Kommentar
Bundesregierung verteilt Umsatzsteuergeschenk …
Bundesregierung verteilt Umsatzsteuergeschenk – und generiert wahrscheinlich Verärgerung auf allen Seiten
Mit dem Ziel der „Stärkung der Binnennachfrage“ haben die Koalitionsparteien im Bund am 3. Juni eine kurzfristige und bis zum Jahresende 2020 befristete Senkung der Mehrwertsteuer beschlossen, die für den Bundeshaushalt wohl bis zu 20 Milliarden Euro Mindereinnahmen bedeutet. Der volle Mehrwertsteuersatz reduziert sich ab 1. Juli von 19 auf 16 Prozent und der ermäßigte Steuersatz von bisher 7 Prozent verringert sich auf 5 Prozent. Bei unverändertem Nettopreis sinkt dadurch der Verkaufspreis (Brutto-Betrag) – dem Käufer bleibt damit mehr Geld im Portemonnaie und er könnte noch mehr kaufen. Nun steht es mir fern, Zweifel an diesem Prinzip zu erheben und in der Theorie der Geldbewegung mag das sicher auch so funktionieren. Angeblich würden der Markt und der Wettbewerb automatisch dafür sorgen, dass diese Reduzierung weitergegeben würde. Aber kann das stimmen?
Je größer der Händler, je IT-automatisierter das Geschäft, je flexibler die Preisbildung im Geschäftsalltag und je häufiger unrunde Preise ausgewiesen werden, umso besser wird dieses Anliegen gelingen können und der Kunde tatsächlich einen „Steuerprofit“ einstreichen.
Doch es gibt auch die normalen Geschäfte der maßgeblich offline handelnden und aufgrund der in Deutschland ohnehin bestehenden Brutto-Preisauszeichnungspflicht eher mit „runden“ Preisen kalkulierenden Unternehmen (u. a. weil runde Preise beim Bargeldnutzen unbestreitbare Vorteile der Beschleunigung des Zahlungsvorganges bieten). Bei diesen Unternehmen geht das Ziel der kurzfristigen und zeitlich befristeten Mehrwertsteuersenkung gehörig in die Hose und hinterlässt wahrscheinlich auf allen Seiten des Handels ordentlich Verärgerung.
Gern erläutere ich diese Situation am Beispiel einer Museumsbahn im Erzgebirge: Der betreibende Verein hat durch die Senkung der Mehrwertsteuer vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2020 genau zwei Möglichkeiten: • A): Die Reduzierung der Steuer (von 7 auf 5 %) für Tickets im Nahverkehr wird weitergegeben und der Bruttopreis entsprechend reduziert. • B): Die Reduzierung der Mehrwertsteuer wird nicht weitergegeben, der Bruttopreis bleibt wie bisher.
Bei „A“ führe das zur Notwendigkeit, für den befristeten Zeitraum und sehr kurzfristig komplett neue Fahrkarten zu drucken, da sich ja alle aufgedruckten Bruttopreise ändern würden. Die Bahn hätte also schon mal mehr als 1000 Euro Kosten, die sie ohne dieses „Geschenk“ der Bundesregierung nicht hätte. Das Prinzip der „runden Preise“ würde aufgehoben und beim Fahrkartenverkauf im Zug oder am Schalter regelmäßig mehr Zeit benötigt, um den Wechselgeldtransfer zu praktizieren. Die Chance, nicht alle willigen Fahrkartenkäufer im Zug abkassieren zu können, stiege rapide, wodurch wiederum Einnahmeausfälle entstünden. Da die Zahlungsprozesse mehr Zeit in Anspruch nehmen würden, damit der Fahrgast ein paar Cent mehr in die Tasche zurückstecken kann, wäre aber die Verärgerung vorprogrammiert (sprich: mehr Geld macht dann auch nicht glücklich). Im Fall „B“ ist die Sache klar, der Fahrgast würde sich übervorteilt fühlen, weil die Politik ihm ja einen kleineren Preis versprochen hat. Bei optimistisch und ohne Corona-Rückfall rund 15 000 Fahrgästen im zweiten Halbjahr und einem durchschnittlichen Fahrpreis je Fahrgast von rund 9 Euro beliefen sich die Einnahmen auf Brutto rund 135 000 Euro und durch die Differenz zwischen 5 und 7 % auf den Nettopreis verblieben bei der Bahn etwa 2525 Euro mehr, womit auch kein großer Sprung gemacht werden könnte, aber sich gesicherte Kundenverärgerung einstellen würde. Mithin hätte also jeder Fahrgast durchschnittlich 16,8 Cent „eingebüßt“, während er natürlich das Gefühl hat, dass 2 % Steuerdifferenz ja „viel mehr sein müsste“.
Es ist schon so eine Krux mit den Geschenken – „gut gemeint“ ist jedenfalls wieder einmal nicht „gut gemacht“.
10.06.2020