Reisebericht
„South East’s Friendliest Steam Railway“ - die freundlichste Dampfeisenbahn des Südostens
Mit diesem Slogan wirbt eine kleine, aber feine Museumseisenbahn im Südosten Englands um Besucher. Die Stadt Royal Tunbridge Wells in der Grafschaft Kent, der Ausgangspunkt dieser Bahn, liegt 39 Meilen (62 km) südlich von London. Inmitten des „High Weald“ genießt Tunbridge Wells aufgrund seiner eisenhaltigen Quellen in England den Status eines anerkannten Heilbades. Der „High Weald“ ist eine im Süden Englands gelegene Hügellandschaft, die schon immer vom Lärm und Staub gestreßte Londoner zum Erholen und Wandern oder einfach zum Nichtstun einlud. Nachdem man Mitte des 18. Jahrhunderts eine eisenhaltige Mineralquelle fand, erhielt die Stadt 1909 den Beinamen „Royal“ und wurde zu einem Badeort, vornehmlich des begüterten Bürgertums. Royal Tunbridge Wells blühte auf und rückte in die Reihe der großen Badeorte an der Südküste auf.
Epoche der florierenden Eisenbahn
Als ab Mitte des 19. Jahrhunderts in England die Eisenbahn Städte und Dörfer miteinander verband, erhielt Tunbridge Wells im Jahr 1845 durch die „South Eastern Railway“ seinen ersten Bahnhof. Die konkurrierende „London-Brighton & South Coast Railway“ eröffnete im Jahre 1866 den Bahnhof Tunbridge Wells West und mit ihm ein dichtes Netz weiterer Strecken, die Verbindungen nach London und Brighton an der englischen Südküste ermöglichten. Beide Stationen verband man später mit einem Tunnel. 1923 in der „Southern Railway“ zusammengeführt, bekam die Strecke auch überregionale Bedeutung durch viele Fernzüge, wobei über 100 Züge pro Tag die Strecke nutzten. Trotzdem war die Bahn durch einen typischen Nebenbahnbetrieb geprägt. Nachdem die Eisenbahn nach dem Zweiten Weltkrieg verstaatlicht war, wurde insbesondere der Bahnhof von Groombridge Station signaltechnisch umfangreich erneuert. Ab den 1950er Jahren wurden infolge des Beeching Acts, einem nach dem gleichnamigen Minister benannten Gesetz, rund um Eridge und Tunbridge Wells sehr viele Nebenbahnlinien stillgelegt. Der Minister hatte diesen Eisenbahnstillegungsplan entwickelt, und bis 1969 war das Netz bereits weitgehend ausgedünnt. Durch den Einsatz von Dieseltriebwagen, die Mitte der 1960er Jahre die Dampfloks ablösten, konnte der Verkehr auf den verbliebenen Strecken noch eine Weile wirtschaftlich aufrecht erhalten werden. Doch am 6. Juli 1985 fuhr auch zwischen Eridge und Tunbridge Wells der letzte Zug. Die Strecke wurde in der Folge stillgelegt und teilweise abgebaut. Dabei ist die Bahnverbindung zum Bahnhof Tunbridge Wells unterbrochen, abgebaut und der Tunnel zugeschüttet worden. Heute befindet sich vor dem ehemaligen Tunnel ein Supermarkt.
Neustart als Museumsbahn

Nach der für die Bevölkerung ziemlich überraschenden Stillegung der Strecke gründete sich in einer hastig einberufenen Versammlung ein Verein, der für die schnelle Wiedereröffnung der „Tunbridge Wells to Eridge line“ kämpfen wollte. Die Gruppe, völlig ahnungslos, worauf sie sich damit einließen, nannte sich „Tunbridge Wells and Eridge Railway Preservation Society“ (TWERPS). Das Akronym des Vereins (twerps) wird im englischen Sprachgebrauch auch für eine unbedeutende, verachtenswürdige Person gebraucht, außerdem ist es die Abkürzung für ein Rollenspielsystem. Damit war in den nächsten Jahren natürlich genug Potential für Spott und Späße an der Arbeit des Vereins vorhanden. Man kämpfte gegen die Vegetation, das Desinteresse der örtlichen Verwaltung und offene Feindschaft aus manchen Ecken. Nach viel Überzeugungsarbeit gelang es dem Verein mit Hilfe eines großzügigen Darlehen des Tunbridge Wells Borough Council (Verwaltungsbehörde), die Strecke zu erwerben. Im Winter 1996 konnten auf einer halben Meile des Weges nach Groombridge mit einer Dampflok der „North Downs Steam Railway“ erste Fahrten angeboten werden. In Folge der Fusion des „North Downs Steam Railway“ Vereins und des TWERPS wurde die „Spa Valley Railway“ geboren. Mit erheblichen Anstrengungen der Mitglieder wurde die Linie im August 1997 wieder bis Groombridge auf einer Gesamtlänge von 3,5 Meilen (rund 5,6 Kilometer) eröffnet. Kontinuierlich stiegen die Fahrgastzahlen, der Besitzer des „High Rocks Inn“ errichtete in High Rocks, auf halbem Weg zwischen Tunbridge Wells und Groombridge, eine neue Station an der Museumsbahnstrecke, die im August 1998 eröffnet wurde. Der Einsatz neuer Lokomotiven, Wagen und der Bau eines Stellwerks verbesserten den Betriebsablauf spürbar. Im Jahr 2005 eröffnete der Verein eine Erweiterung der Strecke bis kurz vor dem ehemaligen Abzweig „Birchden Junction“, eine Meile von Groombridge entfernt, bis an die Hauptstrecke nach Eridge. Mitte 2007 zeichnete sich nach vielen Verhandlungen mit Network Rail und anderen beteiligten Parteien ab, daß der Weiterbau der Strecke nach Eridge in Angriff genommen werden konnte. Im März 2011 war es dann endlich soweit, auch die letzte Meile (rund 1,5 Kilometer) wurde nach vielen Verzögerungen in Betrieb genommen. Für die nun rund 9 km lange Strecke benötigen die Züge rund 30 Minuten Fahrtzeit.
Eine Fahrt auf der Spa Valley Railway

Die Fahrt auf der 5,5 Meilen (rund neun Kilometer) langen Strecke der Spa Valley Railway beginnt im Bahnhof Royal Tunbridge West. Das 1866 erbaute einstöckige Bahnhofsgebäude mit einem Seitenturm verbreitet den Charme englischer Nebenbahnen. Heute beherbergt es ein Hotel, ein Restaurant und die Verwaltung der Spa Valley Railway. Der Bahnsteig befindet sich 50 Meter weiter neben dem vierständigen Lokschuppen, in dem heute Lokomotiven und Waggons instandgesetzt und gewartet werden. Auf mehreren Ausfahrtgleisen sind Waggons und Lokomotiven abgestellt.

Der Zug verläßt den Bahnhof in westlicher Richtung, kreuzt die A26, eine wichtige Straßenverbindung nach Eastbourne, und erreicht auf der eingleisigen Strecke nach sieben Minuten die Station High Rocks. Benannt ist die Station nach einem Sandsteinfelsen, der sich unmittelbar neben der Station in die Höhe reckt. Nach einem kurzen Halt geht die Fahrt weiter durch die liebliche Wald- und Wiesenlandschaft, die sich wie ein Gürtel zwischen London und der Südküste Englands ausbreitet. Sie ist Heimstätte für Damwild, Hasen, Füchse und Fasane, von denen man bei der Fahrt eine große Anzahl beobachten kann. Es ist eine Augenweide, durch diese Landschaft ohne Eile zu reisen. Die Bahn fährt nun parallel zum Flüßchen Groom und erreicht nach weiteren sieben Minuten Fahrtzeit die Station von Groombridge, die westlich des früheren Bahnhofes neu errichtet wurde. Hier ist auch die von der ehemaligen Station Gravesend West Street abgetragene Bahnsteigüberdachung neu aufgebaut worden. Groombridge ist ein beschaulicher Ort mit einem aus dem 17. Jahrhundert stammenden Herrenhaus mit berühmter Gartenanlage und dem anliegenden, sogenannten verwunschenen Wald. Bei der Ausfahrt passiert der Zug ein kleines Stellwerk und die original erhaltene Signalbrücke. Früher zweigte hier die Strecke nach East Grinstead ab. Zur linken tauchen nun die 60 Meter hohen Harrison’s Rocks auf, bei welchen es sich um eine bei Kletterern beliebte Sandstein-Felsformation handelt. Gleich darauf erreicht die Bahn Birchden Junction. Hier fährt der Zug nun parallel zur Bahnstrecke London-Uckfield und durch reines Farm- und Weideland. Die grasenden Schafe lassen sich vom Stampfen und Schnaufen der Dampflokomotive jedoch stören. Von Groombridge nach Eridge benötigt der Zug noch einmal neun Minuten. Das aus dem Jahr 1868 stammende historische Bahnhofsgebäude ist der Inbegriff einer ländlichen Bahnstation Südenglands mit zwei Inselbahnsteigen. Früher konnte man von hier auch zum Bahnknoten Polegate und weiter bis an die Südküste reisen.
Betrieb und Fahrzeugpark
Regelmäßig sind an den Wochenenden von März bis Oktober fünf Zugpaare unterwegs. Zusätzlich fahren weitere Züge in der Ferien- sowie in der Vorweihnachtszeit und zu den Weihnachtsfeiertagen. Bei den Kindern beliebt sind auch Sonderfahrten, bei denen Figuren des englischen Fernsehens wie die Lokomotive „Thomas“ und ihre Freunde oder „Postman Pat“ im Mittelpunkt stehen. Die Züge sind meist vorn mit einer Dampflok und einer Diesellok am Ende des Zuges bespannt, so daß man in den Genuß zweier Traktionen kommt. Außerhalb der Saison fahren einige Züge auch nur bis Groombridge. Beliebt sind auch die sogenannten „Fish & Chips Trains“ und die „Real Ale Trains“, in denen während der Fahrten landestypische Gerichte und Getränke serviert werden. Der „Spa Valley Railway“ gehören einige prägnante Vertreter der englischen Lokomotivbaureihen für den Nebenbahnbetrieb, z. B. Dampfloks aus den Jahren 1924 bis 1950 und verschiedene Dieselloks. Zum Einsatz kommen Waggons der ehemaligen British Railways, die in den 1950er und 1960er Jahren gebaut worden sind. Auch einige Waggons der Metropolitan Railway aus dem Jahre 1932 gehören der Museumseisenbahn. Ein Besuch dieser englischen Museumsbahn kann jedem Eisenbahnfreund nur empfohlen werden, da dadurch nicht zuletzt auch das Engagement des Vereins unterstützt wird.
12.02.2012