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Rezensiert: Die Eisenbahnen in Bosnien und der Herzegowina
Werner Schiendl/Franz Gemeinböck
Die Eisenbahnen in Bosnien und der Herzegowina, Band 2: 1918 – 2016
368 Seiten DIN A4 mit 416 teils farbigen Abbildungen und 25 Landkarten und Skizzen sowie zahlreichen Tabellen Verlag Bahn im Film, Wien 2017. ISBN-13: 978-2-9503096-7-6 Preis: 59,– Euro, in Deutschland teils 62,– Euro*
Der Nimbus des bosnischen Schmalspurbahnnetzes gründet auf Superlativen. Ab 1878 errichteten Österreich-Ungarn und das von ihm verwaltete Balkanland das gewaltigste Schmalspurnetz Europas mit 760 mm Spurweite, das später eine Länge von etwa 2000 km erreichte. Den Aufbau bis November 1918 schilderte Werner Schiendl in einem im Jahr 2015 erschienen Band 1. Der in diesem Sommer erschienene Band 2 stellt die Entwicklung vom Kriegsende 1918 bis ins Jahr 2016 vor. Obwohl dieses Buch als Fortsetzung angelegt ist, geben die ersten 20 Seiten einen groben Überblick über den im Band 1 im Detail beschriebenen Inhalt. Da nach dem Zerfall von Österreich-Ungarn das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS-Staat) ausgerufen wurde (in dem Bosnien und die Herzegowina aufgingen), folgt ein Kapitel über die Entwicklung der Eisenbahnen in Serbien 1888 bis 1918. Das nächste Kapitel steuerte Franz Gemeinböck bei. Er stellt alle vor 1918 gebauten bosnischen und serbischen Schmalspurlokomotiven vor. Der zweite Buchteil widmet sich der Zeit von 1918 bis 1941, in der Jugoslawien aus dem SHS-Staat entstand. Wie im Band 1 liefert Werner Schiendl dabei erneut ein umfangreiches Hintergrundwissen zur allgemeinen Geschichte der Region als Grundlage, um die Entwicklung des Eisenbahnnetzes verstehen zu können. Franz Gemeinböck beschreibt anschließend die bis 1941 in Jugoslawien eingesetzten Fahrzeuge. Nach diesem Schema – politische Entwicklung, Änderungen im Eisenbahnwesen, eingesetzte Fahrzeuge – porträtiert der Teil 3 die Kriegsjahre bis 1945 und der Teil 4 die Zeit bis 1988. In beiden Teilen werden auch die an Bosnien angrenzenden Eisenbahnen mit deren Fahrzeugen berücksichtigt. Da in jenen Jahren der Großteil des bosnischen Schmalspurnetzes auf Regelspur umgebaut wurde, trägt das Buch den Titel „Die Eisenbahnen …“, – denn Werner Schiendl berichtet zudem über die Umspurung und die regelspurigen Eisenbahnen, wenn auch nur am Rande. Ausführlicher werden die Straßenbahnen in Bosnien und in der Herzegowina vorgestellt. Im fünften Buchteil schildern die beiden Autoren den Zerfall Jugoslawiens und dessen Folgen auf das Eisenbahnwesen sowie die heute vorhandenen Teile der bosnischen Schmalspurbahnen. Neben der Touristenstrecke nach Mokra Gora und der Kohlenbahn Banovići stellen sie auch die im Ausland erhaltenen Lokomotiven und Wagen aus Bosnien bzw. Jugoslawien vor. Zum Anhang gehören die zahlreichen Quellenangaben und Endnoten sowie das Quellen- und Literaturverzeichnis, aber beispielsweise auch ein Verzeichnis aller 760-mm-Triebfahrzeuge Jugoslawiens mit Herstellerangaben, Betriebsnummern und weiteren Anmerkungen. Eine einseitige Korrigenda von Band 1 unterstreicht den wissenschaftlichen Charakter der Werke. Allein das Nennen der Fehler beweist wahre Größe, an der sich viele deutsche Verlage ein Beispiel nehmen sollten! Beschrieb der Rezensent bisher die Struktur des Buches, so liegt es ihm jetzt am Herzen, vom Tiefgang der Texte und von den Illustrationen zu schwärmen. Besitzer des Buches werden sich über eine prall gefüllte Truhe fotografischer Schätze freuen. Das Spektrum reicht von klassischen Streckenaufnahmen und Fahrzeugporträts über einmalige Fotos von Ringlokschuppen, stolzen Schlepptenderlokomotiven mit für deutsche Verhältnisse ungewohnt langen Schmalspurzügen bis zu einer spannenden Gleistrassierung mit atemberaubenden Viadukten. Freunde deutscher Fahrzeuge kommen unter anderem mit Aufnahmen der III K-Vorbilder, der IV K Nr. 139, der „Luttermöller-VI K“ sowie von teils sogar sechsachsigen Henschel-Mallets auf ihre Kosten. Die unterschiedlichen Bauarten der Wagen stellen die Autoren ebenfalls detailliert vor. Dazu lediglich eine Korrektur: Auf Seite 194 ist unten kein Neubauwagen aus der Zeit nach 1945 abgebildet, sondern ein im Ersten Weltkrieg von der Waggon- und Maschinenfabrik vorm. Busch in Bautzen gebauter deutscher Heeresfeldbahnwagen mit Blechwänden, abgeleitet von den vierachsigen offenen Güterwagen der K.Sächs.Sts.E.B. der lfd. Nr. 785 mit 15 t Ladegewicht (Gattung OO) und sächsischen Diamonddrehgestellen. Von der Kohlenbahn Banovići, der letzten Schmalspurbahn mit Dampfbetrieb in Bosnien, fehlen mehreren Redaktionsmitgliedern aktuelle Aufnahmen und genauere Angaben zum heutigen Stand. So befanden sich dort 2016 unter den vier betriebsfähigen Dampfloks immerhin zwei der Reihe 83. Vom Verlag war es konsequent, die Texte analog zum Band 1 einspaltig anzuordnen. Mit Lesefreundlichkeit hat dies jedoch leider nichts zu tun. Hinsichtlich der Bildwiedergabe und Druckqualität überzeugt hingegen Band 2 ebenfalls.
Fazit: Ein weiteres Standardwerk über die schmalspurigen Eisenbahnen auf dem Balkan mit wirklich wissenschaftlich verfassten Texten – es ist hervorragend illustriert und als Nachschlagewerk bestens geeignet. Kein an dieser Thematik Interessierter sollte sich diesen Band entgehen lassen!
15.10.2017