Schmalspurbahn-Geschichte
Eine Wanderung von Mulda nach Sayda
Im Jahr 1958 begann ich in Dresden-Neustadt meine Ausbildung zum Brückenprüfer bei der Deutschen Reichsbahn. Nach meiner Lehre war ich häufig auf Montage, so dass ich viele interessante Kunstbauten bei den Auswärtseinsätzen kennenlernte. Nach einigen Jahren kehrte ich in meinen Ausbildungsbetrieb zurück und war fortan in der Brückenwerkstatt Dresden-Neustadt tätig. Dabei arbeitete ich nicht nur an Brückenteilen, sondern beispielsweise auch an Bauteilen für den Chemnitzer Hauptbahnhof sowie für Bahnsteigkonstruktionen. An freien Wochenenden war ich häufig auf „Brückentour“, ich besuchte also besonders interessante Bauwerke. Beispielsweise besichtigte ich die Kunstbauten des 1947 eingestellten Abschnittes Zwönitz – Elterlein der Strecke Zwönitz – Scheibenberg oder auch Brücken im Thumer Netz, in Schönheide und im Preßnitztal. Als Mitarbeiter der DR war es mir meist ohne Probleme möglich, Fotos dieser Bauwerke anzufertigen. Manchmal begleiteten mich auf meinen Touren auch Arbeitskollegen. Im September 1975 zog es mich nach Mulda zur 1966 eingestellten Schmalspurbahnstrecke ins erzgebirgische Sayda. In Mulda wurden in diesen Tagen die Überbauten des Viaduktes abgerissen. Eine sehr interessante Brückenkonstruktion würde also bis auf die Pfeiler verschwinden. Vor dem Abschluss des Abrisses wollte ich mir den Anblick dieses Bauwerkes nicht entgehen lassen, meinen Fotoapparat hatte ich dazu ebenfalls dabei. Doch mich interessierte nicht nur der Viadukt, sondern die gesamte Strecke nach Sayda. Meine Tour begann ich am Empfangsgebäude des Bahnhofs, der inzwischen nur noch für die Normalspurstrecke von Freiberg nach Holzhau (bis 1972 fuhren die Züge noch bis Hermsdorf-Rehefeld) Bedeutung hatte. Im Fokus stand natürlich die „Schmalspurseite“, auch wenn inzwischen kein Gleis mehr vor dem Gebäude lag. Anschließend lief ich in Richtung des Viaduktes. Es war gar nicht so leicht, ein Foto anzufertigen – nur aus der Entfernung war dies möglich. Anschließend wanderte ich auf dem Bahndamm entlang in Richtung Gebirge. Besonders intensiv betrachtete ich die früheren Stationsanlagen. Einige Wartehallen der Schmalspurbahn waren damals noch vorhanden.
Zur Bahngeschichte: Im Mai 1894 begannen die Vermessungsarbeiten für die Bahnlinie. Baustart war aber erst rund zwei Jahre später, im Juni 1896. Nach 13 Monaten (Ende Juni 1897) erfolgte die Bauabnahme, so dass die Strecke am 30. des Monats feierlich eröffnet wurde. Die Baukosten betrugen 1,55 Mio. Mark und damit rund 80 000 Mark weniger als veranschlagt – heutzutage unvorstellbar! Der erhoffte Weiterbau der Strecke bis nach Niederseiffenbach zum Anschluss an die regelspurige Strecke Pockau-Lengefeld – Neuhausen kam nie zustande, was vor allem am als gering eingeschätzten Verkehrsaufkommen sowie dem ungünstigen Standort des Bahnhofs in Sayda lag. Den Zweiten Weltkrieg überstand die Schmalspurbahn fast ohne Schäden, ausgenommen der Bahnhof Mulda. Nach 1945 war bei Sayda ein Uranbergwerk der Sowjetischen Aktiengesellschaft Wismut geplant (später Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft – SDAG). Bei einer Inbetriebnahme hätte die Strecke nach Sayda ausgebaut werden müssen, um das Erz im Rollwagenverkehr abtransportieren zu können. Doch dazu kam es nie. Dennoch stieg das Verkehrsaufkommen in den 1950er Jahren, als immer mehr Feriengäste nach Sayda kamen und für die An- und Abreise die Züge der Schmalspurbahn nutzten. Zudem stieg auch die Bedeutung der Bahn im Berufsverkehr, schließlich gab es zu der Zeit noch keine parallele Buslinie. Doch der Aufschwung sollte nicht lange anhalten. Eine vom Ministerium für Verkehrswesen der DDR im Jahre 1963 durchgeführte Wirtschaftlichkeitsuntersuchung kam zu dem Schluss, dass ein Verkehrsträgerwechsel durchgeführt werden soll. Das Ende der Bahn war also nah. Der Güterverkehr endete am 1. Juli 1966, der Personenverkehr kurze Zeit später am 17. Juli. Damals gab es sogar eine große Abschiedsfeier, die sich bei späteren Streckeneinstellungen so nicht wiederholen sollte. Der allerletzte Personenzug fuhr in der Nacht auf den 18. Juli 1966. Die offizielle Stilllegung erfolgte im April 1967. Ein knappes halbes Jahr später, am 11. September, begann der Streckenabbau mittels Rückbauzug. Im November 1968 war der Abbau zum großen Teil beendet. Die letzten Gleise vor dem Empfangsgebäude Mulda verschwanden bis 1970. Doch auch fünf Jahre später spürte ich bei meiner Tour noch Relikte auf. An vielen Stellen war auch der Schotter auf dem Bahndamm noch vorhanden. Als ich an den Stationen meine Fotos anfertigte, wurde ich manchmal etwas komisch angesehen. Es konnte sich niemand erklären, warum ich fast zehn Jahre nach Einstellung des Betriebes die Reste der Bahn fotografierte. ![]()
Anmerkung: Auch heute gibt es noch einige Relikte der Schmalspurbahn. In Mulda sind noch vier Pfeiler des Viaduktes vorhanden. Außerdem existieren die Stationsgebäude von Wolfsgrund (neuer Standort), Voigtsdorf, Unterfriedebach, Friedebach und Sayda bis heute. In Sayda gibt es inzwischen sogar eine Gedenktafel für die Schmalspurbahn.
12.02.2018