Eisenbahn-Technik
Automatisch, automatisiert oder autonom – wie fährt sie denn nun, die Eisenbahn der Zukunft?
Auf die im PK 160 veröffentlichte Pressemeldung der TU Chemnitz „Forschungsvorhaben zum automatisierten Zugfahren auf der Aussichtsbahn“ erreichten die Redaktion mehrere Lesermeinungen. Den darin aufgeworfenen Fragen widmet sich dieser Beitrag. Vorangestellt sei jedoch, dass dieser Beitrag keinen Anspruch auf Vollständigkeit und wissenschaftliche Bestimmtheit liefern kann und möchte. Jedoch bietet sich damit ein kleiner Exkurs an, die eingangs gestellte Frage ins Zentrum der Betrachtung zu stellen.
1. Begriffsbestimmung
Zunächst wäre es notwendig, die Begriffe „automatisch“, „automatisiert“ und „autonom“ voneinander abzugrenzen, will man die Fragestellung dieses Artikels (und einiger Leser) analysieren. Leider ist diese Abgrenzung kaum innerhalb der zur Verfügung stehenden Seiten abschließend machbar – oftmals gibt es umgangssprachliche Beispiele, wie es doch anders verstanden werden kann. Vielfach werden die Begriffe auch synonym für das gleiche Verständnis im grundsätzlichen Gegensatz zu „manuell“ oder „durch Menschen gesteuert“ genutzt. Allgemein dominiert in der Umgangssprache der Ansatz, dass „automatisch“ etwas funktioniert, wenn es von einer zentralen Stelle aus gelenkt und geleitet wird. Ein Leitstand steuert die Ausführung von Aktionen auf dezentralen Systemen. Dass hinter automatisch arbeitenden Systemen im weiteren Sinne dann doch irgendwo noch ein Mensch „sitzt“, der Überwachungs- und Steuerungsaufgaben wahrnimmt, sei hier der Einfachheit halber nicht weiter betrachtet. Als „automatisiert“, meist sogar eher in der Form „teilautomatisiert“, betrachtet man „automatische“ Systeme, bei denen der Mensch noch relativ nah an der Direkteingriffsmöglichkeit ist – aber die Technik halt aufgrund ihrer vorgesehenen Funktionalität mit einer Abfolge von Aufgaben einen Vorgang durchführt. Türschließsysteme in Schienenfahrzeugen sind ein Beispiel von „automatisierten“ Funktionen. Als „autonom“ kann man dagegen Systeme bezeichnen, die weitgehend mit eigener Entscheidungs- sowie Steuerungslogik ausgestattet sind und nicht maßgeblich von einer zentralen Lenkung oder einem Steuerungszentrum geführt werden. Gutes Beispiel dafür sind die Bemühungen diverser Autokonzerne und Automobilisten, ihre Gefährte autonom im Straßenverkehr zu bewegen und diese dazu mit allerlei Rechentechnik, Sensorik und Signalumsetzer auszustatten.
2. Was hat das mit der Eisenbahn zu tun?
Blendet man die Museums- und anderen Dampfeisenbahnen aus, muss man natürlich die Frage einer langfristigen Perspektive für die Eisenbahn in den Raum stellen. Wenn in absehbarer Zeit autonome Straßenfahrzeuge – und dabei liegt vor allem ein hohes Potential bei Lastkraftwagen – das Straßenbild bestimmen und die Betätigung als Fahrer eher Hobby denn Kostenposition sein wird, muss die Eisenbahn als System damit umgehen, ansonsten wird sie noch mehr unter betriebswirtschaftliche Zwänge geraten als bisher. Das heißt nicht, dass der Lokführer per se obsolet wird. Aber das Einsatzbild wird sich ändern. Also liegt der Gedanke durchaus nahe, sich mit dem Thema „Automatisch, automatisiert oder autonom“ beim Eisenbahnsystem zu beschäftigen. Effektivitätspotentiale liegen dabei noch gar nicht zuvorderst im Wegfall von Arbeitsplätzen – sondern in einer extrem höheren und zeitlich im Tagesverlauf unbefristeten Leistungsfähigkeit des Systems Eisenbahn – mit einer möglichen Renaissance der dezentralen Güterladestationen.
3. Gibt’s das nicht schon?
Na klar gibt es „automatisch“ und „automatisiert“ im Schienenverkehrsbereich schon – man denke nur an fahrerlos betriebene U-Bahnen (z. B. in Nürnberg) oder Flughafenbahnen (z. B. in Frankfurt/M.); und selbst die neue DB-Schnellfahrstrecke zwischen Halle und Nürnberg mit ETCS-Level 2 hat bereits einen automatisierten Betrieb, bei dem der mitfahrende Triebfahrzeugführer nur noch Überwachungs- sowie Kontrollaufgaben wahrnimmt. Es gibt sogar schon einschlägige Normenwerke für Schienenverkehrsmittel, in denen man sich auf Begrifflichkeiten für Automatisierungsgrade („Grade of Automation“ – GOA) verständigt hat. Während die Stufe „0“ die herkömmliche Fahrt auf Sicht und die Stufe „1“ die manuelle Fahrt mit technischer Unterstützung (z. B. Zugbeeinflussungsanlagen wie PZB oder LZB) darstellen, fallen die Stufen „2“ (halbautomatischer Betrieb mit Fahrer), „3“ (fahrerloser Betrieb mit Begleiter, der Eingriffsmöglichkeiten in den Betrieb hat) und „4“ (vollautomatischer unbegleiteter Betrieb) in den Fokus der Eingangsfragestellung.
4. Warum also dann noch forschen?
Der aufmerksame Leser hat festgestellt, dass der Begriff „autonom“ im vorherigen Abschnitt nicht vorkam. Hier gibt es den entscheidenden Ansatz – und insofern war die Pressemitteilung zum „Forschungsvorhaben zum automatisierten Zugfahren auf der Aussichtsbahn“ unkorrekt. Ginge es nämlich nur um „automatisiertes“ Fahren, dann könnte man schon aufhören. Dafür gibt es in der Welt bereits genügend Anwendungsbeispiele, bei denen Monorails, Metros, Hochgeschwindigkeitszüge etc. mit GoA3 oder GoA4 unterwegs sind. Nimmt man sich nämlich den Begriff „autonom“ her und überlegt dessen praktische Anwendung für die Eisenbahnen, dann wird eines sichtbar: Es ist kein „geschlossenes System“ mit zentraler Steuerung, vollständiger Zugangsüberwachung (wie z. B. vollautomatischen Bahnsteigtüren) à la Modelleisenbahn im Maßstab 1:1 wie bei „automatisierten Schienenbahnsystemen“ angedacht. Denn diese Systeme sind in der Regel nicht interoperabel, sie sind nicht großnetzfähig – aber sie sind systembedingt ohne Wettbewerb im Betrieb und haben extrem teure Infrastrukturanlagen. Nein, autonom bedeutet dann das Gleiche wie bei autonomen Autos (auch wenn selbige von Uber, Tesla oder Waymo gerade mit tödlichen Unfällen für eher ungewollte Aufmerksamkeit sorgten), dass die Intelligenz des Systems im Fahrzeug steckt. Doch die Eisenbahn bietet gegenüber den autonomen Automobilen (welch schöne Tautologie) ein paar Vor-, aber auch Nachteile, so dass man diese Straßenverkehrserfahrungen nicht so einfach auf die Schiene übertragen kann. Autonom verkehrende Schienenfahrzeuge, mit eigener Entscheidungs- und Steuerungslogik ausgestattet, könnten den Systemvorteil des separaten Fahrweges gut ausnutzen – wenn sie dennoch das gleiche oder ein höheres Sicherheitsniveau zum gegenwärtigen Betrieb gewährleisten. Sie könnten zudem die Rettungsanker für das Nebenbahnnetz darstellen, wenn die Deutsche Bahn AG ihr Hauptstreckennetz mit viel Geld auf GoA3-Standard bringt und dann aus wirtschaftlichen Erwägungen die Nebenbahnen herunterzufallen drohen. Sensoren sind inzwischen in der Lage, jede Bewegung am Gleis in der optischen Sichtachse mehrere hundert Meter voraus „zu sehen“, die Kommunikation von Fahrzeugen untereinander über G5-Mobilfunkstandard wird schnell und leistungsfähig sowie in der Lage sein, digital gesteuerte Infrastrukturanlagen „auf Abruf“ individuell zu adressieren. Eine Warensendung einmal eben dem nächsten vorbeikommenden Güterzug auf Zuruf mitzugeben, ist damit keine Utopie mehr. Aber natürlich sind dafür noch eine ganze Menge Forschungsaufgaben zu erledigen. Wenn es den beteiligten Partnern gelingt, ein derartiges Forschungsvorhaben für das autonome Fahren auf die für die Felderprobung aufgrund der anspruchsvollen Bedingungen außergewöhnlich gut geeignete „Erzgebirgische Aussichtsbahn“ zu bringen, wäre dies für die Region und die Strecke ein hervorragendes Ergebnis. Es muss aber auch jedem Entscheidungsträger klar sein, dass Deutschland nicht allein bei diesen Überlegungen steht – andere in Europa sind sogar schon weiter.
5. Fazit
Sorgen um ihren Arbeitsplatz müssen sich Eisenbahner nur dann machen, wenn solche technologischen Entwicklungen für das System Eisenbahn nicht angegangen werden. Denn dann wird der autonom operierende Straßenverkehr mit effizienter Energiespeichertechnik den Systemwettbewerb gewinnen. Daher muss die Eisenbahn „dranbleiben“ – wo diese Forschung läuft, ist letztendlich egal. Wenn es im Erzgebirge passiert, hat dies aber auch noch einen Wirtschaftsförderungsaspekt.
09.04.2018