum bis Yilan errichtet, jedoch erst 1991 wurde mit dem Lückenschluss der „South-Link-Line“ der Kreis ums Gebirge tatsächlich vollendet. Eine geologische Besonderheit und die Tatsache, dass über das an der Inselostseite steil abfallende Gebirge auch die wertvollen Holzvorräte schneller talwärts gebracht werden konnten, machten zwischen den größten Ansiedlungen Hualien und Taitung im Osten zuvor bereits den Bau einer Eisenbahn erforderlich. Schaut man sich dabei den Abschnitt zwischen diesen beiden Ortschaften an, fällt zwischen den in der Karte grün markierten Gebirgsflächen ein schmaler Streifen Flachland auf. Ein derartiges in Nord-Süd-Richtung verlaufendes, rund 150 km langes Tal ist sehr ungewöhnlich. Erst bei einem Blick auf eine Karte mit plattentektonischen Details fällt auf, dass genau hier die eurasische Kontinentalplatte und die philippinische Platte aneinander stoßen. Der schmale Gebirgsstreifen war vor einigen Millionen Jahren noch eine eigene Insel, die nun am Rand unter „Eurasien“ geschoben wird. Damit geht einher, dass regelmäßige Zerstörungen durch das fast täglich von Erdbeben heimgesuchte Taiwan nur durch ein konsequentes erdbebengerechtes Bauen in jüngerer Zeit vermieden wird.
Da speziell in diesem langgezogenen Tal aber verschiedene Transportwege aus den Seitentälern des Hochgebirges mündeten, musste die weitere Verbringung des Holzes zu den Häfen nach Norden oder Süden bewerkstelligt werden. Dies gab den Ausschlag für eine unabhängige Erschließung der Ostküste per Eisenbahn.
2. Taitung Line mit 762 mm Spurweite
Am 1. Februar 1910 begann der Bau der 90 km langen Bahnstrecke von Hualien in südlicher Richtung bis Yuli, die 1917 eröffnet wurde. 1919 wurde von Taitung nach Guanshan in nördlicher Richtung ein rund 40 km langes Streckenstück in Betrieb genommen. Die Verbindung zwischen den beiden Abschnitten wurde 1921 begonnen und 1926 vollendet, so dass die nun „Taitung Line“ genannte Eisenbahnstrecke auf insgesamt 171,8 km Länge kam. Da zu Beginn eher von einfachen Betriebsabläufen ausgegangen wurde, entschied sich die Eisenbahnverwaltung der japanischen Kolonie für die 762 mm-Spur. Der nördliche Abschnitt wurde aber zumindest streckenweise schon vorsorglich so angelegt, dass man später bei Bedarf einfach auf 1062 mm umrüsten könnte. Dass dies dann rund 70 Jahre später tatsächlich in die Tat umgesetzt werden sollte, spricht für eine gewisse Weitsicht bei der Planung der Anlagen. Für den vergleichsweise spärlichen Reiseverkehr wurde zwischen Hualien und der nördlich gelegenen Stadt Yilan eine Fähranbindung eingerichtet, die bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts noch betrieben wurde. Sie wurde mit der Fertigstellung der Kapspur-Linie von Yilan nach Hualien am 1. Februar 1980 eingestellt. Während anfänglich aufgrund der bogenreichen Streckenführung und der sehr einfachen Oberbaukonstruktionen Personenzüge zwischen sieben und acht Stunden für die 172 km sowie Güterzüge sogar bis zu elf Stunden benötigten, sorgten umfangreiche Begradigungen und Verbesserungen im Oberbau sowie bei Brücken und Tunneln für eine rapide Verkürzung der Reisezeit. Zunächst konnte Ende der 1950er Jahre die Strecke in vier Stunden bewältigt werden, ab 1968 kamen einzelne Züge sogar bei bis zu 25 Zwischenstationen mit reichlich drei Stunden Gesamtreisezeit aus. Per 1. Dezember 1977 begann die Taiwan Railway Administration offiziell mit den Vorbereitungen für den Umbau auf Kapspur. Ab 1. Juli 1978 begannen dann beidseitig die Arbeiten von Hualien und Taitung aus. Teilweise wurde das Gleis auf dem vorhandenen Bankett auf ein 4-Schienen-Gleis erweitert, stellenweise errichtete man neben dem 762-mm-Gleis ein paralleles in 1067-mm-Spur oder es wurde zur Begradigung der Linienführung insbesondere bei Tunnel- und Brückenabschnitten eine komplett neue Streckenführung aufgebaut.
Ziel dieser Vorgehensweise war, innerhalb kürzester Zeit den Eisenbahnbetrieb von einer genutzten Spurweite auf die andere umzustellen. Mischbetrieb gab es laut der verfügbaren Literatur auf der ganzen Strecke zu keiner Zeit. Da aber ab Februar 1980 bis zur offiziellen Umstellung auf Kapspur am 26. Juni 1982 in Hualien schon beide Spurweiten aufeinander trafen, wäre dies zumindest theoretisch möglich gewesen. Mit dem Abschluss der Umspurung wurde der alte Bahnhof in Hualien aufgegeben und ein neuer – etwas außerhalb des Ortskerns – für die Kapspur angelegt. Infolge Streckenoptimierungen, des kompletten zweigleisigen Ausbaus und der Elektrifizierung der „Taitung Line“ bis 2014 reduzierte sich die Streckenlänge auf nunmehr 150,9 km.
3. Betriebsmittel der 762-mm-Schmalspurbahn
Als Betriebsmittel kamen seit der Streckeneröffnung bis Anfang der 1950er Jahre ausschließlich dampflokgeführte Züge zum Einsatz. Da die Eisenbahn infolge amerikanischer Angriffe auf stationierte japanische Truppen im Zweiten Weltkrieg in Hualien und Taitung die Zahl der verfügbaren Betriebsmittel drastisch limitiert sah, begann man mit der Umsetzung von Fahrzeugen von anderen Schmalspurstrecken des Landes und mit dem Aufbau von Fahrzeugen in den eigenen Werkstätten. Ab 1957 kamen die ersten Dieseltriebwagen der Baureihe LDR 2200 als Lizenzproduktion nach japanischem Vorbild aus den Werkstätten der TRA in Taipei und Hualien auf die Strecke. Mit den 1970 von Tokyo Sharyo gelieferten Dieseltriebwagen der Reihe LDR 2300 wurden auf der Strecke dann Höchstgeschwindigkeiten von 70 km/h gefahren – mithin Weltrekord für diese Spurweite. Erste Dieselloks kamen ebenfalls ab Anfang der 1950er Jahre auf die Strecke, doch konnten sie bis 1982 die Dampfloks nicht gänzlich verdrängen. Die dieselhydraulichen Loks der Reihe LDH 100 wurden ab 1970 beschafft.
4. Reste der Schmalspurbahn heute
Mit der Umspurung verschwand die 762-mm-Schmalspurbahn nicht vollständig aus der Landschaft, doch müssen frühere schmalspurige Gleisabschnitte, Tunnel und Brücken schon aufmerksam gesucht werden, Vier-Schienen-Abschnitte sind nicht mehr vorhanden. Einige Fahrzeuge sind weiterhin als Denkmäler erhalten, die Dampflok LDK 58 und der Dieseltriebwagen LDR 2201 stehen repräsentativ vor dem Hauptbahnhof in Taipei, während die Diesellok LDH 101 und der für 70 km/h ausgelegte Beiwagen LTPB 1813 im Freilichtmuseum in Miaoli ein Zuhause gefunden haben. Eine im Jahr 2012 angelegte knapp 1,2 km lange 762-mm-Strecke vom Depot bis zum Bahnhof in Hualien ist quasi ganz neu. Im Frühjahr 2015 war der damit erhoffte Schwung als neuer touristischer Anziehungspunkt für die Region bereits wieder abgeklungen und die neuen Gleisanlagen offenbarten schon ziemliche Stillstandsanzeichen. Eine Triebwagengarnitur mit LDR2307, LDR2204, zwei weiteren Wagen sowie die Dampflok LDK 59 werden in einem Neubauschuppen vorgehalten. Über Einsätze wird leider nichts berichtet.
14.10.2016
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