Schmalspurbahnen in Europa
Auf Bosnischer Spur (Teil 1)
Wir Sachsen sind schon ein stolzes Schmalspurbahnvolk: ehemals über 550 km Streckennetz, große Bahnhöfe wie beispielsweise der in Mügeln und die sächsische IV K mit 96 Exemplaren als meistgebaute Schmalspurdampflokomotive für eine deutsche Eisenbahnverwaltung. Doch rund 1000 Kilometer südlich, auf der Balkanhalbinsel, dürften all diese Zahlen einst übertroffen worden sein. Über 1500 km maß das Streckennetz der Schmalspurbahnen in Bosnien, das größtenteils in der deshalb so genannten Bosnischen Spurweite von 760 mm gebaut wurde. Das war für unser Redaktionsmitglied Armin-Peter Heinze Grund genug, Ende Oktober dieses Jahres das Reiseangebot „Dampf im Balkan“ von Michael „Migu“ Schneeberger wahrzunehmen und nach Sarajevo zu fliegen. Doch um das dort Gesehene einordnen und verstehen zu können, ist ein Überblick über die Geschichte der Schmalspurbahnen in Bosnien nützlich.
Die Entstehung der „Bosnischen Spurweite“
Im Jahr 1878 begann die Geschichte der Schmalspurbahnen Bosnien-Herzegowinas mit dem Bau der „Bosnabahn“, deren erster Teilabschnitt Anfang 1879 von Bosnisch Brod (Bosanski Brod) an der Save bis Doboj in Betrieb ging. Diese von der Heeresverwaltung der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie beauftragte „Rollbahn“ wurde von der Münchener Baufirma Hügel & Sager errichtet, die kurzerhand zur Verfügung stehendes Rollmaterial vom gerade abgeschlossenen Bau der Eisenbahn von Temeswar nach Orsova im heutigen Rumänien verwendete. Das Material hatte die Spurweite von 760 mm, die dann beim Aufbau des Netzes in Bosnien bestehen blieb. Da all diese Eisenbahnstrecken auch militärisch von großer Bedeutung waren und die Österreichisch-Ungarische Monarchie einen universellen Einsatz von Fahrzeugen in ihrem Gebiet anstrebte, kam es ab 1890 fast ausschließlich zur Verwendung dieser Spurweite, die heute noch als „Bosnische Spur“ bekannt ist.
Aufstieg der Schmalspurbahnen in Bosnien
1882 wurde die Bosnabahn nach Sarajevo verlängert und erreichte damit eine Streckenlänge von 268 km. Zu diesem Zeitpunkt war Bosnien-Herzegowina bereits vollständig von der Österreichisch-Ungarischen Monarchie besetzt, die das Gebiet in Folge des Berliner Kongresses 1878 okkupierte hatte. Für eine weitere wirtschaftliche Erschließung des Landes war der Ausbau des Eisenbahnnetzes dringend nötig, aufgrund der technischen und finanziellen Bedingungen entstanden allerdings fast ausnahmslos nur Schmalspurbahnen. Die nächste große Herausforderung bestand in der Überwindung des Ivanpasses, der Wasserscheide zwischen Adria und Schwarzem Meer, teilweise mit Hilfe einer Zahnradbahn nach dem System Abt. Somit konnten Mostar in Herzegowina und der Hafen von Metkovic in Kroatien erreicht werden. Diese Strecke wurde von den Bosnisch-Herzegowinischen Staatsbahnen realisiert, die 1883 gegründet wurden und in der Folge knapp 700 km der Bahnen in Bosnien betrieben. Weitere Großprojekte auf schmaler Spur folgten rasch: Die mit 400 km längste Waldbahn war die Steinbeisbahn, welche die zweite Verbindung zur Adria herstellte, wobei im Land insgesamt geschätzte 1000 Kilometer Waldbahnen entstanden. 1901 wurde die sogenannte Dalmatiner-Bahn eröffnet, womit eine weitere Verbindung zur Adria und in die Hafenstadt Dubrovnik bestand. 1906 konnte die „Bosnische Ostbahn“ in Betrieb gehen, die erstmals die damalige türkische Grenze erreichte. Eine Zweigstrecke führte zur serbischen Grenze und ermöglichte in Verlängerung die Fahrt bis nach Belgrad. Viele dieser Strecken wurden zwar aus wirtschaftlichen Gründen als Schmalspurbahn ausgeführt, jedoch waren die Trassierung und der Unterbau bereits für einen Umbau auf Normalspur ausgelegt. 1908 wurden aus den „Staatsbahnen“ die „Bosnisch-Herzegowinischen Landesbahnen“ – die k.u.k Doppelmonarchie hatte Bosnien-Herzegowina, das bis dahin völkerrechtlich dem Osmanischen Reich angehörte, annektiert. Weitere Ausbaupläne des Streckennetzes, wie z.B. die Sandschakbahn mit dem Fernziel Thessaloniki, konnten ebenso wenig realisiert werden wie der geplante Umbau wichtiger Strecken auf Normalspur. Es hatte sich zwar spätestens in den beiden Balkankriegen 1912/13 herausgestellt, dass die Schmalspurbahnen an ihrer vor allem auch militärisch nutzbaren Leistungsgrenze angelangt waren, jedoch zeigten die Nichtfinanzierbarkeit der Projekte als auch die nicht gegebene Durchsetzbarkeit im 1910 gegründeten Bosnisch-Herzegowinischen Landtag, dass die Macht der Österreich-Ungarischen Monarchie zerfiel. Auch wenn 1914–1918 noch einige wichtige Flügel- und Verbindungsbahnen in Betrieb gingen, kam es erst mit dem 1918 gegründeten Königreich Jugoslawien wieder zu verstärkter Eisenbahnbauaktivität, nunmehr unter der Regie der neu gegründeten Staatseisenbahngesellschaft, die von 1929 bis 1954 „Jugoslovenske državne železnice“ (JDŽ, Jugoslawische Staatseisenbahnen) hieß, danach „Jugoslovenske Železnice“ für Jugoslawische Eisenbahnen (JŽ). Im Vordergrund stand hierbei zunächst, zwischen den verschiedenen Netzen in Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina Verbindungen zu schaffen.
Niedergang und Umspurung in Bosnien
Dass die Leistungsfähigkeit der Schmalspurbahnen endlich war, hatte sich schon vor dem Ersten Weltkrieg in Bosnien-Herzegowina gezeigt. Neben einigen Normalspurstrecken bestand das Netz aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem in „Bosna-Spur“, das nach 1945 auch noch zu großen Teilen zerstört war. Eine der Herausforderungen war der Transport von Kohle aus den Minen Bosniens in die Hauptstadt Belgrad. Aus diesem Grund wurde im nunmehr sozialistischen Jugoslawien unter Tito als erstes eine Regelspurbahn von Brčko nach Banovići südlich von Tuzla gebaut. Dieser Wendepunkt in der Geschichte der jugoslawischen Staatseisenbahnen bedeutete die Umspurung vieler Schmalspurstrecken oder deren Einstellung. So wurden von April bis November 1947 große Teile der alten Bosnabahn bis nach Sarajevo auf Regelspur umgebaut, weitere wichtigen Strecken folgten bis 1979, dem Jahr, in dem die JŽ ihre letzte Schmalspurstrecke einstellten. Vom einst eindrucksvollsten Schmalspurnetz Europas waren nur noch ein paar Industriebahnen übrig geblieben.
Die Kohlenbahn Banovići
In den 1920er und 1930er Jahren entstand in Živince südlich von Tuzla ein großes Dampfsägewerk. Zur Erschließung der umliegenden Wälder des Konjuh-Gebirges baute man ein Waldbahnnetz auf. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg kam Steinkohle als Transportgut hinzu, die man in der Nähe des Ortes Banovići gleich unter der obersten Erdschicht fand. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Versorgungslage mit Brennstoffen in der jungen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien prekär, besonders in Serbien wurden große Mengen Kohle gebraucht. Im März 1946 beschloss die Regierung, als eine Art Jugendprojekt eine regelspurige Eisenbahn von Brčko nahe der Grenze zu Serbien nach Banovići zu bauen. Von Brčko aus konnte die Kohle über den kroatischen Eisenbahnknoten Vinkovci gut im ganzen Land verteilt werden. In nur sechs Monaten und sieben Tagen wurde eine 90 km lange Strecke mit drei Tunneln, die allein eine Gesamtlänge von 694 m haben, fast nur mit Hacken und Schaufeln von über 60 000 jungen Jugoslawen erbaut. Parallel zum Bahnbau wurden in Banovići eine Separationsanlage und die Infrastruktur für den Steinkohlentagebau errichtet. Um die Kohle im bergigen Gebiet transportieren zu können, erbaute man eine 760-mm-Bahn für den bergwerksinternen Transport, wobei das bereits schon vorhandene Material der Waldbahn verwendet werden konnte.
Im Jahr 1950 war das Netz der schmalspurigen Kohlenbahn 40 km lang, war teilweise zweispurig ausgebaut und es wurde vom Regelspurbahnhof Banovići bis in den drei Kilometer entfernten Hauptort sogar Personenverkehr betrieben. 60 Dampflokomotiven waren zu dieser Zeit in Banovići stationiert, auf der Strecke liefen Vertreter nahezu aller in Bosnien noch vorhandener Reihen. Armin-Peter Heinze
Teil 2 berichtet vom Besuch der Šarganer Acht in Serbien und der Kohlenbahn im bosnischen Banovići im Oktober 2014.
07.12.2014