Rettet die Bahnzeit!
Ohne Bahnzeit – Ist der MDR noch zu retten?
Kommentar
Da ist der neue „trimediale Chefredakteur“ noch nicht im Amt, da verdeutlicht der MDR in seinem laufenden Programm, daß selbst Redakteure des gleichen Mediums „Fernsehen“ noch nicht einmal auf die (hoffentlich noch vorhandene) Fachkompetenz im eigenen Hause zurückgreifen. Bevor also jetzt Trimedialität auf die Fahne geschrieben wird, sollte erst einmal innerhalb eines Mediums der notwendige Wissenstransfer stattfinden.
Daß die Einstellung der „Bahnzeit“ zuvorderst dem Heimatgebiet des Senders, den touristischen Regionen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Schaden zufügt, haben wir ja ausgiebig thematisiert − daran hat sich auch nichts geändert. Doch nun liefert der MDR den Beweis, daß die Einstellung der monatlich ausgestrahlten Sendung mit eisenbahnspezifischen Inhalten auch zum Schwund an Sachverstand und Regionalkompetenz führt. Mindestens scheint anderen Redaktionen sehr deutlich der fachliche Ansprechpartner verloren gegangen zu sein.
Schmalspurbahn Wolkenstein - Schmiedeberg
Am 2. Juni strahlte der MDR zu bester Sendezeit um 20.15 Uhr die Sendung „An den ungezähmten Ufern von Zschopau und Weißeritz“ aus. Moderatorin Janine Strahl-Oesterreich führte durch „eine unterhaltsame Flußreise“ entlang der beiden bekannten Wasserläufe im Erzgebirge. An vielen Stellen hätte sich der Zuschauer, besonders bei dem genannten Titel, mehr Tiefgang in der Darstellung von interessanten Sehenswürdigkeiten gewünscht. Für den eisenbahninteressierten Zuschauer ergab sich natürlich ein besonderes Interesse, wie wohl die Eisenbahnen entlang der beiden Flüsse in die Story der Sendung eingebunden würden, schließlich wurden beide Täler bereits seit weit über einhundert Jahren von Schienensträngen verschiedener Spurweiten geprägt.
Die filmisch dargestellte Flußwanderung führte erwartungsgemäß von den Quellen bergab, bei Wolkenstein stand erstmals „Eisenbahn“ auf dem Programm, das dortige Zughotel wurde kurz vorgestellt. Doch dann die Überraschung schlechthin, vor einem der Zughotelwagen stehend, deklamiert die Moderatorin den folgenden Text, der im Beitrag mit unten dargestellter Karte unterlegt wurde:
„Noch vor 50 Jahren hätte ich ja sogar per Schmalspurbahn hier von der Zschopau bis zur Weißeritz, unserem anderen ungezähmten Fluß, reisen können. Hier vom Bahnhof Wolkenstein mit der Preßnitztalbahn bis Schmiedeberg ins Tal der Roten Weißeritz. Und von dort mit der Weißeritztalbahn nach Kipsdorf. Von da wäre es dann nicht mehr weit bis zu den Quellen der Weißeritz. Doch das ist nicht mehr möglich, weil die DDR 1967 beschloß, ein modernes Land zu werden. Und dazu passen nun mal keine alten Schmalspurbahn mehr.“
Hossa, da beschäftigt man sich sein halbes Leben mit Schmalspurbahnen, und dann erfährt man derartig Neues bei einer „unterhaltsamen Flußreise“. Der Autor mußte sich erst kurz vergewissern, daß er nicht einer Halluzination aufgesessen und vor dem Fernseher eingeschlafen ist oder der Kalender eventuell den 1. April anzeigte. Nun mag es gelegentlich selbst in Fachpublikationen schon mal vorgekommen sein, daß man „Niederschmiedeberg“ an der Preßnitz mit „Schmiedeberg“ an der Weißeritz oder gar mit „Bad Schmiedeberg“ in Sachsen-Anhalt verwechselte. Daß man daraus aber gleich eine Schmalspurbahnstrecke von Wolkenstein an der Zschopau nach Schmiedeberg an der Weißeritz dichtete, daß ist eine neue Qualität.
Liebe Redakteurin Dr. Martina Wagner, es steht mir fern, Ihre akademischen Fähigkeiten und Eignungen in Zweifel zu ziehen, auch wenn das inzwischen ja zu einem beliebten Sport der Netzgemeinde wird. Aber das, was Sie hier abgeliefert haben, disqualifiziert Sie für die Tätigkeit, die Sie ausfüllen wollen. Als Redakteur, das ist nicht nur in schriftlichen Medien so üblich, sollte man sich über Inhalt und Wahrheit seiner Verlautbarungen sorgfältig und ausreichend informieren.
Da ist der zweite gravierende Fauxpas mit Eisenbahnbezug im Sendebeitrag, die Weißeritztalbahn zur ältesten öffentlichen Schmalspurbahn Deutschlands zu erklären, zwar genauso falsch aber wahrscheinlich nur einem sehr kleinen Teil der Zuschauer aufgefallen. Andererseits spiegelt sich in Ihrer Sendung, Frau Wagner, eigentlich nur das demonstrative Desinteresse Ihres Intendanten, Ihres noch amtierenden Chefredakteurs und Ihres noch amtierenden Fernsehdirektors an Themen mit Eisenbahnbezug wider. Sie sind also offensichtlich nicht schlechter als diese Herren − aber auch keinen Deut besser.
Mit der Einstellung der Sendereihe „MDR-Bahnzeit“ ist es sichtbar gelungen, Sachverstand zu Themen mit Regionalbezug in der Rundfunkanstalt weit auszugrenzen. Welchen Bezug das Jahr 1967 und die Aussage, daß „die DDR … beschloß, ein modernes Land zu werden“ liefern soll, bleibt gänzlich im Nebel. Ich will es auch gar nicht mehr wissen.
Da stellt sich wirklich die Frage: Ist der MDR noch bei Troste, den Anspruch „Heimatsender“ tragen zu wollen?
Geht da noch was?
Doch, der MDR kann tatsächlich auch noch kompetenter als nur „Bahnhof“.
Nach der besonders im April schon sehr häufigen Berichterstattung über die Döllnitzbahn und der von Zeit zu Zeit wiederkehrenden Nachfrage nach dem Stand der Dinge bei der Weißeritztalbahn kann man zumindest dem Landesfunkhaus Sachsen bescheinigen, zwar nicht permanent, aber doch auf einem erkennbaren Niveau über die Schmalspurbahnen zu berichten. Danke dafür, bitte weitermachen.
Mit dem Besuch und einem mehrteiligen Bericht über die Museumsbahn Schönheide hatte auch die Sendereihe „Auf schmaler Spur“ eine weitere Episode, als halbstündiger Beitrag bereichert er das Pfingstfernsehprogramm. Danke auch dafür, doch alles dies ist ausbaufähig.
Ja, es ist stiller geworden um die Aktivitäten zur Aktion „Rettet die Bahnzeit“ − aber wir sind nicht mundtot. Es ist fürwahr nicht erquickend, nur Stillstand zu dokumentieren, da beschäftigt man sich doch lieber mit Projekten, bei denen man eine positive Resonanz erkennt. Jetzt hat sich der Intendant den MDR mal wieder in die öffentliche Wahrnehmung gerückt, als er verlautbaren ließ, vorzeitig sein Amt aufzugeben. Wird es jetzt einen ernsthaften Wettbewerb um den besten Kandidaten geben, werden die Rundfunkräte endlich einmal ihre Wirksamkeit deutlich machen?
Können wir noch etwas tun? Ja. Eindeutig ja! Denn noch immer wächst die Zahl der Unterstützer, noch immer gibt es Rückmeldungen über den artikulierten Protest gegenüber dem MDR. Danke allen Mitmachern. Und wir müssen unseren Unmut weiter deutlich machen, auf den Unsinn im Programm mit klaren Worten hinweisen, sonst ist der MDR als Heimatsender verloren.
Aber die Idee einer Schmalspurbahn von Wolkenstein nach Schmiedeberg ist so unsinnig, daß sie eigentlich schon wieder gut ist. Vielleicht läßt sich daraus ja noch mal was machen.
13.06.2011