Eisenbahn-Geschichte
20 Jahre Erzgebirgsbahn
Rückblick und Ausblick auf eine besondere Organisationsform der Deutschen Bahn AG
Auch wenn sich die Gründung der DB RegioNetz Erzgebirgsbahn formal erst am 1. Januar 2022 zum 20. Mal jährt, sind die Grundsteine für die im Jahr 2002 erfolgte Betriebsaufnahme bereits im Frühjahr 2001 gelegt worden. Deshalb widmen wir uns heute diesem Jubiläum.
Die Deutsche Bahn AG Ende der 1990er Jahre
Die zweite Hälfte der 1990er Jahre war bei der Anfang 1994 aus Deutscher Bundesbahn und Deutscher Reichsbahn errichteten Deutschen Bahn AG von einer tiefgreifenden wirtschaftlichen Depression geprägt. Die Fahrgastzahlen stagnierten, neue Ideen, um den Verkehrsbedarf anzukurbeln, blieben zumeist Rohrkrepierer oder brachten nur kurzfristige, wenig wirtschaftliche Effekte. Die Erkenntnis machte sich breit, dass insbesondere Nebenstrecken kaum kostendeckend zu betreiben sind. Der 1997 auf Heinz Dürr als Vorstandsvorsitzender des Bahnkonzerns folgende Johannes Ludewig wurde bereits im September 1999 unter anderem abgelöst, weil der erhoffte wirtschaftliche Umschwung nicht eintrat und sich das Unternehmen mit einer kontinuierlichen Kahlschlagpolitik bei Streckenstilllegungen, der Ausdünnung der Infrastruktur (z. B. mit dem Programm „RZ 2000“) sowie einer Reduzierung der Instandhaltung von Netz und Fahrzeugen den Unmut der Politik auf allen Ebenen zuzog.
Dass mit der Umverteilung der durch die Regionalisierung in Länderhand oder in Zuständigkeit regionaler Zweckverbände übergebenen Bestellerentgelte für den Nah- und Regionalverkehr auch Strecken schlicht wegen fehlendem Verkehrsbedarf abbestellt wurden, führte natürlich ebenso zu brachliegenden Eisenbahnanlagen. Mit dem im Dezember 1999 ins Amt gekommenen Hartmut Mehdorn wurde die Erwartung verbunden, die wirtschaftliche Situation des Konzerns als 100 % Eigentum der Bundesrepublik Deutschland – ein Börsengang war erst ab etwa 2006 maßgebliches Ziel – zu verbessern und gleichzeitig mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Neben Reformen der Konzernstruktur wurden unter Mehdorn auch neue Ideen vorangebracht, die den vorgenannten Zielen dienen sollten. Aber auch Effizienzsteigerungs- und Kostensenkungsprogramme wurden – vielfach zum Leidwesen der volkswirtschaftlichen Bedeutung des Eisenbahnwesens – mit Vehemenz fortgeführt und intensiviert.
Die Nebenbahnen im Erzgebirge um 2000
Über viele Jahre seit 1990 konnte man bei den verschiedenen Eisenbahnstrecken im Erzgebirge den Eindruck gewinnen, dass die Entwicklung stehengeblieben war. Lange noch verkehrten auf den Stichstrecken ins Gebirge Zuggarnituren, die anderswo schon durch modernere Fahrzeuge abgelöst worden waren. Gebrauchte Lokomotiven und Wagen ersetzten noch ältere Fahrzeuge, aber Investitionen fanden anderswo statt. Dass dem durch die „Leuchtturmpolitik“ der sächsischen Landesregierung Vorschub geleistet wurde, machte es für den bundeseigenen Bahnkonzern noch unattraktiver, ins sächsische Nebennetz zu investieren. Ergebnis dieser Entwicklung war das bewusste Herunterfahren von Instandhaltung und Investitionen durch die Führungsetagen des Konzerns und der Geschäftsbereiche bzw. Teilkonzerne. Nur durch persönliches und lokales Engagement der hier agierenden Eisenbahner in regionalen Struktureinheiten konnte der Betrieb aufrechterhalten werden.
Die Strecke Annaberg-Buchholz Süd – Schwarzenberg (Erzgeb) – die „BSg“ – ist seit dem 27. September 1997 ohne bestellten Nahverkehr und ein Verfahren zur Stilllegung war bereits eingeleitet. Der Abschnitt Reitzenhain – Marienberg (Sachs) der Strecke Reitzenhain – Flöha („RF“) ist seit dem 15. Dezember 1998 stillgelegt, der Abschnitt Marienberg (Sachs) – Pockau-Lengefeld wurde nach bereits erfolgter Teilsanierung durch das lokale Unwetter am 5. Juli 1999 derart beschädigt, dass er gesperrt blieb. Auch zwischen Pockau-Lengefeld und Flöha kam es im Herbst 2001 zu einer zustandsbedingten Streckensperrung. Dem vorausgegangen war eine Sperrung mit Einstellung des Zugverkehrs auf der Stichstrecke Pockau-Lengefeld – Neuhausen (Erzgeb) zum 10. Juni 2001. Zustandsbedingt wurde zwischen Bärenstein (Kr Annaberg) und Wolkenstein im Verlauf der Kursbuchstrecke 517 (Chemnitz – Flöha – Annaberg-Buchholz – Weipert) ebenfalls eine Sperrung der Gleisanlagen erforderlich. Auch wenn die beiden Eisenbahnstrecken zwischen Zwickau und Johanngeorgenstadt sowie die Strecke von Chemnitz nach Aue nicht von Sperrungen betroffen waren, führte der Zustand der teils aufgelassenen Bahnanlagen auch hier zu erheblichen Fahrzeitverlängerungen durch Langsamfahrstellen.
Mittelstandsoffensive der Deutschen Bahn
Eine Strategie, welche die DB AG nach einem ersten Anlauf Mitte der 1990er Jahre dann Anfang der 2000er Jahre wieder aufgriff, war es, mehr regionale Kompetenz für den Betrieb von Nebenbahnen zu bündeln – ohne die Strecken abzugeben. Nach verschiedenen Studien, teils vom sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit in Dresden initiiert, sollte auch für das Westerzgebirge ein entsprechender Regionalverbund geschaffen werden, da eine relativ gute Verbindung mehrerer Strecken von Chemnitz aus möglich erschien. Auch in anderen Bundesländern starteten ähnliche Projekte, von denen sich die Oberweißbacher Berg- und Schwarzatalbahn, die Kurhessenbahn, die Südostbayernbahn etwa zur gleichen Zeit etablierten. Es wurde dabei ein Konstrukt eines Gemeinschaftsunternehmens der DB Regio AG und der DB Netz AG als DB RegioNetz geschaffen, womit quasi mittelständische Unternehmensstrukturen flexibler als die sonstigen Konzernstrukturen auf die regionalen Besonderheiten reagieren konnten.
Gründungsaktionen für die Erzgebirgsbahn
Im Ergebnis diverser Vorberatungen, Verhandlungen der Beteiligten im DB-Konzern sowie mit Vertretern der sächsischen Landespolitik und des Verkehrsverbundes Mittelsachsen (VMS) fanden im April 2001 die Weichenstellungen für die Bildung des DB RegioNetz Erzgebirgsbahn statt. Diese gipfelten am 26. April 2001 in der Unterzeichnung der notwendigen Vorverträge zur Entwicklung eines RegioNetzes mit langfristigen Investitionen bis 2020 für das Schienennetz. Unterzeichner war neben Hartmut Mehdorn als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG, Kajo Schommer als sächsischer Wirtschaftsminister und Peter Seifert als Vorsitzender der Zweckverbandsversammlung des Verkehrsverbundes Mittelsachsen und zugleich Chemnitzer Oberbürgermeister auch Lutz Mehlhorn, der bis heute als Sprecher der Geschäftsführung des RegioNetzes Erzgebirgsbahn tätig ist und maßgeblich an dem erfolgreichen Weg der vergangenen zwei Jahrzehnte mitgewirkt hat. Bereits mit der Unterzeichnung und damit noch vor der Betriebsaufnahme als „Erzgebirgsbahn“ begann ein intensives Investitionsprogramm mit unzähligen Baumaßnahmen an allen Strecken des Regionalnetzes, die im folgenden Jahrzehnt für eine Ertüchtigung der Anlagen und für eine signifikante Erhöhung der Streckengeschwindigkeiten sorgten. Nicht zuletzt, weil die Bahnanlagen dadurch wieder ein freundlicheres Antlitz erhielten, sich Fahrzeiten verkürzten und modernere Fahrzeuge zum Einsatz kamen, steigerten sich die Fahrgastzahlen erheblich. Das regionale Engagement der Erzgebirgsbahn hat sich in den vergangenen 20 Jahren ausgezahlt. Mit regionalen Ansprechpartnern sind der Zweckverband, die Kommunen und Bürger einfacher in der Lage, den Kontakt zum Bahnunternehmen aufzunehmen und so eine engere Beziehung herzustellen, als es konzernbasierte Entscheidungswege sonst ermöglichen.
Ausblick
Innerhalb der „Mittelstandsoffensive 2000“ waren in Deutschland mehr als 40 regionale Netzpotentiale analysiert worden. Heute sind noch fünf RegioNetz-Unternehmen der Deutschen Bahn im regionalen Schienenverkehr unterwegs. Bereits wenige Monate nach den Startaktivitäten begann die Begeisterung für diese überschaubaren Organisationsformen zu schwinden – zu groß war im Konzern die Sorge geworden, damit weiteren Privatisierungen Tür und Tor zu öffnen. Insbesondere mangelndem politischen Nachdruck des Alleingesellschafters und des Deutschen Bundestages nach 2002 ist es zuzurechnen, dass dann wieder eine verstärkte Fokussierung auf den vollständig integrierten Bahnkonzern erfolgte, die 2006 bis 2009 mit Vorbereitungen auf einen geplanten Börsengang zu erneuten strikten Spar- und Effizienzprogrammen führten. Die Regionalnetze waren aber zu ihrem Vorteil davon entkoppelt. Öffentliche Aussagen zur Zukunft der DB-Regionalnetz-Einheiten gibt es momentan wenige. Die Kurhessenbahn und die Westfrankenbahn konnten kürzlich langfristige Verkehrsverträge in Wettbewerbsverfahren gewinnen und sicherten damit den Fortbestand ihrer Organisation. Die Südostbayernbahn und die Oberweißbacher Berg- und Schwarzatalbahn befinden sich in laufenden Ausschreibungsverfahren. Für die Erzgebirgsbahn wurde der laufende Verkehrsvertrag bis Juni 2024 verlängert. Aufgrund von Verzögerungen bei der Weiterentwicklung des Chemnitzer Modells gegenüber ursprünglichen Planungen für einige Netzerweiterungen hat der gegenwärtige Eisenbahnbetrieb insbesondere von Flöha nach Annaberg, Olbernhau bzw. Marienberg oder von Zwickau über Aue und Schwarzenberg nach Johanngeorgenstadt, auch eine Perspektive bis über das Jahr 2030 hinaus. Im Geflecht des Konzerns Deutsche Bahn AG stellt die DB RegioNetz Erzgebirgsbahn eine besondere Struktureinheit mit guten Chancen auch auf das 30. Jubiläum dar. Durch verschiedene innovative Ansätze mit dem ersten volldigitalen Stellwerk im Bereich der DB Netz sowie der Nutzung der Strecke Buchholz–Schwarzenberg als Testfeld für diverse Eisenbahntechnologien hat das Unternehmen DB Erzgebirgsbahn auch überregional für Wahrnehmung gesorgt. Mit einem engagierten Team von Mitarbeitern wird zudem die enge Verbindung mit der Region täglich neu bewiesen.
Quellen
Erstellt unter Nutzung von Archiv- und Fotomaterial des Autors, diverser Verweise und verfügbarer Dokumente im Internet sowie unter Einbeziehung von Daten sowie der Kartendarstellung von 2001 aus der „Sonderinformation EGB Kurier“ vom 26. April 2021 zum Jubiläum „20 Jahre Unterzeichnung Vorverträge Erzgebirgsbahn am 26. April 2001“.
09.06.2021