Fahrzeuge im Porträt
110 Jahre Dampflok 38 205
Anfang Mai 2020 war es soweit: Die in Chemnitz-Hilbersdorf gepflegte Museumsdampflok 38 205 wurde 110 Jahre alt. Die genauen Daten der Anlieferung und Endabnahme sind von dieser Maschine der sächsischen Gattung XII H2 nicht bekannt, denn in dem in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre angelegten Betriebsbuch fehlen diese Eintragungen. Man kann diese Daten aber eingrenzen, denn die sächsische XII H2 Nr. 654 (die spätere 38 204) wurde am 2. Mai 1910 angeliefert und die XII H2 Nr. 659 (die spätere 38 208) am 31. Mai 1910.
Schauen wir in diese Zeit zurück: Anfang Mai 1910 lieferte die Sächsische Maschinenfabrik vormals Richard Hartmann AG in Chemnitz die mit der Fabriknummer 3387 gebaute Jubilarin für 77 550 Reichsmark als XII H2 Nr. 656 an die Königlich Sächsischen Staatseisenbahnen (K.Sächs.Sts.E.B.). Der Tender war in diesem Betrag noch nicht enthalten. Als Lok der ersten Lieferserie (spätere 38 201 bis 38 209) bekam die Nr. 656 noch einen Tender der Bauart 2’2’ T16, den später ein Tender der Bauart 2’2’ T21 ersetzte.
Von der sächsischen Gattung XII H2 sind zwischen 1910 und 1927 insgesamt 169 Exemplare gebaut worden. Durch die Abgabe von Waffenstillstandslokomotiven an Belgien (vier Stück), Frankreich (25 Stück) und Kriegsverluste (sechs Stück) enthielt der Umzeichnungsplan der DRG von 1925 noch 124 der 159 bis 1923 gebauten Maschinen, welche die Nummern 38 201 bis 38 324 erhielten. Die letzte Serie der sächsischen 38er beschaffte die DRG im Jahr 1927. Diese zehn Lokomotiven gingen als 38 325 bis 38 334 in Dienst. Dies zeugt auch davon, dass man die Qualität dieser Konstruktion von der Sächsischen Maschinenfabrik aus Chemnitz schätzte, standen zu diesem Zeitpunkt doch bereits die ersten Einheitslokomotiven auf den Schienen.
Die 38 205 gehörte zur ersten Lieferserie, somit besaß sie noch den tiefliegenden Umlauf und einen anderen Steuerungsaufbau mit kurzer Schieberschubstange sowie mit einem hinter dem Kreuzkopf liegenden Voreilhebel (38 201 bis 38 220). Ab Werk besaß sie zudem nach vorn ein 40 cm längeres Führerhaus (38 201 bis 38 214) mit einer Tür auf der Heizerseite (bis 38 220), die nach vorn auf den Kesselumlauf führte. Die letzten beiden Punkte wurden später der Normalausführung angepasst. Ein weiterer nennenswerter Umbau an der Lok ist der Anbau einer elektrischen Beleuchtungsanlage mit einem Turbogenerator, der quer hinter dem Schornstein auf der Rauchkammer seinen Platz fand.
Die 38 205 fuhr in ihrer Einsatzzeit mit vier verschiedenen Kesseln. Den Dampferzeuger, den sie heute noch trägt, bekam sie anlässlich ihrer Hauptuntersuchung im Raw „Einheit“ Leipzig im Jahr 1965. Dabei handelt es sich um den 1925 in Chemnitz von der Sächsischen Maschinenfabrik mit der Nummer 4625 gebauten Ersatzkessel, der zuvor auf der 38 282 im Einsatz gestanden hatte.
Der Einsatz der 38 205
Von ihrer Ablieferung im Mai 1910 bis 1926 sind keine Stationierungsorte für die 38 205 bekannt. Ab diesem Zeitpunkt war sie in Werdau, Reichenbach (Vogtl), Bautzen, Bodenbach (heute Déćin), Riesa, Arnsdorf (Schlesien), Pirna und Dresden-Friedrichstadt beheimatet, wo sie auch das Kriegsende erlebte. Von 1947 bis 1950 stand sie von der Ausbesserung zurückgestellt („z“-gestellt) in Dresden-Friedrichstadt, was auf einen größeren Reparaturbedarf hinweist. Von Juli bis August 1950 wurde sie im Rahmen einer L4-Untersuchung im RAW Chemnitz aufgearbeitet und anschließend dem Bw Freiberg (Sachs) zugeteilt, das sie bis 1961 einsetzte. Anschließend kam sie für drei Monate ins Bw Pirna und wurde nach einer L4-Untersuchung im Raw „Einheit“ Leipzig dem Bw Nossen zugeteilt, wo sie bis zu ihrer z-Stellung am 5. September 1968 verblieb. Ausgemustert wurde sie am 15. September 1971, eine Verschrottung hatte sie aber nicht zu befürchten, da sie schon frühzeitig als „erhaltenswertes Museumsfahrzeug“ eingestuft worden war.
Die offizielle Abschiedsfahrt für sächsische Regelspurdampflokomotiven hatten zuvor am 14. Juni 1970 die Loks 38 308 und 75 515 im Rahmen einer Rundfahrt durch die Rbd Dresden geführt. Anschließend wurde die 38 308 in Nossen als Heizlok verwendet und absolvierte am 20. August 1971 ihre letzte Fahrt vor dem MOROP-Sonderzug von Dresden nach Königstein. Verschrottet wurde sie im Juni 1973 in Stendal. Die 38 308 war aber nicht der letzte unter Dampf stehende „sächsische Rollwagen“ – das war die 38 268 (inzwischen EDV-gerecht als 38 5268-8 bezeichnet) vom Bw Brandenburg, die als letzte ihrer Art am 2. August 1972 aus dem Betriebsdienst ausschied. Von ihr stammt der heute auf der 38 205 vorhandene Schornstein, der durch eine Privatinitiative in Abstimmung mit dem Verkehrsmuseum Dresden in der Einsatzstelle Ketzin geborgen wurde und den Blechschornstein, den die 38 205 Anfang der 1970er Jahre trug, ersetzte. Dass es Anfang der 1980er noch zwei „sächsische Rollwagen“ gab, ist vielen Eisenbahnfreunden unbekannt. Allerdings handelte es sich bei der damals zweiten noch erhaltenen Maschine um eine Heizlok, nämlich um die 1968 vom Bw Brandenburg ausgemusterte 38 246. Sie heizte beim VEB Baustoffkombinat „Rotes Banner“ in Herzfelde bis ca. 1983 in einem relativ vollständigen Zustand, wurde dann aber dort an Ort und Stelle zerlegt.
Die Traditionslokzeit der 38 205
Im Jahr 1979 wurde die 38 205 im Raw Meiningen betriebsfähig aufgearbeitet, um anschließend im Betriebsteil Karl-Marx-Stadt-Hilbersdorf des Bw Karl-Marx-Stadt als Traditionslok stationiert zu werden. Ihre ersten öffentlichen Einsätze nach der Aufarbeitung waren Sonderzüge am 16./17. Juni 1979 anlässlich des 100. Jubiläums der Strecke St. Egidien – Stollberg (Erzgeb). In den nächsten Jahren war sie häufig zu Führerstandsmitfahrten bei Lokausstellungen oder vor Sonderzügen eingesetzt, oft auch mit dem stilistisch passenden „Zwickauer Traditionszug“. Einige Höhepunkte waren 1980 DMV-Sonderfahrten rund um Rostock, 1981 die Teilnahme an der Fahrzeugausstellung in Dečin oder Einsätze in West-Berlin im Oktober 1988, um Devisen zu verdienen. Bisher letztmalig wurde die Lok im Jahr 1994 aufgearbeitet, also bereits unter der Regie der Deutschen Bahn AG, Geschäftsbereich Fernverkehr. Im Rahmen der damals im Werk Meiningen ausgeführten L7 erhielt sie eine Indusianlage und einen Zugfunk der Bauart MESA 2000. Um die Lieferung der dafür notwendigen Energie sicherzustellen, bekam die Traditionslok eine zweite Lichtmaschine angebaut (links neben dem Schornstein). Der Geschwindigkeitsgeber für die Indusianlage wurde etwas auffällig an der ersten Laufachse auf der Lokführerseite installiert. Schon 1994 war zu hören, dass Kessel und Tender der Lok relativ verschlissen sind und eine erneute Aufarbeitung nicht preiswert sein wird bzw. einem Neubau gleichkommen würde.
So kam es, wie es kommen musste: Nach vielen weiteren Lokausstellungen, Plandampfeinsätzen und Sonderfahrten wurde am 28. März 1998 zur „letzten Fahrt“ der 38 205 gerufen. Die damals von der IG Traditionslok „58 3047“ e. V. eingesetzte Museumslok E42 001 beförderte den ausverkauften Zwickauer Traditionszug von Zwickau nach Chemnitz, wo die 38 205 herausgeputzt den Zug übernahm und ihn über Hainichen und Roßwein in ihre alte Heimat Nossen beförderte. Dort fand eine kleine Lokausstellung statt, bei welcher der „Rollwagen“ ausgiebig auf der Drehscheibe präsentiert wurde. Anschließend beförderte die Dampflok den Zug unter den Augen zahlreicher Schaulustiger und Autoverfolger zurück nach Chemnitz, wo bereits die E42 001 auf den Zug wartete. Dann ging es als Lz zur Abschiedsfeier nach Chemnitz-Hilbersdorf, wo abermals sehr viele Interessierte der 38er als letzte unter Dampf stehende sächsische Regelspurlok ihre Aufwartung machten. Seit 29. März 1998 steht der „Rollwagen“ dort „kalt“ im Kreise anderer von Hartmann gebauter Lokomotiven und wird weiterhin von den Mitgliedern des Vereins „Sächsisches Eisenbahnmuseum e. V.“ Chemnitz-Hilbersdorf gepflegt. Erwähnt sei, dass die Initiative Sächsische Eisenbahngeschichte e. V. (ISEG) mit Sitz in Dresden Eigentümer eines Wasserwagens ist, der aus einem sächsischen Tender 2’2’T21 gebaut worden ist und vor der Verschrottung in Röbel gerettet werden konnte. Von welcher Lokomotive dieser Tender stammt, ist bisher noch nicht bekannt. Alles deutet auf eine zuletzt von der Est Ketzin des Bw Brandenburg (Havel) eingesetzte Maschine. Aktuell ist dieser Tender in Gera hinterstellt.
10.06.2020