Editorial
Liebe Preß’-Kurier-Leser,
jetzt sind also 25 Jahre seit dem Zusammenschluss der bis zum 2. Oktober 1990 bestehenden zwei deutschen Staaten vergangen, die Vereinigung der beiden deutschen Staatsbahnen hatte dann noch etwas mehr als drei Jahre gedauert – und gleichzeitig wurde eine umfangreiche Regionalisierung der Zuständigkeit insbesondere für den Schienenpersonennahverkehr angestoßen. Der Gedanke der regionalen Zuständigkeit für Personenverkehre in den Bundesländern ist nachvollziehbar und aufgrund der großen Komplexität bei der Verknüpfung mit anderen Verkehrsträgern auch gar nicht anders zu bewerkstelligen. Gleichzeitig war schon mit der Gründung der Deutschen Bahn AG eine Trennung in Betrieb und Infrastruktur vorgesehen, deren Umsetzung aber vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung durch Protektionismus von Arbeitnehmervertretern und aus Politikinteressen verhindert wird. Nichtsdestotrotz wähnt man sich manchmal eher in Zeiten weit vor 1871, als die Reichsgründung und der stetige Ausbau des Eisenbahnnetzes in den folgenden Jahren immer mehr das Verständnis für die Eisenbahn als Gesamtsystem forcierte. Schaut man sich heute die Landkarte allein des Freistaates Sachsen an, in dem fünf regionale Nahverkehrszweckverbände jeweils „ihr Süppchen“ kochen und eine Kirchturmpolitik verfolgen, anstatt regionale Verknüpfung zu bewerkstelligen, ist ein „Zurück in die Vergangenheit“ kaum zu verleugnen. Wenn dann noch technische Grundlagen im System Eisenbahn gänzlich ignoriert werden, damit man im „Wettbewerb um den Markt“ gefühlt noch ein paar Cent sparen kann, wird’s gänzlich absurd und Friedrich List würde sich im Grab wohl in permanenter Rotation befinden. So wurde die Strecke zwischen Chemnitz und Leipzig erst vor kurzem unter Einsatz auch von vielen Steuergeldern aufwendig für den Betrieb mit Neigetechnikfahrzeugen optimiert, um durch bogenschnelles Fahren den Nachteil der bogenreichen Streckenführung auszugleichen. Dabei bekommt der Gleisaufbau eine andere Struktur, es wird mit größeren Überhöhungen und verändertem Gleisunterbau gearbeitet, da die Krafteinleitungsrichtung etwas anders ist. Das sind relativ einfache physikalische Grundlagen. Den Zweckverbänden in Chemnitz und Leipzig, die für diese Strecke nun eine Neuausschreibung der Verkehrsleistungen bis 2025 vornahmen, ist solch naturwissenschaftliches Grundwissen Schnuppe, wenn man mit einem preiswerteren Anbieter ab 13. Dezember nun wieder in diesellokgeführten Zügen reist. Zwar verspricht man (fast) gleiche Reisezeit – doch ohne einen Blick in die Glaskugel werfen zu müssen. Physik lässt sich selten dauerhaft ignorieren, denn die Strecke wird in spätestens zwei Jahren Fahrzeitverlängerungen erfordern, weil die Gleisbögen nach ersten Schad- und Langsamfahrstellen wieder mit viel Geld auf andere Belastungsanforderungen umgebaut werden müssen. Gespart hat kurzfristig vielleicht der regionale Verkehrsfürst. Die Kosten der Gesamtsystemrechnung hat das System Eisenbahn und mittelfristig der Fahrgast durch Unattraktivität der Anschlussverbindungen sowie auf Dauer die Volkswirtschaft als Ganzes zu tragen.
Ich hoffe, Sie sehen mir diesen Ausflug außerhalb unseres eigentlichen Themenspektrums im Heft nach. Denn auch wenn wir uns vor allem der musealen Erhaltung und Wahrung der Erinnerung für Eisenbahnen widmen, kann uns die Gegenwart nicht gänzlich kalt lassen. Wir haben auch in dieser Ausgabe wieder viele positive Ergebnisse zusammengetragen – lassen Sie sich bitte damit motivieren, dass es die Eisenbahnen mit Herz und Verstand immer noch gibt.
Glück Auf
21.10.2015