Eisenbahn-Geschichte
Forschungen zur Selketalbahn
Zur Wiederinbetriebnahme der Strecke Alexisbad – Harzgerode 1949/50
Über die von April bis August 1946 erfolgte Demontage des Großteils der Gernrode-Harzgeroder Eisenbahn AG (GHE) und über den im Oktober 1946 begonnenen Wiederaufbau des Abschnittes von Gernrode (Harz) nach Lindenberg (Harz) – seit 1952 Straßberg (Harz) – sowie der Strecke von Alexisbad nach Harzgerode wurde in der bisherigen Literatur bereits umfassend berichtet. In diese Wiederaufbauzeit fiel die Übernahme der bereits formal enteigneten GHE in die Verwaltung und Nutznießung durch die Deutsche Reichsbahn (DR) am 1. April 1949. Zuständig war fortan die Reichsbahndirektion (RBD) Magdeburg, die am 18. August 1945 infolge der Zonengrenzen wiedererrichtet wurde. Zum Zeitpunkt der Übernahme durch die DR war der Abschnitt Gernrode (Harz) – Lindenberg (Harz) bereits mehrere Wochen wieder in Betrieb, der Aufbau der Strecke Alexisbad – Harzgerode lief hingegen noch. Die Chronisten der Selketalbahn Manfred Bornemann, Dirk Endisch und Gerhard Zieglgänsberger ([1], [2] und [3]) datieren die Wiederinbetriebnahme dieser Strecke auf den (1.) Juli 1950. Hierzu liegt ein – allerdings nicht vollständiger – Schriftwechsel im Archiv des Verfassers vor, aus dem hier erstmals berichtet wird – und der dieses Datum in Frage stellt. Ein Austausch mit Dirk Endisch ergab, dass auch er aufgrund eines Telegrammbriefs des Reichsbahnamtes Halberstadt vom Dezember 1949 Zweifel am 1. Juli 1950 hat, Zeitzeugen allerdings das Datum bestätigten. Doch was beinhalten die erst vor wenigen Wochen vom Verfasser ausgewerteten Unterlagen?
Aus dem Schriftverkehr der RBD Magdeburg
Mit Datum vom 2. September 1949 antwortete das Reichsbahnamt Aschersleben auf ein Schreiben der RBD Magdeburg vom 29. August und teilte mit, dass der Wiederaufbau des Gleises Alexisbad – Harzgerode zum 15. September abgeschlossen sein würde und eine Inbetriebnahme am 16. September 1949 erfolgen könne. Gemäß Schreiben vom 5. September beauftragte die RBD ihren Oberbaukontrolleur, den Oberbau des nach Harzgerode verlegten Gleises zu prüfen.
Auch bei der ehemaligen GHE war man aktiv (die Strukturen der ehemaligen nicht reichseigenen Bahnen bestanden zu diesem Zeitpunkt noch und wurden erst zum 1. Januar 1950 in die der DR überführt). Die „Betriebsleitung, Gernrode (Harz) der Gernrode-Harzgeroder Eisenbahn“ schrieb am 6. September 1949 an das Reichsbahnamt Aschersleben und übersandte zwei Fahrplan-Entwürfe „zur Prüfung und weiteren Veranlassung“. Außerdem ging sie auf die Triebfahrzeugsituation ein. Demnach war damals in Gernrode (Harz) nur die Lok „Gernrode“ (spätere DR-99 5811) einsatzbereit. Die Leihlok 7 der ebenfalls enteigneten Nordhausen-Wernigeroder Eisenbahn AG (NWE, per 1. April 1949 in Verwaltung und Nutznießung der DR übergegangen) war mit abgelaufenen Fristen seit 2. September 1949 abgestellt. Da mit einer Lok der Personen- und Güterverkehr nicht bewältigt werden konnte, schlug die Betriebsleitung aus Gernrode vor, eine Lok aus Straupitz, Gera-Pforten oder Eisfeld zu übernehmen. Ein weiterer Vorschlag ging dahin, eine regelspurige Diesellok auf 1000 mm umzuspuren.
Innerhalb des Reichsbahnamtes prüfte der Maschinendienst die Vorschläge und stellte am 29. September fest, dass eine einfache Fristverlängerung der NWE-Lok 7 (formal bereits 99 6102) nicht möglich und eine Untersuchung der Schadgruppe L4 notwendig sei. Deshalb würde die RBD mit der Stadtbahn Forst über die Anmietung einer Lok verhandeln, mit welcher der Untersuchungszeitraum von Lok 7 überbrückt werden könnte. Den Vorschlag zum Umbau einer Diesellok hielt man für nicht durchführbar. Ein Schlaglicht auf die damaligen Verhältnisse wirft auch das Schreiben der GHE an die RBD vom 21. September 1949. Darin bat die Betriebsleitung darum, von einem beigelegten Bildfahrplan 30 Lichtpausen anfertigen zu lassen. Die Antwort vom 24. September informiert darüber, dass das Anfertigen von Lichtpausen in der RBD nicht möglich sei.
Der Termin der Wiederinbetriebnahme
Im Schreiben vom 26. September 1949 an die Betriebsleitung der GHE fragte die RBD Magdeburg, ob die Strecke Alexisbad – Harzgerode wieder in Betrieb genommen worden sei. Daraufhin antworteten die Eisenbahner aus Gernrode (Harz), dass die Strecke am 2. Oktober 1949 in Betrieb genommen werde und im Winterfahrplan 1949/50 aufgeführt sei. Der vorliegende Bildfahrplan, gültig ab 2. Oktober 1949, sah folgende Verbindungen mit nur werktags verkehrenden, „der Personenbeförderung dienenden Zügen“ vor (diese Formulierung legt die Schlussfolgerung nahe, dass die Züge in der Regel als Personenzug mit Güterbeförderung gefahren werden sollten):
- Zug 1 Harzgerode ab 4.50 – Alexisbad an 4.59 Uhr
- Zug 20 Alexisbad ab 5.05 – Lindenberg an 5.28 Uhr
- Zug 21 Lindenberg ab 5.35 – Alexisbad an 5.58 / ab 6.12 – Gernrode an 6.58 Uhr
- Zug 22 Gernrode ab 8.30 – Alexisbad an 9.18 / ab 10.20 – Lindenberg an 10.49 Uhr
- Zug 2 Alexisbad ab 9.28 – Harzgerode an 9.37 Uhr
- Zug 3 Harzgerode ab 10.00 – Alexisbad an 10.09 Uhr
- Zug 23 Lindenberg ab 12.00 – Alexisbad an 12.25 / ab 12.40 – Gernrode an 13.26 Uhr
- Zug 24 Gernrode ab 15.40 – Alexisbad an 16.28 / ab 16.38 – Lindenberg an 17.03 Uhr
- Zug 25 Lindenberg ab 17.20 – Alexisbad an 17.45 Uhr
- Zug 4 Alexisbad ab 18.00 – Harzgerode an 18.09 Uhr
Für den Güterverkehr war ein weiterer Umlauf an Werktagen eingeplant:
- Zug 60 Gernrode ab 9.05 – Alexisbad an 9.52 /ab 11.05 – Lindenberg an 11.37 Uhr
- Zug 61 Lindenberg ab 13.00 – Alexisbad an 13.35 / ab 13.50 – Gernrode an 15.52 Uhr
- Zug 62 Alexisbad ab 10.09 – Harzgerode an 10.19 Uhr
- Zug 63 Harzgerode ab 10.40 – Alexisbad an 10.50 Uhr
Außerdem waren im Fahrplan an Werktagen verkehrende „Bedarfs-Bauzüge“ mit Personenbeförderung eingetragen, woraus geschlussfolgert werden kann, dass noch Restarbeiten für den Wiederaufbau notwendig waren. Aus den Wendezeiten und fehlenden Zeiten zum Wassernehmen kann abgeleitet werden, dass hier ein Einsatz des Triebwagens T1 (späterer DR-VT 133 522, einsatzbereit in Gernrode (Harz) seit 15. Mai 1949), vorgesehen war:
- Zug 50 Gernrode ab 6.10 – Alexisbad an 6.58 / ab 6.59 – Lindenberg an 7.19 Uhr (Kreuzung mit Zug 21 in Sternhaus Ramberg)
- Zug 51 Lindenberg ab 7.20 – Alexisbad an 7.40 / ab 7.41 – Gernrode an 8.23 Uhr
- Zug 52 Gernrode ab 13.45 – Alexisbad an 14.28 / ab 14.52 – Lindenberg an 15.12 Uhr (Kreuzung mit Zug 61 in Mägdesprung)
- Zug 53 Lindenberg ab 15.15 – Alexisbad an 15.35 / ab 15.37 – Gernrode an 16.25 Uhr (Kreuzung mit Zug 24 in Sternhaus Ramberg)
- Zug 54 Alexisbad ab 14.29 – Harzgerode an 14.39 Uhr
- Zug 55 Harzgerode ab 14.41 – Alexisbad an 14.50 Uhr
Ein Schreiben des Reichsbahnamtes Aschersleben an die RBD vom 5. Oktober 1949 informierte u. a. darüber, dass die Einrichtung eines Sonntagsverkehrs auf der GHE nicht möglich sei, da nur eine einsatzfähige Lokomotive zur Verfügung stünde, die sonntags restauriert werden müsste.
Ob der Betrieb nach Harzgerode tatsächlich am 2. Oktober 1949 aufgenommen wurde, dafür fehlt eine Bestätigung. Allerdings informierte die GHE mit Datum vom 18. November 1949 das RBD-Fahrplanbüro in tabellarischer Form über den aktuellen Fahrplan. Dabei entspricht der Plan der der Personenbeförderung dienenden Züge 1 bis 25 dem vom 2. Oktober. Für den Bedarfsgüterverkehr ist aber davon ein abweichender Fahrplan angegeben, mit ebenfalls nur an Werktagen verkehrenden Zügen:
- Zug 70 Gernrode ab 7.00 – Alexisbad an 7.50 / ab 8.10 – Lindenberg an 8.37 Uhr
- Zug 71 Lindenberg ab 9.10 – Alexisbad an 9.35 / ab 9.45 – Gernrode an 10.38 Uhr
- Zug 72 Gernrode ab 12.15 – Alexisbad an 13.08 / ab 14.00 – Lindenberg an 14.28 Uhr (Kreuzung mit Zug 23 in Mägdesprung)
- Zug 73 Lindenberg ab 15.00 – Alexisbad an 15.25 / ab 15.35 – Gernrode an 16.25 Uhr (Kreuzung mit Zug 24 in Sternhaus Ramberg)
- Zug 74 Alexisbad ab 13.13 – Harzgerode an 13.23 Uhr
- Zug 75 Harzgerode ab 13.35 – Alexisbad an 13.45 Uhr Für den Triebwagen war kein nur für Triebwagen geeigneter Umlauf mehr vorgesehen. Der Umlauf für die Personenbeförderung war allerdings mit dem Triebwagen fahrbar, so dass dann die Dampflok hätte für den Güterverkehr eingesetzt werden können.
Was war am 1. Juli 1950?
Im ab 14. Mai 1950 gültigen Sommerfahrplan 1950 der DR war unter der KBS-Nr. 205n der Fahrplan abgedruckt [4]. Der Fahrplan entsprach dem vom 2. Oktober und 18. November 1949, nun allerdings mit den Zug-Nummern 1271 bis 1280. Was wird aber am bisher als Tag der Wiederinbetriebnahme der Strecke Alexisbad – Harzgerode angegebenen 1. Juli 1950 geschehen sein? Da wohl der Wiederaufbau mit der Aufnahme des Zugverkehrs im vierten Quartal 1949 noch nicht abgeschlossen war, standen sicher gewisse Restarbeiten an. Dass es danach einen offiziellen Abschluss der Arbeiten mit einer Veranstaltung zur Wiederinbetriebnahme gab, erscheint auch in den Jahren nach 1945 logisch. Möglicherweise ist diese auf den 1. Juli 1950 zu datieren.
In einem Gespräch mit dem Verfasser berichtete der Harzgeröder Siegmar Frenzel, dass er zu Beginn der Sommerferien 1950 als damals Achtjähriger mit der Schulklasse eine Wanderung von Harzgerode nach Alexisbad unternahm. An diesem Tag pendelte der VT 133 522 kostenlos zwischen Alexisbad und Harzgerode – damit fuhren die Schüler damals nach Harzgerode zurück. Das empfand Siegmar Frenzel so interessant, dass er von Harzgerode nochmals nach Alexisbad und zurück mitfuhr. Da es danach zu Hause deswegen Ärger gab, blieb ihm dies deutlich in Erinnerung. Ob es in den Tagen/Monaten zuvor schon öffentliche Fahrten auf der Strecke nach Harzgerode gegeben hat, kann Siegmar Frenzel nicht sicher sagen. Insoweit könnten seine Erinnerungen die These vom offiziellen Abschluss der Bauarbeiten am 1. Juli 1950 bestätigen. Die bisher angeführte Begründung, dass ein Zugverkehr nach Harzgerode vor dem 1. Juli 1950 wegen nur einer betriebsfähigen Dampflok in Gernrode (Harz) nicht möglich war, erscheint nur bedingt stichhaltig. Auch ab Juli 1950 hatte sich die Triebfahrzeugsituation nicht gebessert und der im Kursbuch vom Sommer 1950 verzeichnete Fahrplan wurde im Winter 1950/51 [5] unverändert fortgesetzt.
Vielleicht schlummern in den Archiven von Leserinnen und Lesern noch weitere Dokumente, die die aufgestellten Thesen stützen oder widerlegen können (auch der Verfasser hat es erst Anfang 2021 geschafft, ihm schon lange vorliegende Unterlagen zu sichten und auszuwerten). Dann könnte die Geschichte der Schmalspurbahnen im Harz noch weiter fortgeschrieben werden.Jörg Bauer
Quellenverzeichnis
[1] Bornemann, Manfred: Die Anhaltische Harzbahn, Verlag H. Greinert, Clausthal-Zellerfeld, 1981 [2] Endisch, Dirk: Von der GHE zur HSB, Verlag Dirk Endisch, Stendal, 2011 [3] Röper, Hans; Zieglgänsberger, Gerhard: Die Harzer Schmalspurbahnen, transpress Verlag, Stuttgart, 1999 [4] Amtliches Kursbuch Deutsche Demokratische Republik, Sommerfahrplan gültig vom 14. Mai bis 7. Oktober 1950, Nachdruck 1977, Horst-Werner Dumjahn Verlag, Mainz, 1977 [5] Postleitheft für die Deutsche Demokratische Republik, Winterfahrplan 8. Oktober 1950 bis 19. Mai 1951, Reprint 2006, Ritzau KG – Verlag Zeit und Eisenbahn, Pürgen, 2006
15.04.2021