Reisebericht
Achterbahn in den Bergen – die Šarganska Osmica in Serbien
In Mittelserbien, ungefähr 200 km südlich der Hauptstadt Belgrad (in der Landessprache Beograd) und 50 km von der Stadt Užice entfernt, befinden sich nahe der bosnischen Grenze der Nationalpark „Tara“ und der Naturpark Mokra Gora. Dieser Landstrich ist gebirgig, bewaldet und außerordentlich reizvoll, zahlreiche Natursehenswürdigkeiten machen diese Region zu einem beliebten, wenngleich im Ausland noch vorwiegend unbekannten Urlaubsziel. Auf den Eisenbahnfreund wartet hier eine Schmalspurbahn, deren Streckenführung das Attribut spektakulär ohne Übertreibung verdient. Nach ihr hat der gesamte Streckenabschnitt den Namen Šarganska Osmica (Šarganer Acht) erhalten – siehe auch PK 142!
Geschichte
Die Historie dieser Strecke im Grenzgebiet zwischen Bosnien und Serbien ist untrennbar mit der Entwicklung der schmalspurigen Strecken mit 760 mm Spurweite in beiden Ländern verbunden. So entstand in Bosnien die Bosnische Ostbahn von Sarajevo – Međeđa – Uvac mit einer Zweigstrecke von Međeđa nach Vardište über Višegrad, die 1906 in Betrieb ging. Zu den Hintergründen ist das im PK 144 rezensierte Buch von Dr. Werner Schiendl zu empfehlen! Auf der serbischen Seite entstanden ebenso mehrere schmalspurige Eisenbahnen, die jedoch kein flächendeckendes Streckennetz ergaben. Užice war über eine Strecke von Stalać aus an das Eisenbahnnetz angebunden, doch weitere Querverbindungen fehlten. Dieses Manko sollte aber beseitigt werden, erkannten Militärstrategen doch die Notwendigkeit einer schnellen und direkten Eisenbahnverbindung von Belgrad an die Adria. Die Serben bauten auf ihrem Territorium die fehlenden Abschnitte in Etappen und verbanden so bis 1920 Lajkovac mit Čačak, das an der bereits bestehenden Strecke nach Užice lag. Zwischen Užice und Vardište liegt ein Gebirgszug mit schroffen Hängen und tiefen Tälern, der eine Trassierung schwierig werden ließ. Bei der Planung war es auch notwendig, den militärischen Zweck der Eisenbahnlinie nicht außer Acht zu lassen. Es galt deshalb, große Steigungen zu vermeiden, auch verbat sich eine Zahnradstrecke aus diesem Grund. Zwischen den Orten Vitasi (806 m) und Mokra Gora (566 m) beträgt die Luftlinienentfernung nur vier Kilometer, der Höhenunterschied jedoch 240 m. Eine direkte Streckenführung hätte Steigungen bis zu 70 ‰ aufweisen müssen, was zur damaligen Zeit lediglich Zahnradbahnen oder Standseilbahnen bewältigten. Um im Bereich der Normen zu bleiben, musste die Strecke künstlich verlängert werden, so legen die Züge zwischen Vitasi und Mokra Gora 17 km zurück. Im Jahre 1925 wurde die Strecke zwischen Užice und Vardište nach vier Jahren Bauzeit eröffnet und damit auch die weithin beachtete Streckenführung am Šargan. Die Trassierung umfasste zahlreiche Kunstbauten, von denen der Scheiteltunnel Šargan mit 1633 m Länge besonders hervorzuheben ist. Die Gleise überwinden den Berg auf einer verschlungenen, sich selbst mehrfach kreuzenden Trasse, bevor sie das Tal der Kamenica weit ausfahren und in einem weiten Bogen Mokra Gora erreichen. Mit dem neuen Teilstück waren die Schmalspurnetze Bosniens und Serbiens miteinander verbunden und nach Eröffnung des Abschnittes Obrenovac – Belgrad 1928 konnte man endlich von Belgrad bis an die Adria nach Dubrovnik und Metković reisen. Lokalen Reiseverkehr gab es jedoch kaum, vornehmlich diente die neue Verbindung dem Militär und durchgehenden Zügen von Belgrad nach Sarajevo. Für die 270 km von Belgrad nach Šargan Vitasi benötigte der Schnellzug (!) bis zuletzt unvorstellbare achteinhalb Stunden. Am 28. Februar 1974 fuhr dann auf der Šargan-Strecke unter Leitung der Jugoslawischen Staatseisenbahnen der letzte Zug, daran nahm die Bevölkerung großen Anteil.
Die Museumseisenbahn
Nach der Betriebseinstellung 1974 blieben die Gleise im Gebiet Mokra Gora zunächst liegen und wurden nicht, wie andernorts üblich, abgebaut. Zudem verblieben einige Lokomotiven und Wagen vor Ort, angeblich auf Geheiß Marschall Titos, der sich eine Museumseisenbahn wünschte. Doch aus diesen Plänen, so sie denn wirklich bestanden haben, ist damals nichts geworden. Erst nach den zermürbenden Kriegsjahren, die die politische Landschaft auf dem Balkan nachhaltig veränderten, wurden seitens der jugoslawischen Regierung Gedanken laut, die Schmalspurbahn zum einen abschnittsweise wiederzuerrichten und diese zum anderen in ein touristisches Gesamtkonzept für die Region Tara/Mokra Gora/Zlatibor einzubeziehen. Das hatte den Ausbau der Infrastruktur in dieser abgeschiedenen und wirtschaftlich schwachen Region zur Folge. Im Jahr 1998 verlegte die jugoslawische Staatsbahn die ersten, symbolischen 60 m Gleis und sanierte die Tunnel. Dem war die Beräumung der Strecke durch die Armee vorausgegangen. Der Wiederaufbau der Gleise und der zum Eisenbahnbetrieb gehörenden Infrastruktur schritt rasch voran, die Trasse war vorwiegend unbebaut geblieben, lediglich in Mokra Gora bedurfte es Umbettungen auf dem örtlichen Friedhof, der zwischenzeitlich über die Bahnanlagen hinweg erweitert worden war. Ein Lokschuppen mit Werkstatt entstand in Šargan Vitasi; in Mokra Gora gibt es einen offenen Unterstand zum Abstellen einer Lokomotive. Die Eröffnung der „neuen“ Šarganska Osmica fand am 1. September 2003 statt. Gleichzeitig gediehen Überlegungen zur Erweiterung der Strecke in Richtung Kotroman, das heißt bis zur Staatsgrenze zwischen Serbien und Bosnien-Herzegowina. Die Bauarbeiten begannen 2005 und waren wiederum ein Projekt des Infrastrukturministeriums der Republik Serbien. Auch in Bosnien-Herzegowina (Entität Republika Srpska) entstand die Strecke neu und erreichte 2005 erneut Višegrad, womit die gesamte Strecke die für Museumseisenbahnen beachtliche Länge von 51 km erreicht hat. In Višegrad endet die Strecke am alten Bahnhof, den die Stadt nach der Betriebseinstellung der Bosnischen Ostbahn 1978 als Busbahnhof weiternutzte. Beim Wiederaufbau legte man allerdings wenig Wert auf bequemes Ein- und Aussteigen: Ein Bahnsteig fehlt komplett, lediglich Podeste sind vorhanden. Der Gleisplan ist gegenüber dem alten Betriebszustand wesentlich kleiner dimensioniert, die Bahnhöfe in Dobrun und Vardište entsprechen jedoch ungefähr den Ausmaßen von früher. Dies gilt im Übrigen auch für den serbischen Streckenteil: Die jugoslawische Regierung und die Jugoslawischen Staatsbahnen orientierten sich zwar an den früheren Gleisplänen, nahmen hier und da jedoch auch einige Veränderungen vor, um den Betriebsablauf zu vereinfachen. Der bosnische Streckenabschnitt liegt auf dem Gebiet der Republika Srpska, einer von zwei Teilrepubliken des Staates Bosnien-Herzegowina. Den Betrieb führen auf diesem Abschnitt deshalb die Eisenbahnen der Republika Srpska (ŽRS), die allerdings für die Museumsbahn selbst keine Triebfahrzeuge, wohl aber Wagen im Bestand haben.
Nur wenige grenzüberschreitende Züge
Der Wiederaufbau nach Višegrad entpuppte sich vorwiegend als Inszenierung lokaler Politiker. So gab es nur in der Saison 2012 an mehreren Wochenenden überhaupt regelmäßigen Zugverkehr von Serbien nach Bosnien und umgekehrt, ansonsten liegt die neugebaute und überaus reizvolle Strecke brach. Inzwischen wurde sie wegen eines abgängigen Dammes sogar gesperrt. Derzeit finden Sanierungsarbeiten statt, nach deren Abschluss der Verkehr wieder aufgenommen werden könnte. Ob es wirklich dazu kommt ist fraglich, im Raum steht auch, dass es zwischen beiden Betriebsführern Zwist wegen zu entrichtender Streckennutzungsgebühren gibt. Im Fahrplan sind jedoch zwei Zugpaare nach Bosnien verzeichnet. So beschränkt sich der planmäßige Verkehr aktuell auf den Abschnitt Šargan Vitasi – Mokra Gora. Die Züge verkehren während der Wintersaison (25. Dezember bis 25. Januar) und der Sommersaison (25. April bis 31. Oktober) täglich, wobei mindestens drei Zugpaare immer fahren, je nach Andrang sind zwei weitere möglich. Der Fahrplan ist auf den Seiten der Serbischen Staatsbahnen im Internet zu finden, nicht jedoch in deren Kursbuch. Die Fahrt Mokra Gora – Šargan Vitasi legen die Züge mit nur einem Zwischenhalt in der Station Jatare zurück und benötigen dafür in etwa eine Dreiviertelstunde. In Vitasi setzt die Lokomotive um (oder wird fallweise getauscht). Nach etwa einer Viertelstunde verlässt der Zug die Station wieder. Auf der Rückfahrt nach Mokra Gora hält der Zug an vier zusätzlichen Haltepunkten, die vor allem der teilweise spektakulären Aussichten wegen eingerichtet worden sind und Gelegenheit zum Fotografieren bieten. In Jatare erfolgt ein längerer Aufenthalt, danach erreicht der Zug die Station Golubići, deren Bahnhofsgebäude ein Typenbau aus der Entstehungszeit der Šarganska Osmica zu sein scheint. Doch dem ist nicht so: Es entstand erst Ende der 1990er Jahre, als der serbische Regisseur Emir Kusturica in der Gegend um Mokra Gora seinen Film „Das Leben ist ein Wunder“ drehte und dafür nicht nur die Station Golubići bauen, sondern auf einer Anhöhe über der Ortschaft Mokra Gora einen kompletten Ort namens Kustendorf (manchmal auch Drvengrad) entstehen ließ. Die Station präsentiert sich heute so, wie sie die Schauspieler nach den Dreharbeiten verlassen haben: Auf einem Nebengleis steht als Requisite eine Motordraisine auf Basis eines Peugeot 404. Nach etwa zwei Stunden trifft der Zug wieder in Mokra Gora ein. Der Bahnhof ist mit einem Fahrdienstleiter besetzt, in Vitasi arbeitet lediglich ein Rangierer und Jatare ist betrieblich unbesetzt. Die Zugabfertigung obliegt an den unbesetzten Halten dem Zugführer, der auch die Fahrkartenkontrolle vornimmt.
Fahrzeuge
Der heutzutage eingesetzte Zug wird von den Serbischen Eisenbahnen als „Nostalgija“ vermarktet. Er wird aktuell ausschließlich mit Diesellokomotiven bespannt, die Dampflokomotiven können aus verschiedenen Gründen nicht eingesetzt werden und es ist momentan nicht absehbar, wann sich dies wieder ändert. Normalerweise bestehen die Zuggarnituren aus einem Wagen 3. Klasse, einem Wagen 2. Klasse, einem geschlossenen Aussichtswagen und je nach Bedarf einem Restaurantwagen, der zumeist unbewirtschaftet mitläuft. Insgesamt sind so pro Zugfahrt 144 Sitzplätze und etwa 40 Stehplätze vorhanden. Für besondere Anlässe stehen auch noch Salonwagen zur Verfügung, daneben sind einige wenige Güterwagen für innerbetriebliche Zwecke vorhanden. Das Rollmaterial der Serbischen Eisenbahnen ist authentisch beschriftet worden, während die ŽRS ihre Wagen mit ihrem Kürzel versah. Die heute eingesetzten Diesellokomotiven des Typs L45H (FAUR Bukarest) kamen erst nach dem Wiederaufbau der Strecke nach Mokra Gora, außer der Dampftraktion gab es hier früher nur einige Schnellverbindungen mit Dieseltriebwagen.
Hinweise für einen Besuch
Ein Besuch der Šarganska Osmica lohnt nicht nur wegen der Eisenbahn, sondern auch wegen der zahlreichen Kultur- und Naturdenkmale in der Umgebung. Doch obwohl die Region zu den bedeutendsten Tourismusgebieten in Serbien gehört, ist die Anreise nicht ganz einfach. Aus Richtung Belgrad ist die Fahrt mit dem Tageszug in Richtung Montenegro bis Užice am sinnvollsten, das nach etwa vier Stunden Fahrt erreicht wird. Von Užice aus besteht einerseits die Möglichkeit, mit dem Autobus nach Mokra Gora zu fahren, zum anderen lohnt es sich, nach Taxifahrern Ausschau zu halten. Diese bieten mit etwas Glück günstige Touren an, bei denen außer Mokra Gora auch noch Višegrad und das Kloster Dobrun angefahren werden. Dabei kann auch der bosnische Teil der Museumseisenbahn besichtigt und fotografiert werden und man ist in der Gegend völlig flexibel. Als Richtpreis für eine Fahrt Užice – Mokra Gora (ca. 50 km) sind etwa 20 Euro zu veranschlagen, eine Ausflugsfahrt Užice – Višegrad – Mokra Gora (ca. 115 km) kostete im Mai 30 Euro. In Mokra Gora und Kustendorf gibt es mehrere Übernachtungsmöglichkeiten, die für den Touristen reizvollste Möglichkeit ist sicherlich das Hotel am Bahnhof Mokra Gora, das ebenfalls von den Serbischen Eisenbahnen betrieben wird. Mit etwas Glück erhält man ein Zimmer mit Blick auf die Eisenbahn, einige Räume können sogar nur vom Bahnsteig aus betreten werden. Eine Reservierung ist problemlos über die einschlägigen Buchungsplattformen möglich. Im Ort Mokra Gora befindet sich ein Lebensmittelgeschäft, selbstverständlich verfügt der Bahnhof Mokra Gora (wie auch der Bahnhof Jatare) über ein Bahnhofsrestaurant, in welchem man mit Bahnblick gut und günstig typisch serbische Küche genießen kann. Verantwortlich zeichnet hier die Firma Želturist, die auch die Speise-, Schlaf- und Liegewagen der Serbischen Eisenbahnen betreut. Es empfiehlt sich, insbesondere während der Saison, Fahrkarten für die Züge vorzubestellen. Das ist einerseits auf der Internetpräsenz der Šarganska Osmica möglich, andererseits kann man auch dem Hotel einen entsprechenden Hinweis bei der Buchung übermitteln, so dass man nicht um einen Platz bangen muss. In begrenztem Umfang werden auch Stehplatzkarten ausgegeben, garantiert ist dies jedoch nicht (die Angestellten vor Ort sind im Übrigen der Meinung, dass Stehplätze besser seien, so könne man nämlich viel besser fotografieren). Die Hin- und Rückfahrt kostet gegenwärtig 600 RSD (umgerechnet etwa 5 Euro) was im Vergleich zu den normalen Eisenbahntarifen teuer ist, allerdings nicht überteuert. Die meisten Besucher der Šarganska Osmica kommen aus Serbien selbst – (teurere) Ausländerpreise gibt es nicht. Vor Ort sprechen die Angestellten Serbisch und zum großen Teil auch Englisch. Es gehört zu den Gepflogenheiten des Balkans, das Gäste und Hilfsbereitschaft ihnen gegenüber einen hohen Stellenwert einnehmen. Für Fahrten nach Bosnien-Herzegowina sind gültige Ausweispapiere (Personalausweis) vonnöten. Die Museumseisenbahn lässt sich in eine Vielzahl von Reisen integrieren, seien es Fahrten von Belgrad nach Montenegro oder von Belgrad nach Sarajevo. Als Tagesausflug von Belgrad aus ist Mokra Gora allenfalls mit dem Mietwagen zu erreichen, man sollte sich jedoch die Zeit nehmen, um diese Gegend etwas genauer kennenzulernen.
Quelle
Grujić, Milan: Feniks na Šarganu. Dva života šarganske pruge. Želnid Beograd, 2006.
21.10.2015