Eisenbahn-Geschichte
Zur Farbgebung sächsischer Fahrzeuge in der Zeit der (K.)Sächs.Sts.E.B. – Teil 1
Im vorigen Preß’-Kurier (PK 179) besprach André Marks auf Seite 57 den im Frühjahr 2021 von Peter Wunderwald veröffentlichten Band 1 „Freitaler Schienenwege im Wandel der Zeit“. Nachdem er die Stärken des überdurchschnittlich guten Werkes aufgezählt hatte, führte er einige Dinge auf, die ihm persönlich weniger gut gefallen. Dazu schrieb er: „Und leider gehören auch viele der in den Fahrzeugskizzen verwendeten Farben ins Reich der Phantasie.“
Damit brüskierte er vor allem den Urheber der farbigen Zeichnungen, den in Freital lebenden Eisenbahnfreund Falk Philipp, der seit vielen Jahrzehnten zu den Mitgliedern mehrerer regionaler Vereine zählt. Gemeinsam mit Peter Wunderwald bat er die PK-Redaktion, angeblich fehlerhafte Farben zu benennen und zu begründen, warum diese Farbgebungen aus Sicht des Rezensenten falsch sein sollen.
Da über die Lackierung sächsischer Fahrzeuge in der Zeit der (K.)Sächs.Sts.E.B. sowie in der frühen Reichsbahnzeit bisher nur selten und wenig publiziert worden ist, andererseits an diesem Thema ein großes Interesse besteht, greift die PK-Redaktion diese Anregung gern auf. Dies bietet zudem die Gelegenheit, die Stärken der veröffentlichten Zeichnungen zu würdigen und sie differenzierter zu betrachten. Zunächst sei erklärt, dass die beim Layout der PK-Seite vollzogene Veränderung des im Manuskript der Rezension verwendeten Wortes „Fahrzeugzeichnungen“ in „Fahrzeugskizzen“ aus Platzgründen geschah. Mit dem Wortbestandteil „Skizze“ war jedoch keinerlei Herabwürdigung beabsichtigt.
Nun sind zur Quellenlage über die Farbgebung der sächsischen Lokomotiven und Wagen vor 1920 einige Erklärungen notwendig. Dazu gehört, dass heute übliche Farbdefinitionen anhand von RAL-Farbtafeln in der Kaiserzeit nicht möglich waren. Die genormte Festlegung von Farben ist ein Aufgabengebiet des per 23. April 1925 in Berlin gegründeten „Reichs-Ausschusses für Lieferbedingungen“ gewesen, dessen Abkürzung RAL sich bis heute erhalten hat. Per 1. Januar 1927 legte der RAL für 40 damals weit verbreitete Farben eine exakte Definition vor, deren Nummern und Umfang sich später mehrfach änderten bzw. in den letzten zwei DDR-Jahrzehnten durch TGL ersetzt waren. Zu den Gründungsmitgliedern des RAL gehörten übrigens Vertreter der 1924 gegründeten Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft. Festzuhalten bleibt: Vor 1927 hatte es keine einheitlichen Farbdefinitionen im heutigen Sinne gegeben, stattdessen gab es in den einzelnen Unternehmen – und Eisenbahnwerkstätten – individuelle Farbtafeln als Muster, die als Grundlage zum Anmischen von Farben dienten. Dadurch gab es bei den auf diese Weise erzeugten Farben ein gewisses Spektrum. Beim erwähnten Anmischen der zu Zeiten der K.Sächs.Sts.E.B. üblichen Ölfarben wurden pulverförmige Farbstoffe – Pigmente oder lösliche Erdfarben – mit Leinöl bzw. Leinölfirnis als Bindemittel verrieben. Im Laufe der Jahre dunkelt derart hergestellte Farbe nach. [Anmerkung 1)]
Zur Quellenlage vor 1920
Seit mehreren Jahrzehnten beschäftigt sich der Eisenbahner und Eisenbahnfreund Rainer Fischer mit der Farbgebung sächsischer Eisenbahnfahrzeuge. In einem unveröffentlichten Manuskript schreibt er: „Über die Art und die Ausführung des Anstrichs der Wagen der K.Sächs.Sts.E.B. ist bislang wenig Verbindliches bekannt, da bis auf eine Mustertafel für Personenwagen und einigen grundlegenden verbalen Aussagen für Güterwagen offenbar keine Vorschriften und amtlichen Unterlagen dazu erhalten geblieben sind. Auch die sonst sehr detaillierte zeitgenössische Fachliteratur hält sich mit konkreten Angaben über das farbige Erscheinungsbild der Fahrzeuge auffallend zurück.“ Damit stehen Sachsens Eisenbahnen übrigens nicht allein. Auch zur Farbgebung der Fahrzeuge der Königlich Württembergischen Staatseisenbahnen (K.W.St.E.) liegen keine präzisen Angaben vor. Den dortigen aktuellen Forschungsstand zeigt der im von der Deutschen Gesellschaft für Eisenbahngeschichte e. V. (DGEG) herausgegebenen Jahrbuch für Eisenbahngeschichte 2017/2018 veröffentlichte Aufsatz „Farbgebung der Eisenbahnfahrzeuge im Königreich Württemberg“ von Hans-Joachim Knupfer auf, der inhaltlich viele Parallelen zu Sachsen enthält und wichtige Ansätze zur rückblickenden Farbanalyse bietet. Gemäß von Rainer Fischer ausgewerteten Dokumenten aus den Hauptwerkstätten der K.Sächs.Sts.E.B. hatte der Anstrichaufbau an den sächsischen Wagen etwa acht Jahre zu halten, dazwischen waren nach Bedarf bei den Personenwagen auch „Auflackierungen“ möglich. Vor der Erneuerung des Anstrichs war der alte grundhaft abzubeizen bzw. abzubrennen – auch wenn unbeschädigte Ölfarbanstriche generell als überstreichbar gelten. Rainer Fischer führt aus: „Geht man davon aus, dass dieser Arbeitsgang in der gesamten Staatsbahnzeit, zumindest aber bis zum Ersten Weltkrieg, mehr oder minder gründlich ausgeführt wurde, lässt das an der Aussagekraft der heutigen Farbuntersuchungen und Befunde zweifeln, die selbst bei älteren Wagen somit erst für die Jahre ab etwa 1905/10 Rückschlüsse zulassen würden.“
Die zur Herstellung streichfähiger Deck- und Lackfarben verwendeten Farbstoffe ließen im deutschen Eisenbahn-Wagenbau des 19. Jahrhunderts einen grünen (Chromgrün), blauen (Berliner Blau), gelben (Chromgelb) und braunen (Pariser Schwarz, Umbra) Anstrich zur Regel werden. Besonders die grüne und die braune Farbe wurden in den 1870er Jahren als für Eisenbahnzwecke besonders geeignet angesehen, kann Rainer Fischer anhand von Originalquellen nachweisen. Er erklärt weiterhin: „Durch Zugabe von Bleiweiß konnte die Helligkeit beeinflusst und der Farbton an die Vorgaben von Mustertafeln angepasst werden.“ Welche Bereiche der sächsischen Lokomotiven und Wagen im zeitgemäß üblichen Farbton zu streichen waren, lässt sich allerdings oft nur mühevoll anhand von Fotografien nachvollziehen. Anders zeigt sich die Quellenlage zur Farbgebung von Fahrzeugen der Königlich Preußischen Staatseisenbahnen, deren Einsatzgebiet größer als das der sächsischen, bayerischen, württembergischen, badischen, oldenburgischen etc. Staatseisenbahnen in Summe war. Diese preußische Dominanz barg bzw. birgt seit der Kaiserzeit – und bis heute – die Gefahr der Übertragung preußischer Gegebenheiten bzw. Vorstellungen auf die süd- bzw. mitteldeutschen Bahnverwaltungen. Dazu seien hier die Stichworte Colorieren von Ansichtskarten sowie Orientierung von Künstlern, Spielwaren- und frühen Modellbahnherstellern an preußischen Vorbildern gegeben. Eine vorbildliche Darstellung dieser Ausgangslage zur Beschreibung der Farbgebung sächsischer Fahrzeuge ist im Internet auf den von Nils Moh erstellten Seiten www.hafenbahnhof.de/vorbild/farben/sachsen/farben_sachs_version.htm zu finden. Die dort getroffenen Aussagen unterstützt auch Falk Philipp ausnahmslos.
Herausforderung farbiger Zeichnungen
Maßstäbliche Fahrzeugzeichnungen farbig einzufärben, ist ein bereits vor mehr als 100 Jahren angewendetes Verfahren. So gibt es aufklappbare Darstellungen preußischer Schnellzuglokomotiven aus der Zeit um 1920, um deren Baugruppen zu erklären. Ab Ende der 1990er Jahre trat der damals im Tal der Roten Weißeritz lebende Gernot Bahr mit per Corel Draw erstellten farbigen Darstellungen sächsischer Lokomotiven und Wagen in die Öffentlichkeit. Seit Bahrs Tod führt der in Berlin lebende Peter Erdmann dessen Arbeit fort. Andere Zeichner erreichen mit PowerPoint und anderen Zeichen-Programmen teils überraschend gute Ergebnisse, Falk Philipp arbeitet mit Corel Draw 7. Eine Schwierigkeit derartiger Farbzeichnungen stellt die Absicht dar, abgerundete oder abgeschrägte Baugruppen wie Kessel bzw. abgewinkelte Bleche sowie im Schatten liegende Bereiche durch Farbverläufe ähnlich wie bei einer Fotografie in verschiedenen Graduationen darzustellen, obwohl die betreffenden Bauteile in Wahrheit einheitlich lackiert sind. Das führt dazu, dass beim Betrachter derartiger Farbzeichnungen ein gewisses Grundwissen vorhanden sein muss, was der Grafiker eigentlich zeigen möchte. Betrachten Laien derartige Farbzeichnungen, weicht deren Farbinterpretation von der eines Fachmannes bzw. den Intentionen des Zeichners im schlechtesten Falle extrem ab. Entsprechend bewegen sich Farbzeichnungen immer in einem gewissen Zwiespalt: Wenn es von Fahrzeugen in einer gewissen Lackierung und Form keine Farbaufnahmen gibt, dann sind derartige Zeichnungen prinzipiell ein guter Ansatz, um deren Lackierung zu visualisieren. Andererseits obliegt dem Zeichner – wie einem Modellbahnhersteller – eine große Verantwortung, weil er mit seiner Arbeit ein farbiges Bild suggeriert, was mit der zeitgenössischen Realität leider nicht zwangsläufig übereinstimmt. Daher erscheinen Kommentare zu farbigen Zeichnungen ratsam, in denen die Urheber/Autoren auf unklare Dinge bzw. improvisierte Darstellungen hinweisen. Auch dazu gab es während eines konstruktiven und freundschaftlichen Austausches zwischen André Marks und Falk Philipp in den vergangenen Wochen sofort Einigkeit. Der Freitaler Zeichner werde in Zukunft darauf größeres Augenmerk richten.
Die Zeichnungen von Falk Philipp
Im eingangs erwähnten Freital-Buch von Peter Wunderwald sind 14 Farbzeichnungen von Falk Philipp abgedruckt. Diese sind allesamt mit einem hohen zeichnerischen Anspruch umgesetzt, immerhin beschäftigt sich ihr Urheber seit mehreren Jahrzehnten mit sächsischen Fahrzeugen, im Schwerpunkt mit den auf der „Windbergbahn“ und im Deubener Becken eingesetzten Lokomotiven und Wagen. Basis seiner Zeichnungen sind u. a. Fotografien, teils colorierte Ansichtskarten, Skizzen und technische Zeichnungen sowie zeitgenössische Modelle und Augenzeugenberichte. Anders als bei einer Buchbesprechung, bei der vorherige Absprachen zwischen dem Rezensenten und den Urhebern der rezensierten Veröffentlichungen unüblich sind, hat Falk Philipp für folgende Gegenüberstellung von Standpunkten dem PK mehrere Angaben zugearbeitet.
Als sächsischen Eisenbahnfreund interessiert André Marks die von Richard Hartmann in Chemnitz gegründete Lokomotivfabrik und die daraus hervorgegangene Sächsische Maschinenfabrik vormals Richard Hartmann AG seit vielen Jahren ganz besonders. Er sieht sowohl zeitgenössische als auch heutige Veröffentlichungen über diesen Hersteller ein. Sein Augenmerk liegt dabei auf dem Unternehmen wie den produzierten Lokomotiven gleichermaßen. Innerhalb seines im Sommer 2000 abgeschlossenen Geschichtsstudiums, aber auch in den Jahren danach suchte André Marks in den Standorten Dresden und Chemnitz des Sächsischen Hauptstaatsarchivs, im Archiv des Verkehrsmuseums Dresden, im Sächsischen Eisenbahnmuseum in Chemnitz-Hilbersdorf sowie deutschlandweit bei privaten Eisenbahnfreunden nach Originalunterlagen der Fa. Hartmann. Was er dabei nicht fand, das waren Angaben zur Lackierung der Lokomotiven in der sogenannten Länderbahnzeit. Entsprechend überraschten ihn die beiden im thematisierten Freital-Buch auf Seite 27 abgedruckten Farbzeichnungen von Falk Philipp der Lokomotiven „Albert“ sowie „Glück Auf“ im Zustand ab 1855. Sie tragen am Zylinder, Führerstand und Tender viele Braun- bzw. Rottöne. Da Marks für die in dieser Zeit in Sachsen übliche Lackierung von Lokomotiven bisher keinerlei schriftlichen Quellen bekannt sind, unterstellte er dem Urheber der Zeichnungen Phantasie. Doch Falk Philipp begründet die gewählten Farben wie folgt: „Ich habe die 1846 gebaute und weitestgehend im Original erhaltene englische Lok ,Old Coppernob’ aus York im Jahr 2014 im Verkehrsmuseum Dresden begutachtet. Es darf davon ausgegangen werden, dass englische Lokomotiven zu diesem Zeitpunkt nicht nur technisch, sondern auch hinsichtlich ihrer Farbgebung in Deutschland als Vorlage galten. Meine Zeichnungen widerspiegeln das Jahr 1855 und sind nicht mit bereits vorhandenen Erkenntnissen der K.Sächs.Sts.E.B. vergleichbar. Auch die beiden Lokomotiven der sächsischen Gattung II K ,alt’ könnten bei ihrer Anlieferung eine zur Gattung I K abweichende Farbgebung gehabt haben. Ähnliche Beispiele sind noch erhaltene Maschinen aus dieser Zeit in England.“
Auf Seite 28 sind im Freital-Buch die Zeichnungen eines offenen und eines gedeckten Güterwagens der Albertsbahn abgedruckt. Die Seitenwände beider Wagen stellte Falk Philipp jeweils mit hellen Holzbrettern dar, den Langträger des Rahmens hingegen mit einem orange wirkenden Balken, die hölzernen Drehgestellrahmen des offenen Wagens färbte er dunkelbraun, die hölzernen Bremsklötzer zeichnete er gelb ein. Für André Marks stellen die starken Farbunterschiede zwischen den einzelnen Hölzern ein Phantasieprodukt dar. Er ging davon aus, dass Falk Philipp damit lediglich die einzelnen Baugruppen auch farblich markant voneinander absetzen wollte. Falk Philipp bestätigte ihm dies.
Auf Seite 98 ist Falk Philipps Zeichnung eines für zehn Personen zugelassenen „Aushülfswagens“ (in den 1850er Jahren gebräuchliche Rechtschreibung) der Hänichener Kohlenbahn abgebildet. André Marks zweifelt die unterschiedliche Färbung des hölzernen Langträgers, seiner Verstärkung und der Seitenwandbretter sowie den grünen Anstrich der Sitzbänke an. In erstem Fall stimmt Falk Philipp dem PK-Redakteur zu, er habe auch hier die Baugruppen farblich markant voneinander absetzen wollen. Zum grünen Anstrich der Sitzbänke schrieb der Zeichner: „In der kulturgeschichtlichen Zeitschrift ,Sachsengrün’ von 1860 wird erstmals die sitzende Nutzung der ,Kohlenlowries’ und nicht wie bislang angenommen die stehende Nutzung beschrieben. Zur bildlichen Darstellung wählte ich diese grüne Sitzfläche.“
Auf den Seiten 102 und 103 befinden sich zwei den Zustand von 1892 und von 1908 darstellende Zeichnungen von Lokomotiven der sächsischen Gattung VII T. Auf beiden Seiten sind jeweils für den Kessel und die Zylinder sowie für das Führerhaus und die seitlichen Kohlenkästen der Lokomotiven unterschiedliche Grüntongruppen verwendet. André Marks zweifelt diese unterschiedlichen Grüntongruppen an. Falk Philipp erklärt, dass das Grün an allen Stellen der Lokomotiven regulär identisch gewesen sei. Auch er kenne keine Hinweise auf unterschiedliche Grüntöne an einer Lokomotive. Vorstellbar seien lediglich nach Unfällen reparierte Stellen. Da es in der Wahrnehmung von Farben einen Unterschied zwischen runden und flächigen Körpern gibt, wählte er jedoch bewusst die beiden Grüntongruppen.
Ausblick: Im Teil 2 gehen André Marks und Falk Philipp auf weitere Details der Lokomotivzeichnungen sowie auf die Wagenzeichnungen ein, welche Fahrzeuge in der Zeit zwischen 1910 und 1927 zeigen. Dann widmen sie sich auch der „Streitfrage“: Gab es einst rot lackierte Bahnpostwagen bzw. rot lackierte Bahnpostabteile?
- vgl. u. a. Jürgen U. Ebel: Sächsische Schnellzuglokomotiven, Band 1, EK-Verlag, Freiburg 1997, S. 19.
09.06.2021