Eisenbahn-Geschichte
Die Geschichte des Bahnbetriebswerkes Pockau-Lengefeld (Teil 1 – bis 1945)
Im Jahr 1875 nahm die private Chemnitz-Komotauer Eisenbahn-Gesellschaft die Strecken Flöha – Reitzenhain und Pockau – Olbernhau in Betrieb. Entstanden war diese Gesellschaft in den Jahren der Euphorie zu Beginn der sogenannten Gründerzeit. Doch der euphorischen Anfangsstimmung folgte zumindest für diese Gesellschaft bald große Ernüchterung, denn die mit dem Bau beauftragte Berliner Bau-Gesellschaft für Eisenbahn-Unternehmungen F. Plessner & Comp. bekam infolge des „Wiener Börsenkraches“ massive Kursverluste und stellte den Bau der Flöhatalbahn, wie auch anderer Eisenbahnbauprojekte, gänzlich ein und ging in Konkurs. Für die Chemnitz-Komotauer Eisenbahn-Gesellschaft war dies katastrophal, denn man war gezwungen, die Eisenbahnen in Eigenregie fertigzustellen. Notwendige Finanzmittel waren nur noch als Kredite zu erhalten, denn viele Aktionäre wollten nur noch ver- statt neu kaufen. Dieser Umstand und auch die Forderung des sächsischen Staates, die Widerlager der größeren Brücken so breit anzulegen, dass ein zweigleisiger Ausbau der Strecke möglich wäre, führten schon vor Betriebsaufnahme zur finanziellen „Schieflage“ der Gesellschaft. An den Endpunkten Flöha, Reitzenhain und Olbernhau sowie an der Streckenverzweigung in Pockau-Lengefeld gingen gleichzeitig Lokomotiv-Stationen, auch „Lokomotivremisen“ genannt, in Betrieb. Diese heute nicht mehr gebräuchliche Bezeichnung enthält z. B. der Jahresbericht der Chemnitz-Komotauer Eisenbahn-Gesellschaft, Band 1875. Neben der Lokomotivremise entstand in Pockau-Lengefeld auch ein Werkstattgebäude für Loks und Wagen. Der zitierte Geschäftsbericht nennt zwar die Anzahl der Werkstattbediensteten einschließlich der Führungskräfte, welchen Umfang und welche Tiefe die Instandhaltungsarbeiten an den Fahrzeugen hatten, bleibt jedoch unerwähnt. Trotzdem hielt der maschinentechnische Anlagen-Komplex in Pockau-Lengefeld gegenüber den drei anderen genannten Stationen eine besondere Stellung inne, denn auf dem Eisenbahngelände entstand auch das „Beamtenwohnhaus“. Dieses existiert auch heute noch, wenngleich in den 1990er Jahren an privat verkauft und gänzlich umgebaut. Nach nur einem Jahr meldete die Chemnitz-Komotauer Eisenbahn-Gesellschaft Konkurs an. Die Anlagen und Fahrzeuge kamen 1876 weit unter Wert an die Königlich Sächsischen Staatseisenbahnen (K.Sächs.Sts.E.B.), die auf diese Weise ihr Streckennetz „über Nacht“ um 68,5 Kilometer erweiterten. Die Unterhaltung (Wartungen und Reparaturen) der diese Linien bedienenden Fahrzeuge erfolgte nunmehr in den Chemnitzer Betriebswerken und Werkstätten.
Bw-Gründung im Jahr 1937
Nach Gründung der Deutschen Reichsbahn wurden die genannten Lokstationen dem Anfang der 1920er Jahre gegründeten Reichsbahn-Maschinenamt Chemnitz unterstellt. Die Unterhaltung erfolgte weiterhin in Chemnitz. Im Flöhatal sollen alle gängigen sächsischen Lokomotiven mit einer Achslast bis 15 Tonnen eingesetzt gewesen sein. Die schwersten auf der Strecke nach Pockau-Lengefeld zugelassenen Lokomotiven waren zu Beginn der 1930er Jahre aber keine sächsischen Maschinen, sondern die der preußischen Gattung G10 – also die Lokomotiven der Baureihe 5710-35. Diese Maschinen wurden jedoch vom Bahnbetriebswerk (Bw) Chemnitz-Hilbersdorf aus eingesetzt und drehten planmäßig auf der 20-m-Drehscheibe in Reitzenhain. Zum 1. Januar 1937 wertete die Reichsbahndirektion (RBD) Dresden die bisherige Lokstation Pockau-Lengefeld zum Bahnbetriebswerk auf. Diesem Bw unterstellte sie die Lokbahnhöfe Reitzenhain und Olbernhau mit ihren Lokpersonalen. Mit der Bw-Gründung ging eine Umstationierung von vier im Bw Chemnitz-Hilbersdorf in Dienst gestellten Tenderlokomotiven der Baureihe 86 zum 1. Januar 1937 ins Bw Pockau-Lengefeld einher. Dabei handelte es sich um die Lokomotiven 86 267 bis 86 270. Die Erweiterung der Werkstatt von einfachen Wartungen hin zur vollen Unterhaltung ging nur schrittweise und relativ „schleppend“ voran. Ein Augenzeuge berichtete dem Verfasser, dass Anfang 1937 noch nicht einmal eine Drehbank vorhanden war. Mit der Aufwertung zum Bahnbetriebswerk schuf die RBD Dresden auch neue und gut besoldete Beamtenstellen. Als erster Vorsteher des Bw arbeitete ab 1937 ein Mann mit dem Nachnamen Herrmann. Dieser Name fand Eingang in die umgangssprachliche Bezeichnung des Bw-Gleises N 15 als „Herrmannkurve“, denn besagter Bw-Vorsteher wollte viel um- und ausbauen. Der in den Jahren 1937 bis 1939 ausgeführte Umbau der Drehscheibe von 12 auf 18 m Durchmesser war aber alles andere als eine planerische Meisterleistung, denn die dafür notwendige tiefere Drehscheibengrube lag fortan unter dem Niveau der Abwasseranlage. Die Akte zum Drehscheibenumbau hat in Teilen die Wirren der Nachkriegszeit und die noch größeren Wirren der Nachwendezeit überstanden und gibt interessante Einblicke in die damaligen Vorgänge. Der eigentliche Drehscheibenteil, der ja strenggenommen ein Brückenelement darstellt, stammt vom Bahnhof Plauen (Vogtl) und wurde von der westfälischen Firma Grüter, Grage & Co. in Soest in eine sogenannte geteilte Ausführung umgebaut und auf 200 t Traglast verstärkt. Jedenfalls lagerte die fertiggestellte „neue“ Drehscheibe schon im Bahnhof Pockau-Lengefeld, während die alte 12-m-Scheibe noch in Betrieb war, weil eben die Konstruktion der Grube keine natürliche Entwässerungsmöglichkeit zuließ. Zur Erklärung sei an dieser Stelle eingefügt, dass das gesamte Bw-Gelände mühselig in den Fels „gehauen“ worden war und die vorhandene Abwasserführung deshalb relativ flach verlief. Die (faule) Kompromiss-Lösung bestand in der Einleitung des Regenwassers der Drehscheiben-Grube in den Tiefbrunnen der Lokwasser-Anlage. Verschmutztes und veröltes Brauchwasser war bis zur Stilllegung des Bw in den 1990er Jahren eine ständige Begleiterscheinung. Im Jahr 1942 wies die RBD Dresden dem Bw Pockau-Lengefeld erstmals Lokomotiven der Baureihe 64 zu. Kriegsbedingt mangelte es damals bis 1945 an Eisenbahnern.
09.04.2018