Schmalspurbahnen in Europa
Neues aus dem Land der Siebenbürger Sachsen
Erste regelmäßige Fahrten auf der „Wusch“ seit 20 Jahren
Auf einen 7 km langen Abschnitt der ca. 60 km langen Schmalspurbahn Hermannstadt – Agnetheln (Sibiu – Agnita) ist Betrieb zurückgekehrt. Die Rumänischen Staatseisenbahnen (CFR) hatten diese Linie vor bald 20 Jahren im September 2001 als ihre letzte 760-mm-Strecke eingestellt. Ab 2015 fanden zunächst gelegentliche Sonderfahrten ab dem Bahnhof Harbachsdorf (Cornățel) statt. In diesem Jahr verkehren die Züge durch das Harbachtal erstmals seit langer Zeit wieder regelmäßig, jedenfalls an den Wochenenden. Dies ist ein Erfolg für die „Asociația Prietenii Mocăniței“ (APM, übersetzt: „Vereinigung der Freunde der Schmalspurbahn“). Die APM bemüht sich seit mehr als zehn Jahren um eine Reaktivierung der „Wusch“.
Diesen Spitznamen hatte die zwischen 1898 und 1910 eröffnete Bahn mit einst ca. 120 km Netzlänge von den Siebenbürger Sachsen erhalten. Mit Hermannstadt und Schäßburg (Sighișoara) verband sie einst zwei wichtige Zentren der deutschsprachigen Bevölkerung im heutigen Rumänien. Die Siebenbürger Sachsen waren im Mittelalter in den Karpatenbogen gekommen und prägten über Jahrhunderte das kulturelle Leben dieser Region. Wenngleich viele „Sachsen“ nach der politischen Wende Rumänien Richtung Westen verließen, so ist ihr kulturelles Erbe in Siebenbürgen vielerorts noch gegenwärtig. Im Dorf Holzmengen (Hosman), dem derzeitigen Endpunkt der „Wusch“, gibt es eine von den Siebenbürger Sachsen ab dem 13. Jahrhundert zur Verteidigung gegen Türken und Tataren errichtete Kirchenburg.
Anfang April 2021 nahm die APM den regulären Fahrbetrieb zwischen Harbachsdorf und Holzmengen auf. Zum Einsatz gelangen derzeit ausschließlich aus dem deutschsprachigen Raum stammende Fahrzeuge. So dient „als Zugpferd“ die von dem Hersteller von Bahnfahrzeugen und zugleich Bahntourismusanbieter „S. C. Calea Ferata Ingusta SRL“ (CFI) in Crișcior ausgeliehene Diesellok RT 3 (Deutz 56775/1957). Diese Lok verkehrte einst in der Braubacher Blei- und Silberhütte in Rheinland-Pfalz und später bei den Steiermärkischen Landesbahnen in Österreich. Sie kam im Herbst 2020 zur „Wusch“. Über die CFI gelangte Anfang April 2021 auch der Wagen B 119 der Schweizer Forchbahn ins Harbachtal. Dieser Personenwagen stand zuvor im Tram-Museum Zürich, das er aus Platzgründen verlassen musste. Seit 2019 befinden sich drei weitere Fahrzeuge aus dem Alpenland bei der „Wusch“. Diese hatte der Schweizer Verein „Ostgleis“ für den Aufbau des Fahrbetriebs im Harbachtal nach Rumänien vermittelt. Es handelt sich dabei um den Salonwagen As 24 sowie um die beiden offenen Güterwagen K 306 und K 310, die zur Personenbeförderung mit Sitzbänken und einem Behelfsdach versehen werden. Alle drei Wagen liefen zuvor auf der Waldenburgerbahn bei Basel (siehe PK 165, Seiten 21–23). Der aus einem Güterwagen der Strecke Steinhelle – Medebach entstandene vierachsige Personenwagen mit offenen Seitenwänden 201 rundet den derzeitigen Wagenpark ab.
EU fördert Restaurierung originaler Wagen
Auch wenn es in den vergangenen Jahren einzelne Rückschläge bei der Reaktivierung der „Wusch“ gab, so blickt die APM nun zuversichtlich in die Zukunft. Begeisterte Besucher – darunter zahlreiche Kinder – erfüllen die Freiwilligen des Vereins mit Stolz und motivieren zur Fortsetzung des Engagements. Mit Hilfe einer im Sommer 2020 bewilligten europäischen Förderung kann die APM künftig verstärkt auf eigene Fahrzeuge zurückgreifen. Anfang 2021 wurde die Beschaffung einer eigenen Diesellok ausgeschrieben. Den Zuschlag erhielt die schon erwähnte Firma CFI als Partner der APM. Wenn alles nach Plan läuft, wird Ende 2021 die neue Lokomotive auf der „Wusch“ in Betrieb gehen. Dank der EU-Förderung sollen ferner zwei der vor dem Verschrotten bewahrte Original-Personenwagen, die bis 2001 zwischen Hermannstadt und Agnetheln verkehrten, aufgearbeitet werden. Wie alle Eisenbahnvereine muss auch die APM aktuell auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie reagieren. Ob somit 2021 eine größere Veranstaltung, wie häufiger in den vergangenen Jahren mit dem Einsatz einer geliehenen Dampflok, stattfinden kann, bleibt abzuwarten. Stand Mai 2021 werden die regulären Fahrten an Sonntagen angeboten. Die APM entwickelt den Fahrplan für die Saison 2021 – auch unter Berücksichtigung des Pandemiegeschehens – regelmäßig weiter. Aktuelle Informationen sind über die (rumänischsprachige) Webseite https://sibiuagnitarailway.com des Vereins zu finden. Die private Internetseite www.die-wusch.de informiert in deutscher Sprache über Geschichte und Gegenwart der „Wusch“.
09.06.2021