Schmalspurbahn-Geschichte
Erinnerungen an die Einstellung des Güterverkehrs beim Molli vor 50 Jahren
Zum Fahrplanwechsel im Mai 1969 wurde der Güterverkehr auf der 900-mm-Schmalspurbahn Bad Doberan – Ostseebad Kühlungsborn West eingestellt. Ein wenig beachtetes und kaum dokumentiertes Kapitel im Betriebsgeschehen dieser Strecke ging damit zu Ende. Was war das Besondere und warum gibt es von diesem Güterverkehr kaum Fotos und Dokumentationen?
Zu den Antworten auf diese Fragen gehört die Tatsache, dass es beim Molli keinen Rollwagenverkehr gegeben hat. Die Platzverhältnisse sowie die Massebeschränkungen im Bereich der Stadtdurchfahrt in Bad Doberan ließen diese rationelle Transportart nicht zu. An einigen Stellen verlief die Hauswand nur knapp einen Meter neben den schmalspurigen Fahrzeugen und die Gleise in der heutigen Mollistraße lagen bis in die 1990er Jahre auf einem aus Ziegelsteinen gemauerten Gewölbe, das einen Bachlauf überdeckte. Außerdem gab es kaum auf die Strecke Bad Doberan – Ostseebad Kühlungsborn West beschränkten Güterverkehr. Alle Güter mussten daher stets in Bad Doberan aufwändig umgeladen werden. Dieses mit viel Handarbeit verbundene Geschäft betrieb die Deutsche Reichsbahn in den ersten beiden DDR-Jahrzehnten nicht selbst, sondern sie hatte damit die Firma Karl Jahn beauftragt, die dafür etwa drei bis vier Mitarbeiter beschäftigte. Zuletzt nutzte dieses Unternehmen zwar einen Elektro-Bagger vom Typ RK-3, doch es herrschte oft Personalknappheit. Das führte häufig zu Umladerückständen. In solchen Fällen schoben meist junge Eisenbahner Sonderschichten als Aushelfer in der Umladung und verdienten sich dabei ein gutes Geld dazu. In der 1960er Jahren verkehrten die Güterzüge fahrplanmäßig nachts, wenn der Reiseverkehr ruhte. Daher gibt es so gut wie keine Fotos von Güterzügen. Nach einem vorliegenden Bildfahrplan aus der Zeit um 1965 führte die Lokomotive des in Kühlungsborn West 20.42 Uhr endenden ersten Personenzugumlaufes 21.02 Uhr den einzigen täglichen Nahgüterzug nach Bad Doberan. Dieser hatte einen 20-minütigen Rangieraufenthalt in Kühlungsborn Ost und kreuzte dort noch mit dem zweiten Personenzugumlauf. Dann fuhr er 21.32 Uhr ohne Halt weiter nach Bad Doberan. Nach der fahrplanmäßigen Ankunft 21.59 Uhr standen Rangierarbeiten an, die Abfahrt des Nahgüterzuges nach Kühlungsborn war für 22.50 Uhr vorgesehen. In Kühlungsborn Ost war zwischen 23.17 und 23.30 Uhr nochmals ein Rangierhalt eingeplant, bevor dieser Güterzug den Bahnhof Ostseebad Kühlungsborn West 23.38 Uhr erreichte. Dadurch wurde speziell für die Güterzüge keine dritte Lokomotive benötigt.
Tagsüber fanden in Bad Doberan die Umladearbeiten bzw. an der Ladestraße in Kühlungsborn Ost und West das Ent- und ggf. Neubeladen der Güterwagen statt. Da seinerzeit noch kein Taktfahrplan bestand, waren auch tagsüber an den Endbahnhöfen Zeiten für Rangierarbeiten mit den Zugloks eingeplant, um die Wagen ladegerecht bereit- bzw. die Güterzüge zusammenzustellen. Die Ladung eines Regelspurwagens war in jeweils zwei Schmalspurwagen umzuladen. Bei den Frachten handelte es sich überwiegend um Kohle, Baustoffe und Düngemittel, aber auch um Mehl für die Brotfabrik in Kühlungsborn oder um Zuckerrüben bzw. Rübenhackschnitzel. In den gedeckten Güterwagen wurde neben Stückgut auch Reisegepäck befördert. Daher war mehrmals täglich den Reisezügen ein GG/GGw oder GGh/GGhw als Gepäckbeiwagen beigestellt. Das Nebengattungszeichen h informierte darüber, dass der betreffende Wagen über eine Heizleitung verfügte – eine Vorraussetzung, um während der Heizperiode in Reisezüge eingestellt zu werden.
Die Ladestellen in Vorder und in Hinter Bollhagen, die ausschließlich für landwirtschaftliche Produkte genutzt wurden und bis nach dem Krieg sogar mit Feldbahngleisen zu den Gütern bzw. Ackerflächen ausgestattet waren, hatte die DR schon etwa 1955 bzw. 1948 stillgelegt und die Ladegleise abgebaut.
Güterwagen beim Molli
Nach 1945 waren beim Molli noch 22 der 23 beschafften gedeckten und 20 der 22 beschafften offenen Güterwagen vorhanden. Die fehlenden Fahrzeuge waren vor Kriegsende zur benachbarten Rübenbahn nach Neubukow umgesetzt worden – und gehörten dort zu den Reparationsabgaben. Die 22 jeweils vierachsigen gedeckten Güterwagen setzten sich zusammen aus zwei Wagen mit 10 t Ladegewicht (Wismar 1910), zehn Wagen mit 14,3 t Ladegewicht (Wismar 1914/15) und aus zehn Wagen mit 15 t Ladegewicht (Hannover 1922 und Wismar 1927/1931). In der Reihenfolge ihres Zuganges im Raw erhielten sie nach dem Schema von 1951 die neuen Nummern 98-01-51 bis 98-01-61, 98-02-01 bis 98-02-10 und 98-02-12. Rückschlüsse auf die Lieferserien und damit auf die Ladegewichte waren danach kaum noch möglich.
Die 20 jeweils vierachsigen offenen Güterwagen (Baujahre 1911 bis 1927) erhielten ab 1951 ebenfalls in der Reihenfolge ihres Zuganges im Raw die neuen Nummern 98-02-51 bis 98-02-57 und 98-03-01 bis 98-03-13.
Nach der Umzeichnung waren auch bei diesen Wagen kaum noch Rückschlüsse auf das Ladegewicht möglich – die 1911 bis 1915 in Wismar gebauten OOw mit 14,3 t Ladegewicht waren mit den 1922 in Hannover und den 1927 in Wismar gebauten OO mit 15 t Ladegewicht ohne System vermengt.
Beim Beschriften der Fahrzeuge traten daher bei zahlreichen Molli-Güterwagen Fehler auf. So trugen auch mit 15 t Ladegewicht ausgewiesene Vierachser in den 1950er und 1960er Jahren irrtümlich das Nebengattungszeichen w („w“ wie weniger als 15 t Ladegewicht).
Im Jahr 1956 trafen aus der Rbd Dresden fünf im Raw „Wilhelm Pieck“ Karl-Marx-Stadt auf 900 mm umgespurte offene Güterwagen mit 15 t Ladegewicht ein. Dabei handelte es sich um ein Drittel der 15 im Jahr 1938 in Bautzen für 750 mm Spurweite gebauten „Einheits-OO“ mit Pressrahmendrehgestellen – siehe Auflistung nächste Seite oben.
Beim Neubeschriften dieser fünf Wagen gab es ebenfalls mehrere Pannen. So trug beispielsweise der vierachsige 98-03-14 mit 15 t Ladegewicht in den 1960er Jahren die Gattungsangabe Oww, womit es sich um einen zweiachsigen Wagen mit 5 t Ladegewicht hätte handeln müssen. Dieser Fehler ist übrigens auch für den im Jahr 1915 in Wismar gebauten 98-03-12 nachgewiesen, der mehrere Jahrzehnte anstatt als OOw als Oww beschriftet war.
Einheits-OO aus Sachsen beim Molli
| Nr. in Rbd Dresden nach 1950, 1951 | Nr. in Rbd Schwerin | Umbau auf 900 mm | Ankunft in Bad Doberan | Ausmusterung | ——– | ——– | ——– | ——– | ——– | ——– | | 7.7351, 97-20-89 (letzter Heimatbahnhof in Sachsen unbekannt) | 98-03-14 | 4–7/1956 | 08/1956 | 01.06.1969 | | 7.7354, 97-21-08 (letzter Heimatbahnhof in Sachsen unbekannt) | 98-03-15 | 5–8/1956 | 10/1956 | 16.05.1969 | | 7.7346, 97-21-10 1951–1956 Kirchberg | 98-03-16 | 5/1956 | (nicht bekannt) | 16.05.1969 | | 7.7355, 97-22-43 1952–1956 Kirchberg | 98-03-17 | 7/1956 | (nicht bekannt) | 16.05.1969 | | 7.7343, 97-22-45 1942, 1953 Kirchberg, dann bis 1956 Döbeln| 98-03-18 | 7/1956 | (nicht bekannt) | 01.06.1969 |
Der Verbleib der Wagen
Nach dem Ende des Güterverkehrs nutzte die Schmalspurbahn einige gedeckte Wagen als Gepäckbeiwagen bzw. als Lagerwagen weiter. Von den übrigen verkaufte die Rbd Schwerin die Wagenkästen als Lagerräume, Forsthütten, Hühnerställe oder Lauben. Einige davon werden bis heute derartig genutzt.
Die in der Nähe von Bad Doberan als Forsthütten genutzten Kästen der GGw 98-01-53 und 98-02-10 wurden mit Hilfe des THW geborgen (siehe PK 76) und danach restauriert. Sie dienen heute als Lagerschuppen auf dem Bahnhof Ostseebad Kühlungsborn West.
Während die aus der Rbd Dresden stammenden offenen Güterwagen nach 1969 verschrottet wurden, fanden mehrere originale Molli-OOw/OO nach 1969 für den innerbetrieblichen Kohlentransport, als Schlackewagen, für den Unkrautvernichtungszug (mit einem Kessel versehen) bzw. zwei Wagen mit demontierten Bordwänden zum Gleisjochtransport bei Streckensanierungen eine weitere Verwendung.
Die nicht mehr benötigten Güterwagen standen teilweise noch bis 1971 auf den Ladegleisen in Bad Doberan und Kühlungsborn Ost abgestellt und wurden nach und nach zur Verschrottung oder zum Verkauf abgefahren.
In den Jahren 1986 bzw. 1988 sind fünf Güterwagen sowie der ab Ende der 1970er Jahre in Bad Doberan im Bereich der Wagenwerkstatt aufgestellte Kasten des GGw 98-01-54 in der Werkabteilung (WA) des Raw Wittenberge zu einem Salon-, vier Sitz- und einem Gepäckwagen der „Reko-Bauart“ umgebaut worden, um die Traditionsfahrzeuge aus dem Regelverkehr herauslösen zu können.
Aktueller Bestand und Angebote 2019
Neben den beiden o. g. Kästen der gedeckten Wagen 98-01-53 und 98-02-10 sind noch sieben Molli-Güterwagen mit Drehgestellen vorhanden, von denen der Verein zur Traditionspflege des Molli e. V. (VTM) vier in den vergangenen Jahren originalgetreu restauriert hat. Dabei handelt es sich um folgende Fahrzeuge:
• 98-01-56, GGw, Hannover 1922
• 98-02-55, OOw, Wismar 1911 (durch Nummerntausch mehrere Jahre als 98-03-04 bzw. „Schwerin 219“ beschriftet, danach bis Ende 2010 als 98-03-01 beschriftet)
• 98-03-02, OOw, Hannover 1922 Die Gattungszeichen dieser vier Wagen wurden nach Vorbild aus den 1960er Jahren angeschrieben, obwohl offiziell an den 98-01-56 GG, an den 98-02-04 GGh sowie an den 98-03-02 OO gehören würde.
Zustand bzw. Verbleib der noch „vorhandenen“ gedeckten Molli-Güterwagen
Wagen-Nr. | Verbleib |
---|---|
98-01-53 | Wagenkasten Bahnhof Kühlungsborn West |
98-01-54 | als Gepäckwagen 996-005 |
98-01-56 | als betriebsfähiger Traditionsgüterwagen |
98-01-57 | Wagenkasten in einem Garten in Wittenberge |
98-02-02 | als Sitzwagen 990-317 |
98-02-03 | als Salonwagen 990-316 |
98-02-04 | als betriebsfähiger Traditionsgüterwagen |
98-02-05 | Wagenkasten in einem Garten in Wittenberge |
98-02-06 | Wagenkasten in einem Garten in Wittenberge |
98-02-08 | als Sitzwagen 990-320 |
98-02-10 | Wagenkasten Bahnhof Kühlungsborn West |
98-02-12 | als Sitzwagen 990-318 |
Zusammen mit dem ebenfalls restaurierten Gepäckwagen 996-003 (Wismar 1914) bilden sie den historischen Güterzug, der in diesem Jahr mit mehreren Sonderfahrten und Veranstaltungen an die vor 50 Jahren erfolgte Einstellung des Güterverkehrs beim Molli erinnern soll.
Den Auftakt bilden die Fahrten am 11. und 18. Mai 2019. Dann verkehren jeweils von 6.15 bis ca. 17 Uhr ab Kühlungsborn West Güterzüge im Stil der 1960er Jahre. Diese legen auf der Strecke nach Bad Doberan Fotohalte und Scheinanfahrten ein. Über die Teilnehmerpreise informiert die Mecklenburgische Bäderbahn Molli GmbH per Telefon unter 038293/431 331, per Fax unter 038293/431 372 oder per E-Mail reservierung@molli-bahn. de. Interessierte Fotografen und Filmer können sich auf diesem Wege für eine (oder beide) Veranstaltungen einen Platz reservieren.
Neben den vier im Stil der 1960er Jahre restaurierten Wagen sind noch der 98-03-03 ohne Seitenwände sowie die zwei OO/OOw 98-03-08 und 98-03-12 jeweils mit Blechwänden vorhanden, die sie in den 1980er Jahren in Perleberg erhalten hatten. Übrigens: Gern würde der Verein zur Traditionspflege auch einen dieser drei Vierachser als fünften Güterwagen im Zustand der 1960er Jahre mit Holzwänden restaurieren, doch dazu sucht er Sponsoren.
11.04.2019