Verkehrspolitik
Warum das „Chemnitzer Modell“ die „EAB“ in die Bredouille bringen kann
Vorbemerkung des Autors: Nach Veröffentlichung des Beitrages in Ausgabe 177 teilten PK-Leser sowie der Verkehrsverbund Mittelsachsen und die DB Erzgebirgsbahn mit, dass Aussagen des folgenden Beitrages nicht korrekt sind. Nach entsprechender Rücksprache folgt in Ausgabe 178 eine erläuternde Berichtigung zu den beanstandeten Fehlern.
Mit der am 25. November 2020 bekanntgegebenen Bewilligung von 60 Mio. Euro Fördermittel durch das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr für den weiteren Ausbau des „Chemnitzer Modells“ kann der Zweckverband Verkehrsverbund Mittelsachsen (VMS) das Vorhaben forcieren. Beim „Chemnitzer Modell“ soll, in Analogie zum „Karlsruher Modell“, die gleiche Spurweite von innerstädtischer Straßenbahn und umliegender Eisenbahnstrecken genutzt werden, um mithilfe geeigneter Fahrzeuge eine engere verkehrliche Verknüpfung des Umlandes im Umkreis von bis zu 40 km zum sächsischen Oberzentrum Chemnitz herzustellen.
Der VMS hatte die als „Stufe 2“ bezeichneten Arbeiten an der Strecke zwischen der Chemnitzer Innenstadt, dem Universitätsgelände und weiter über den Abschnitt der CA-Linie (Chemnitz – Aue – Adorf) von Chemnitz- Erfenschlag über Thalheim nach Aue bereits im Herbst 2019 begonnen und mit Mitteln des Zweckverbands sowie ab Frühjahr 2020 sogar mit Aufnahme eines 15 Mio. Euro umfassenden Kredits vorangetrieben. Die Antragstellung für den nun beschiedenen Mittelzufluss aus dem sächsischen Landeshaushalt erfolgte bereits im April 2017, durch diverse Nachreichungen von Unterlagen, Änderungen der Planung und schwer von außen nachvollziehbaren Bearbeitungsabläufen in den dafür zuständigen Behörden dauerte die Verfügbarkeit der Mittel aber bis November 2020.
Mit der Umwandlung der Verbindung von Chemnitz nach Aue in eine sogenannte „Tram-Train-Strecke“ steht einmal mehr in Frage, ob der diskriminierungsfreie Verkehr für den regulären Eisenbahnbetrieb weiterhin möglich sein wird oder ob „dank“ einer optimierten Betriebsplanung mit Anordnung der Kreuzungsstellen genau an den Stellen, wo es für die Tram-Trains nach Fahrplan notwendig ist, letztlich kein anderer Zug mehr auf diese Strecke passt.
Da der VMS innerhalb der „Stufe 0“ die Linie zwischen Chemnitz und Stollberg sowie innerhalb der „Stufe 1“ die Strecke Niederwiesa – Hainichen derart umgebaut und in Beschlag genommen hat, dass anderer Eisenbahnverkehr auf diesen Strecken faktisch kaum noch möglich ist, ist wenig Optimismus geboten. Weil auch der Gesetzgeber in Sachsen sowie die Landkreise aber weiterhin den Verkehrszweckverbänden ein Agieren als Aufgabenträger, Besteller, Bauherr für Baumaßnahmen und auch noch Betreiber des Verkehrs in Personalunion zugestehen, ist der Wettbewerbsgedanke und das Vorhalten von Entwicklungspotentialen weiterhin nicht zu erkennen. Durch auf Stadtverkehrsfahrzeuge optimierte Haltestellen, Kreuzungspunkte, Signaltechnik etc. entstehen im Folgenden neue Markteintrittsbarrieren für den Einsatz anderer Fahrzeuge und Betreiber.
Dass mit der begonnenen Umwandlung der Linie von Chemnitz-Erfenschlag über Thalheim nach Aue in eine Tram-Train-Strecke eine deutliche Reduzierung der Verkehrsleistungen für die DB Erzgebirgsbahn verbunden ist, haben wir bereits früher thematisiert. Dass auf dieser Linie bis dahin auch eine nicht unerhebliche Beförderungsleistung erbracht wurde, sollte in diesem Zusammenhang aber in Erinnerung bleiben.
Sobald die Planungen für die „Stufe 3“ des „Chemnitzer Modells“ für eine Fortführung des bereits bis Niederwiesa laufenden Tram-Train-Betriebs nach Annaberg bzw. Olbernhau konkret werden sollten – momentan liegt noch kein öffentlich bekannter Zeitplan für diese Umsetzungen vor, auch wenn in der Mittelfristplanung durch den VMS damit geworben wird – steht als „Kollateralschaden“ eine nicht mit dem Modell in Verbindung stehende Eisenbahnstrecke vor großen Bestandsproblemen: die Verbindung Annaberg-Buchholz Süd – Schwarzenberg (BSg-Linie).
Denn diese vom VSE und seinen Partnern als „Erzgebirgische Aussichtsbahn“ genutzte Strecke verdankt ihre weitere Erhaltung auch ohne regelmäßige Verkehrsaufgaben und Bestellungen von SPNV-Leistungen allein der Tatsache, dass die DB Erzgebirgsbahn ihre Fahrzeuge bei Bedarf über diese Querverbindung zwischen den beiden flankierenden Strecken tauscht bzw. zur Instandhaltung bringt. Dass dabei auch ein gehöriges Maß Herzblut der beteiligten Eisenbahner der DB Erzgebirgsbahn für diese eisenbahngeschichtlich interessante Strecke mitspielt, ist hinlänglich bekannt. Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten und spätestens seit dem Wegfall der Verkehre auf der CA-Linie ist diese Streckenvorhaltung immer schwerer zu begründen.
Nun spricht der Erhaltungswunsch für die „BSg“ noch nicht grundsätzlich gegen die Ambitionen zur Ausgestaltung des Regionalverkehrs im Chemnitzer Umland. Die Vorteile für die Fahrgäste sind nicht von der Hand zu weisen, das Verkehrsangebot kann dann tatsächlich attraktiver gestaltet werden.
Durch einen starken Fokus auf einen vertakteten Betrieb der Tram-Train-Strecken wird der reguläre Zugang zu den vormaligen Eisenbahnstrecken jedoch eingeschränkt, wie in ähnlichen Fällen auch schon in anderen Bundesländern zu beobachten war.
Um das im Erzgebirge zu verhindern, würde nicht nur ein plakatives „für den ÖPNV“ aus den diversen Ebenen der parlamentarischen Vertretungen helfen, sondern dafür muss es unmissverständliche Aufforderungen an die Verantwortlichen beim VMS geben.
Die „BSg“ als Versuchsstrecke für innovative Eisenbahntechnik zu etablieren, kann jedenfalls nur ein kleiner Schritt sein. Weitere Bausteine eines integrierten Verkehrsnetzes muss es deshalb geben, nicht nur eine strahlenförmige Anbindung an ein Oberzentrum, sondern auch die Verknüpfungen in der Region sind zu erhalten und dort zu verbessern, wo in der Vergangenheit stets Optimierung im Fokus stand.
Die anstehenden Neuausschreibungen von Verkehrsleistungen im VMS-Gebiet, die bisher von der DB Erzgebirgsbahn erbracht werden, birgt dabei nicht nur das Risiko einer neuerlichen Schlacht um den billigsten Anbieter, sondern auch die Chance, Entwicklungspotential für Verkehrsströme im Verbandsgebiet auf die Schiene zu bringen.
Dass diese Chance nur mit deutlichem Nachdruck aus Rathäusern, Landratsämtern, dem Landtag in Dresden sowie vielen weiteren Beteiligten der öffentlichen Meinungsbildung wirksam werden kann, sollte immer wieder verdeutlicht werden. Rechtzeitig an diesem Prozess teilzunehmen, ist die einzige Möglichkeit, den weiteren Fortbestand der „BSg“ (und anderer „Rand“-Eisenbahnstrecken im Erzgebirge) zu sichern.
14.12.2020