Eisenbahn-Geschichte
Ein Tagesausflug am 4. Juni 1971 zur Schmalspurbahn Lommatzsch – Löthain
Erlebnisbericht von Hans-Dieter Rändler
Nach dem Jahreswechsel 1969/70 hegte ich mehr als zwölf Monate den Wunsch, das Reststück des Abschnittes Meißen Triebischtal – Lommatzsch der WG-Linie zu besuchen. Seit dem 22. September 1966 dampfte es dort nur noch zwischen Lommatzsch und Löthain. Da ich als Lehrling weder ein Moped oder Motorrad noch ein Auto besaß, kamen für so einen Besuch nur die öffentlichen Verkehrsmittel und da natürlich die Eisenbahn in Frage. Von Dresden aus war Lommatzsch zu dieser Zeit am besten mit dem Zug über Riesa zu erreichen. Laut Sommerfahrplan 1971 gab es aber nur samstags eine günstige Verbindung, um von Lommatzsch nach Löthain und wieder zurück zu kommen. Durch meine Ausbildung im zweiten Lehrjahr war mir diese Möglichkeit nicht vergönnt – denn wir mussten samstags in die Schule. Doch unser Ausbildungsbetrieb gab uns aus organisatorischen Gründen kurzfristig am 4. Juni 1971 frei – das war ein Freitag. Kurz entschlossen studierte ich noch einmal das Kursbuch und kaufte mir anschließend am Vorabend im Dresdner Hbf eine Fahrkarte für 3 Mark nach Miltitz-Roitzschen. Mit dem P1506, 5.30 Uhr ab Dresden Hbf, ging es in einer von einer Nossener Lok der Baureihe 35 geführten Doppelstockeinheit der Gattung DB 13 ins Triebischtal nach Miltitz-Roitzschen – Ankunft war 7.07 Uhr.
Da ich die günstige Samstagsverbindung nicht nutzen konnte, hatte ich mir vorgestellt, die etwa 5,5 km von Miltitz-Roitzschen bis nach Mauna über Land zu laufen, um den dort 7.56 Uhr nach Lommatzsch abfahrenden Gmp 69907 zu erreichen. Als Ortsunkundiger versuchte ich halb rennend und laufend, mich über feldwegartige Straßen zum Bahnhof Mauna durchzuschlagen. Es ging ja darum, auch wieder von Lommatzsch bis Löthain zurückfahren zu können, um die Reststrecke vollständig kennenzulernen.
Von weitem sah ich in Löthain, etwas erhöht in der Landschaft liegend, Rauch aufsteigen. Das war mein Zug, dachte ich mir so. Aber irgendwie bin ich in Krögis falsch durch den Ort gelaufen. So fuhr mir der Zug in Mauna vor der Nase weg. Nachdem ich kurz in mich gegangen war, entschloss ich mich, auf der Strecke dem Gmp 69908, Lommatzsch ab 11.10 Uhr, entgegenzulaufen.
In diesem Moment kam ein Eisenbahner mit Rucksack und großem Mutternschlüssel aus Richtung Löthain in den Bahnhof Mauna gelaufen. Es war der Streckenläufer von der Bm Nossen, der einmal in der Woche die Trasse der Schmalspurbahn ablief. Ich kam mit ihm sehr gut ins Gespräch. Er schilderte mir, dass er mit dem ersten Zug des Tages, dem Gmp 69906, 6 Uhr von Lommatzsch, bis Löthain gefahren sei und nun die Strecke bis Lommatzsch zurücklaufend inspiziere. So sei er seit Jahren bei Sonnenschein und Regen sowie bei Eis und Schnee unterwegs. Ich schloss mich ihm an und wir gingen gemeinsam von Schwelle zu Schwelle die Strecke ab. Er hatte das Schrittmaß gut drauf. Ich brauchte eine gewisse Zeit, bis es bei mir auch gut „lief“. Zwischendurch zog er Spurhaltestangen nach, von denen es auf der Strecke fast mehr gab als Schwellen. In Leutewitz erzählte er mir von dem seit Januar 1965 aufgelassenen Anschluss zum Steinbruch und zeigte mir die Stelle, an der einst die Anschlussweiche lag. Außerdem machte er mich auf viele kleine Details aufmerksam, wie z. B. unterschiedliche Schienenprofile, deren Enden gekröpfte Laschen auf gleiche Höhe brachten. Im Bahnhof Käbschütz standen zwei vierachsige offene Güterwagen der Einheitsbauart mit Bremserbühne abgestellt. Solche offenen Güterwagen hatte ich bisher weder bei den Schmalspurbahnen in Hainsberg noch in Radebeul oder Oberwiesenthal gesehen.
So verging die Zeit recht schnell und wir erreichten den Bahnhof Zöthain. Dort verabschiedete ich mich vom Streckenläufer, nachdem wir zusammen etwa 7 km der Strecke abgelaufen hatten. Er lief den großen Linksbogen in Richtung Mertitz Gabelstelle weiter und verschwand hinter Büschen. Eigentlich hätte ich die etwa 700 m noch mitlaufen können, aber die Abfahrtszeit für den Zug nach Löthain, 11.27 Uhr ab Zöthain, war doch schon ganz schön nah.
Kurze Zeit später hörte ich auch schon den Pfiff des noch von den Büschen verdeckten Zuges – dann fuhr die Lok 99 1600-8 Kohlenkasten voran mit dem Gmp 69908 in den Bahnhof Zöthain ein. Ich freute mich sehr, dass zu diesem Zeitpunkt eine der letzten in Betrieb befindlichen Altbau-IV K auf dieser Strecke Dienst tat. Hinter der Lok liefen zwei mit offenen Regelspurgüterwagen beladene Rollwagen, gefolgt vom Zugführerwagen, einem Personenwagen mit Traglastenabteil und einem schmalspurigen GGw am Zugschluss. Der Zugführer begrüßte mich aus seinem Wagen, vor dem ich für 90 Pfennige die Fahrkarte nach Löthain löste, mit den Worten: „Wenn zwei gehen und schauen, ist ja das Gleis in Ordnung.“ Doch leider konnte ich die Strecke nicht vom Perron aus beobachten, da der einzige Personenwagen mitten im Zugverband eingestellt war. Da alle Züge nur noch als Gmp fuhren, musste der Personenwagen gegenüber den beladenen Rollwagen geschützt werden.
An meinem Reisetag gab es ein geringes Verkehrsaufkommen auf der Bahn. Nur vier Personen fuhren abschnittsweise bis Löthain mit. In Löthain angekommen, wurden sofort die beiden Rollwagen an die Kaolinrampe rangiert. Dann setzte die 99 1600-8 drei aufgeschemelte und bereits mit Rohkaolin beladene regelspurige O-Wagen für die Rückfahrt nach Lommatzsch an ihren Zug. Offiziell war nur samstags die Mitfahrt (Gmp 69909 ab 12.55 Uhr) nach Lommatzsch mit diesem Zug möglich, obwohl die ganze Zuggarnitur täglich mit durchlief. Ich dachte mir im Nachhinein, dass bei diesem Zugpersonal eine Mitfahrt bestimmt täglich möglich war.
Nachdem ich einige Bahnhofsszenen mit meiner Vogtländer-Kamera auf 6 x 9-Rollfilm gebannt hatte, begab ich mich auf den eingestellten Streckenabschnitt in Richtung Robschützer Viadukt im Triebischtal. Dabei zog unerwartet schnell ein Sommergewitter auf, doch durch Zufall fand ich an der Fernverkehrsstraße 101 in einem Buswartehäuschen beim beginnenden Starkregen Unterschlupf. Kaum hatte ich mich untergestellt, hielt vor mir ein Ikarus 55 mit Fahrtziel Meißen. Ohne groß zu überlegen, brach ich hier meine Rückwanderung ins Triebischtal ab. Von Meißen Hbf ging es ohne großes Warten mit einem von einer Ellok der Baureihe 242 geführten Doppelstockwendezug, der damals noch nicht mit S-Tarif verkehrte, nach Dresden Hbf zurück.
Übrigens hatte ich die anschließende Woche frei: Mir waren bei meiner Exkursion Rußpartikel ins Auge geflogen und hatten über Nacht zu einer starken Entzündung geführt. Am nächsten Morgen hatte ich daher den Augenarzt aufsuchen müssen, der mir diese Partikel entfernte und mich krankschrieb.
Leider blieb meine Exkursion vom 4. Juni 1971 meine einzige Begegnung mit dieser Schmalspurbahn. Am 28. Oktober 1972 fuhr der letzte Zug auf diesem Streckenabschnitt. Nur Bücher, Fotos und Sachzeugnisse wie das kleine Museum im ehemaligen Bahnhof Löthain halten diese urige Schmalspurbahn durch die Lommatzscher Pflege in guter Erinnerung.
15.04.2021