Regelspur aktuell
Ein „Delphin“ im Erzgebirge – ein Diesel-ICE auf der BSg-Linie
Seit mehr als zehn Jahren werden im Erzgebirge Innovationen im System Bahn erprobt. „Die Erzgebirgsbahn versteht sich innerhalb der großen Deutschen Bahn auch als Labor“, so der Eisenbahnbetriebsleiter und Sprecher der Geschäftsführung, Lutz Mehlhorn.
Neben dem Digitalen Stellwerk (DSTW), das zusammen mit seinem Vorgänger seit 2005 am Bahnhof Annaberg-Buchholz Süd entwicklungsbegleitend erprobt wurde, gibt es weitere Projekte wie den EcoTrain, die Triebfahrzeugautomatisierung FASSI 4.0, die Zustandsüberwachung des Gleisumfeldes ZuG, das Kommunikationssystem Rail2X und das GNSS Positionssystem. Die Erzgebirgsbahn nutzt schwerpunktmäßig die Strecke Annaberg-Buchholz – Schwarzenberg (BSg-Linie) – eine Eisenbahninfrastruktur, auf der kaum Betrieb stattfindet und die sich daher zum Testen und Erproben eignet. Zeitweise wurde fast die Hälfte des gesamten Innovationsbudgets der DB AG in Projekten bei den RegioNetzen, und dabei hauptsächlich bei der Erzgebirgsbahn, eingesetzt.
Der erste Anlauf
Viele Forschungs-, Entwicklungs- und Erprobungsprojekte bei der Erzgebirgsbahn blieben bisher „unter dem Radar“ im Sektor sowie selbst innerhalb des DB-Konzerns. Um das Interesse auf diese Projekte zu lenken und die verschiedenen Partner miteinander zu vernetzen, wurde im Jahr 2017 eine Sonderfahrt über die Teststrecke als Vernetzungstreffen geplant. Damit die größtmögliche Aufmerksamkeit auf die Projekte der Erzgebirgsbahn fällt, sollte dafür ein ganz besonderes Fahrzeug zum Einsatz kommen – ein Diesel-ICE der Baureihe 605, der ursprünglich speziell für die bogenreiche Relation Dresden – Chemnitz – Hof – Nürnberg beschafft worden war.
Damals stand ihr letzter Einsatz auf der Relation Hamburg – Kopenhagen kurz bevor, die Fahrt war somit auch als Sonderfahrt zum Einsatzende dieser Baureihe geplant. Es existierte ein fertiges Konzept für den Abschied des Diesel-ICE mit einer Sonderfahrt von Leipzig nach Hof, mit Streckenführung über die Erzgebirgsbahn und einer Abendveranstaltung im Werk Hof. Diese Fahrt war für den 20. Oktober 2017 vorgesehen – wenige Tage vorher wurde jedoch entschieden, dass diese nicht stattfinden kann. Zwar wurde kurzfristig mit dem 24. November 2017 ein Alternativtermin gefunden, doch aus verschiedenen Gründen war die Fahrt dann an diesem Tag ebenfalls nicht durchführbar. Schlussendlich fand die Abschiedsfahrt für die Baureihe 605 mit dem Tz5517 am 8. November 2017 von Hamburg nach Puttgarden statt. Am 11. Januar 2018 folgte mit Überführung des Tz5517 vom Werk Hamburg zum Standort des DB Stillstandsmanagements in Mukran die zunächst letzte Fahrt eines ICE-TD.
In mehreren Anläufen versuchte die DB, die noch verbliebenen 15 ICE-TD zu verkaufen. Alle diese Versuche scheiterten. So standen die Reste der einst so stolzen Flotte nach weniger als 20 Jahren ohne Einsatzperspektive in Mukran. Durch das raue Ostseeklima waren sie dort dem Verfall preisgegeben.
Abgestellt, „z“-gestellt, vergessen!? Nein, es kam anders: Das Schicksal hatte noch große Pläne mit den ICE-TD!
Neuer Anlauf
Für die Technikstrategie der Deutschen Bahn wird ein Laborfahrzeug als Erprobungsträger für Forschung, Entwicklung und Erprobung benötigt. Dafür Fahrzeuge aus dem laufenden Betrieb zu verwenden, ist kaum möglich: Die vorhandenen Fahrzeuge werden im Betrieb benötigt und größere Umbauten an Fahrzeugen des Personenverkehrs sind ohnehin nicht möglich, ohne dabei deren Zulassung zu verlieren. Daher wurde ein Fahrzeug gesucht, welches im regulären Betrieb nicht mehr benötigt wird und exklusiv als Labor zur Verfügung steht. Die ICE-TD eignen sich dafür sehr gut: Mit 200 km/h Höchstgeschwindigkeit sind sie hinreichend schnell, auf 107 m Länge gibt es ausreichend Platz für Computerschränke und Testaufbauten, durch ihre Dieseltraktion sind sie unabhängig von der Oberleitung sowie mit gerade einmal 15 t Achslast geeignet für alle Streckenklassen. Außerdem sind die Triebzüge weiterhin trajektfähig und mit einem leistungsfähigen Bordnetz zur Stromversorgung ausgestattet. Am 23. März 2018 reisten einige Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen der DB AG und von Siemens nach Mukran, um die abgestellten ICE-TD zu befunden. Ihre Wahl fiel auf die Tz5517 und Tz5519: Beide hatten im Jahr 2015 eine Hauptuntersuchung erhalten und standen bis kurz vor dem Baureihenabschied im Einsatz. Am 25. März 2018 erfolgte die Überführung der beiden Triebzüge von Mukran in das Werk von MSG nach Halle-Ammendorf. Dieses Werk war am Bau der Fahrzeuge beteiligt, daher sind die Triebzüge dort noch bekannt. Ihr Einsatz zur Eröffnung des Digitalen Stellwerkes in Annaberg am 12. April 2018 war in der Kürze der Zeit nicht möglich. Inzwischen wurde der Tz5517 zum „advanced TrainLab“ umgebaut, dabei erhielt er statt des üblichen roten Streifens der ICE-Flotte einen silbergrauen Streifen. Damit ist er schon von weitem als Laborfahrzeug erkennbar. Seine weiß/silbergraue Farbgebung brachte dem Fahrzeug inzwischen bei Insidern den Spitznamen „Delphin“ ein.
Auf ins Erzgebirge
Nach ersten Fahrten des Triebzuges nach Berlin und Nürnberg folgte am 20. Dezember 2018 die Vorstellung des Laborzuges auf der Teststrecke als Präsentationsfahrt von Leipzig über Chemnitz nach Annaberg-Buchholz und weiter über die Teststrecke des „Living Lab“ von Annaberg-Buchholz Süd nach Schwarzenberg und über Zwickau zurück nach Leipzig. Mehr als 200 Gäste aus Wissenschaft, Politik, Bahnindustrie und von Bahnbetreibern mehrerer Länder Europas nahmen an dieser Fahrt teil. Während der Fahrt wurden die verschiedenen Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsprojekte der Erzgebirgsbahn vorgestellt und die Partner konnten gegenseitig Kontakt aufnehmen. Zudem säumten hunderte Fotografen, Schaulustige und Anwohner ab Leipzig den Laufweg des Zuges, mit den Höhepunkten am zukünftigen Hauptgebäude des Forschungscampus für Innovative Bahntechnologien in Annaberg-Buchholz unterer Bahnhof und natürlich beim Befahren des Markersbacher Viaduktes. Über diese Fahrt wurde in Funk und Fernsehen sowie in Eisenbahnzeitschriften berichtet. Damit konnte eine große Aufmerksamkeit auf die Teststrecke und das Laborfahrzeug gelenkt werden – der Plan hat funktioniert!
Weitere Planungen
Teststrecke und Laborfahrzeug stehen nun für Forschungs-, Entwicklungs- und Erprobungsprojekte den Partner der DB aus Wissenschaft und Industrie zur Verfügung, zusammen mit dem zukünftigen Forschungscampus für Innovative Bahntechnologien in Annaberg-Buchholz sind sie ganz wesentliche Werkzeuge zur Umsetzung der Technikstrategie der Deutschen Bahn für die Automatisierung und Digitalisierung des Bahnbetriebes.
Zusätzlich ist mit dem „Delphin“ aber auch weiterhin eine Personenbeförderung möglich. Der Dieseltriebzug kann für Sonderfahrten gechartert werden, was die Chemnitzer Wirtschaftsförderung am 21. Dezember 2018 nutzte. An diesem Tag war der ICE-TD als „BewerberZug“ von Nürnberg nach Chemnitz unterwegs, um Heimkehrern und Pendlern während der Fahrt die Arbeitsmöglichkeiten in der sächsischen Heimat vorzustellen und bereits erste Bewerbungsgespräche zu führen.
13.02.2019