Fahrzeuge im Porträt
Ein Schmalspurpersonenwagen als Gartenlaube – Wie kam der KB4 970-365 nach Waldkirchen?
Ein Erlebnisbericht von Hans-Werner Schellenberg, Zschopau
1. Bedarf entsteht – Lösung gefunden
Im Jahr 1980 habe ich das Gartengrundstück unmittelbar am Bahnhof Waldkirchen übernommen. Ich arbeitete damals bei der Deutschen Reichsbahn als Fahrdienstleiter in Waldkirchen, da war die Lage des Gartens natürlich ideal. Da wir in Zschopau wohnten, dachte ich, eine Gartenlaube am Dienstort wäre natürlich ganz praktisch. Weil aber nur ein schmaler Weg zum Grundstück in Ufernähe zur Zschopau vorhanden war und ein Zugang entlang der Bahnhofsgleise zu gefährlich ist, stellte mich der Baumaterialtransport für ein Häuschen vor ein echtes Problem. Ein Besuch im Garten des Wolkensteiner Wagenschlossers Lutz Gräf brachte mich auf die Idee für die gesuchte Gartenlaube. Er hat in seinem Garten vom schmalfenstrigen Schmalspurwagen 970-496 eine Bühne sowie ein Wagenviertel mit zwei Fenstern und dem Abortabteil stehen. Für ihn als Wagenschlosser in Wolkenstein war es kein Problem, an ausgemusterte Fahrzeuge zu kommen. Er sagte zu, für mich die Ohren zu spitzen, ob demnächst ein Wagen zur Ausmusterung anstehe. Nach etwa vier Wochen bekam ich den Hinweis, dass der Wagen 970-365 ausgemustert sei und dem Museum in Rittersgrün übereignet würde. Während der damals auch die DDR betreffenden Ölkrise war der Aufwand für das Museum aber zu hoch, den Wagen komplett zu übernehmen und per Straßentransport nach Oberrittersgrün zu holen. Über den DMV erfuhr ich, dass Rittersgrün deshalb nur die Drehgestelle übernehmen wolle und ich den Wagenkasten haben könne. Doch um den Transport müsse ich mich selbst kümmern.
2. Transportdisposition
Die Kranfrage für das Aufstellen des Wagenkastens in Waldkirchen war sehr schnell geklärt. Der VEB (K) Bau Zschopau hatte einen ADK 125, der bei Waggonentladungen auch für die BHG Waldkirchen half. Der Kranführer meinte, er hatte schon einmal einen Schmalspurwagen mit 8 t am Haken und der Absetzort am Bf Waldkirchen sei schon „in Ordnung“. Mit einem langen flachen Traktoranhänger vom MZ-Werk in Zschopau nebst Traktor wollte ich den Wagen von Wolkenstein holen. Aber nach einem Hinweis der Verkehrspolizei musste ein solcher Transport begleitet werden – das ging also nicht so einfach. Na gut – wozu arbeitet man bei der Bahn. Der zuständige Wagenmeister Claus Schreyer stellte mir einen vierachsigen Schmalspurtransportwagen (Gattungszeichen Res) bereit und veranlasste das Verladen des Wagens in Wolkenstein. Vorher musste ich noch beim Bürgermeister in Waldkirchen, Karl Köhler, die vorbereitete Aufstellgenehmigung für den Wagen abstempeln lassen. Er wusste bei der abgelegenen Stelle gar nicht, wo diese denn wäre. Nach meinem Versprechen, dass alles ordentlich wird und er dies später auch bei Bier und Hackepeterbrötchen kontrollieren könne, entsprach er meinem Aufstellantrag.
Mein erster Plan, den Wagen mit der Zschopauer Rangierlok der Baureihe 101 (V 15) in Wolkenstein abzuholen und bis Waldkirchen selbst zu fahren, ging leider nicht auf. Ausgerechnet am von mir vorgesehenen Tag sollte in Zschopau das sowjetische EZMG-Stellwerk in Betrieb genommen werden. Aus diesem Grund war jede zusätzliche Rangierfahrt unpassend. Also fasste ich einen neuen Plan: Am 9. April 1981 wäre die Vorspannlok des Nahgüterzuges 64343 aufgrund der geringen Zuglast eigentlich nur bis Zschopau am Zug geblieben. Deshalb sprach ich mit dem Lokführer ab, dass er – wie im Buchfahrplan vorgesehen – mit der Buchholzer 110er bis Wolkenstein weiter mitfährt.
3. Überführung nach Waldkirchen
Auf der Rückfahrt von Wolkenstein nach Flöha nahm die 110er den Res mit meinem Schmalspurwagen bis Waldkirchen mit. Dort stellten wir den regelspurigen Transportwagen auf das Ladegleis, die Diesellok fuhr Lz zur Abstellung nach Zschopau weiter. Am Sonnabend, dem 11. April, entfernten wir am Ladegleis die entbehrlichen Teile wie den Bremszylinder und die Bremsleitungen. Außerdem zogen wir die Splinte an den Drehgestellen. Somit konnte der Wagenkasten am nächsten Tag abgehoben werden.
Das Einverständnis für den Sonntagskraneinsatz von der Verwaltung des VEB (K) Bau Zschopau lag übrigens vor, nachdem ich die Nachfrage, ob denn der Einsatz für die BHG Waldkirchen sei, mit „ja“ beantwortet hatte. Das kommentierte die Mitarbeiterin lapidar mit den Worten: „Gut, mit denen haben wir ja einen Vertrag.“
Am Sonntag früh gegen 5 Uhr fuhr ich zuerst zum Bahnhof Zschopau, um mir die 101 zur Fahrt nach Waldkirchen zu holen. Ein Unfall in Karl-Marx-Stadt-Hilbersdorf verspätete den Dg 53361 um 3,5 Stunden. Das war in diesem Falle gut für mich, da mir dadurch mehr Zeit verblieb. Ich fuhr nun mit der 101 in Waldkirchen aus Richtung Flöha an den Transportwagen und zog diesen bis zur vorgesehenen Abladestelle auf Gleis 2. Der Autokran stellte sich neben den Res und nachdem der Kran aufgerüstet war, begann bei Raureif und trockenem Wetter die Umsetzung. Ich hatte schon vorher an der künftigen Aufstellposition im Garten jeweils zwei Holzschwellen ausgelegt, jedoch konnte der Wagenkasten zunächst nur talwärts im Grundstück abgesetzt werden. Die Last war bei der notwendigen Ausladung zu groß. Daraufhin legten wir über die Drahtzugleitung der AF-Linie sowie über den Bahngraben ein Kantholz und der Kran setzte ein Stück zurück. Das verzögerte die Aktion noch etwas, aber als der ganze Wagen auf dem Grundstück stand, waren alle zufrieden. Beim Abladen des Kastens an jenem 12. April 1981 hatte ich zwar fotografiert, aber die Perforation des Filmes war gerissen, so dass ihn die Kamera nicht transportierte …
Den verspäteten Dg 53361 aus Karl-Marx-Stadt hatte damals der Kollege Fahrdienstleiter vorsichtshalber in Erdmannsdorf warten lassen. Der Lokführer war davon nicht begeistert, hatte dann aber vollstes Verständnis, als er den Grund für seinen verspäteten Feierabend erfuhr.
Die auf dem Transportwagen verbliebenen Drehgestelle wurden dann auseinandergezogen, die Bremsklötze angelegt und gesichert. Weil für den Wagen kein Frachtbrief existierte, musste der Transport unbedingt über Annaberg-Buchholz Süd nach Grünstädtel rollen, damit die beiden Drehgestelle ins Rittersgrüner Museum gebracht werden konnten. Vier Wochen später bekam ich die Information, dass nun doch keine Schmalspurwagen aus Bulgarien als Ersatz für alte Fahrzeuge importiert werden würden. Fast alle noch irgendwo abgestellten Wagen kamen daraufhin in den folgenden Jahren zur „Rekonstruktion“ nach Perleberg. Darunter hätte sich auch der 970-365 befunden. Ich hatte Glück, dass der Wagen zu diesem Zeitpunkt bereits bei mir im Garten stand. Dort musste ich noch Auflagen aus Beton bauen, um die provisorisch verwendeten Schwellen zu ersetzen. Das geschah am kalten 1. Mai 1981. Mit Winden hob ich den Wagenkasten dabei an, schob U-Eisen unter und zog ihn mit einem Kettenzug auf die Auflagen aus Beton, wo ich ihn wieder abließ.
4. Gartenlaube am Bahndamm
Bereits bei der Vorbesichtigung in Wolkenstein hatte ich festgestellt, dass eine Seitenscheibe des Wagens kaputt und eine Lattenbank nebst Klappnotsitz noch vorhanden war. Zwei große gusseiserne Gepäcknetze hatte ich schon vor einiger Zeit, als der Wagen bereits in Wolkenstein zum Ausschlachten am Rand stand, als Garderobe für daheim ausgebaut. Ansonsten war der Kasten ziemlich dreckig, aber noch brauchbar. Rostschäden waren an den Bühnen und Seitenblechen, insbesondere im Fensterbereich zu sehen. Die Dacheindeckung aus Leinen war an wenigen Stellen schadhaft. Meine Befürchtung, dass sich die verrosteten Schrauben an der Heizleitung nicht lösen lassen, zerschlug sich dank Graphit. Die Heizrohre des Wagens baute ich aus und verwendete sie als Einfriedung vor unserem Wohnblock in Zschopau. Nachdem der Wagenkasten gesäubert und das auf der Flussseite befindliche kaputte Fenster mit Holz verschlossen war, ging es ans Streichen. Das kleinere Abteil mit zwei Seitenfenstern stand in Richtung Flöha und diente als Küche. Der Abort mit Vorraum wurde Abstellraum, auch die Ofennische zum größeren Abteil diente fortan als solcher. Ein kleiner emaillierter Ofen heizte bei Bedarf die Küche. Die folgenden drei Fensterabschnitte wurden Schlafraum und Garderobe. Eine Zwischenwand zum letzten Fenster mit Tür und Sprechmuschel diente den Kindern als Fahrkartenausgabe. Das letzte Abteil war mit Holzbänken und Notsitz nebst den Gepäckablagen ausgestattet. Zwei Gepäcknetze aus Sperrholz machten das Abteil komplett. Ein Außenanstrich verschlang acht Kilogramm Farbe. Mit einem Ende der 1960er Jahre erhaltenen (nicht geklauten) Zuglaufschild „Wilischthal – Thum“ zeigten wir Freunden unsere Anwesenheit im Wagen an. Ein niedriger Lattenzaun zum Gleis der AF-Linie diente der Sicherheit der Kinder.
5. Episoden um das Wahrzeichen
Mitte der 1980er Jahre bot mir ein Eisenbahnfreund aus der BRD für meine „Gartenlaube“ 8000 DM. Einen Verkauf lehnte ich aber ab, denn ich hätte keinen anderen Wagen als Ersatz bekommen. Außerdem wäre das Geschäft vermutlich über den Lumpen Schalck-Golodkowski abgewickelt worden – und ich hätte in die Röhre geschaut. Zur Weihnachtszeit fuhren regelmäßig der DDR-Verteidigungsminister, Armeegeneral Heinz Hoffmann, und seine Familie per Regierungszug von Strausberg nach Annaberg-Buchholz Süd und von dort weiter mit dem Pkw nach Oberwiesenthal. Ein längerer Halt in Waldkirchen brachte immer den Hinweis vom Zugführer, sie wüssten anhand des Wagens im Garten, wo sie gerade stehen. Leider wurde mir im Garten ein Fabrikschild des Wagens (Bautzen 1913) gestohlen. Das zweite Schild habe ich danach gleich vorsorglich gesichert.
6. Perspektive
Mitte der 1990er Jahre zeigten zunächst die Schönheider Museumseisenbahner großes Interesse an meinem Wagen. Aber ich hatte in all den Jahren sehr viel Arbeit in den Kasten gesteckt und lehnte eine Abgabe ab. Der Zustand des von den Jungs als Ersatz angebotenen schmalfenstrigen Schmalspurwagenkastens von einem Übungsgelände der Sowjetarmee bei Karl-Marx-Stadt (Anmerkung der Redaktion: KB4tr 970-500 oder 970-514) ließ nichts Gutes ahnen. Alles wäre von vorn losgegangen.
Später benötigten die Freunde der Preßnitztalbahn Türbeschläge vom Abort. Ich gab die Originale aus Messing ab und erhielt als Ersatz Nachgüsse aus Alu. Als nächstes zeigten die Vereinsmitglieder aus Jöhstadt Interesse an den Zugstangen meines Kastens. Na gut, es war ja für eine gute Sache. Ich stimmte dem Ausbau zu. Das Gleiche passierte dann noch mit der Ofenverkleidung und den Lampengläsern. Im Mai 2003 äußerte der Vereinsvorstand schließlich den Wunsch, den kompletten Wagenkasten übernehmen zu wollen.
Meine Kinder waren damals aus dem Haus, man wird älter und der Wagen sollte ja weiterhin ordentlich aussehen. Die IGP versprach mir, den Kasten neu aufzubauen und zwei Drehgestelle zu beschaffen. Besser konnte es nicht kommen! Am 10. November 2003 hob ein Autodrehkran den Kasten auf den PRESS-Tieflader. Dieser brachte ihn zur Tischlerei Hübner nach Zwönitz. Seit Juli 2005 gehört der Wagen wieder zum Betriebsbestand der Preßnitztalbahn. Ich bin sehr stolz darauf, dass der Wagen wieder mustergültig hergerichtet ist und rollt.
Nachtrag der Redaktion Im Artikel sind zahlreiche Abkürzungen und Begriffe enthalten, die teils nur für Insider oder DDR-Geschichtskundige verständlich sind. Um den Fluss der Geschichte nicht zu stören, wurde auf eine Ausschreibung von Abkürzungen oder zusätzliche Erklärungen verzichtet.
11.12.2018