Verkehrs-Geschichte
Die Bergung zweier Dresdner Pferdebahnwagenkästen (Teil 1)
Am 23. April ließ die Verkehrsmuseum Dresden gGmbH in einem Gartengrundstück neben dem Bilzbad in Radebeul die Kästen zweier Pferdestraßenbahnwagen bergen und von DB Schenker in ein Depot bringen – hier die Vorgeschichte zu dieser Aktion. Teil 2 berichtet über die Bergung.
Durch Zufall lernte im vorigen Jahr ein aus Thüringen stammender Eisenbahnfreund die Tochter der Pächterin eines Radebeuler Gartengrundstückes kennen. Dabei erzählte der seit mehreren Jahren in Dresden lebende Förderer der IG Hirzbergbahn e.V. beiläufig von seinem Interesse für alte Eisenbahnen. Die ebenfalls in Dresden wohnende Frau horchte auf und berichtete, dass im seit den 1990er Jahren ungenutzten Gartenhaus ihrer Mutter in Radebeul „irgendwelche alte Wagen“ eingebaut sind – genaueres wisse sie aber darüber nicht. Die inzwischen verstorbene Pächterin war zu diesem Zeitpunkt längst ein Pflegefall – die letzten Besuche in der Gartensparte neben dem Radebeuler Bilzbad lagen etwa 20 Jahre zurück. Da der Tochter sowohl die Zeit als auch die finanziellen Möglichkeiten zur Fortführung des Pachtvertrages fehlten, war mit der Stadtbäder und Freizeitanlagen GmbH Radebeul die Auflösung des Vertragsverhältnisses zum Jahresende 2014 avisiert. Damit war jedoch der Abriss der Gartenlaube verbunden! Daraufhin informierte der aus Thüringen stammende Eisenbahnfreund seinen Ex-Kollegen Joachim Schulz von der IG Wagen (einem außerhalb des Vereinsrechtes aktiven Zusammenschluss von mehrheitlich an Schmalspurwagen interessierten Eisenbahnfreunden). Da das Bilzbad nicht weit von der Lößnitzgrundbahn liegt, lag die Vermutung nahe, in der Laube könnten die Kästen einst zweiachsiger Schmalspurbahnwagen verborgen sein. Andererseits kursierte unter Straßenbahnfreunden seit vielen Jahrzehnten das Gerede „irgendwo in Radebeul sind zwei ganz alte Straßenbahnwagenkästen eingebaut …“
Blicke durchs Fenster …
Voller Neugier und Spannung fuhren Joachim Schulz und der Dresdner Straßenbahnfreund Peter Thielemann wenige Tage später Anfang November zum Bilzbad. Beim Blick durch die Fenster war den beiden Experten rasch klar, dass in das betreffende Gebäude keine Eisenbahnwagen, sondern eher ein oder zwei Straßenbahnwagen integriert sein mussten. Da die Seitenwände des Wagens ungewöhnlich kurz erschienen, stand im Raum, dass womöglich ein längerer Wagenkasten halbiert worden war – solche Fälle sind zum Beispiel aus der Prignitz von zuletzt beim Pollo eingesetzten vierachsigen Fahrzeugen bekannt. Um was es sich in Radebeul genau handelte, das war nur mit Maßband und Zollstock im Inneren der Laube ermittelbar, doch die Pächterin hatte den Schlüssel für das Gartenhaus verlegt. Joachim Schulz gab nicht auf – er besorgte eine Kiste mit Dutzenden alter Schlüssel und bat die Tochter der im Sterben liegenden Pächterin um ein Treffen am Grundstück. An diesem grauen und kalten 19. November kamen auch André Marks als Vertreter der Initiative Sächsische Eisenbahngeschichte e. V. (ISEG) sowie u. a. Holger Frenzel vom Straßenbahnmuseum Dresden e. V. nach Radebeul – nach wenigen Versuchen ließ sich die Laubentür mit einem alten Bartschlüssel öffnen. Erstmals seit Mitte der 1990er Jahre betrat die Tochter der Pächterin die Laube ihrer Mutter und ließ mehrere Mitstreiter der IG Wagen, der ISEG und des Straßenbahnmuseums mit hinein – der Sammelgebietsleiter Städtischer Nahverkehr des Verkehrsmuseums Dresden weilte in dieser Woche im Ausland und war dadurch verhindert.
Tatsächlich Pferdestraßenbahnwagen!
Im Inneren bekamen die Straßenbahnkenner große Augen: Sie erkannten, dass es sich um zwei kleine kurze Wagen handelt – vermutlich von der Dresdner Pferdestraßenbahn! Damit standen die Männer vor zwei historisch wertvollen Objekten, deren Erhalt sinnvoll erschien. Aber die Uhr tickte – doch in den letzten verbliebenen Dezembertagen war eine kurzfristige Freilegung und Bergung undenkbar. Es war Gefahr im Verzug, sollte das Grundstück doch bis zum Jahresende 2014 beräumt werden. Daraufhin schaltete André Marks seinen Ex-Kollegen Norbert Kuschinski vom Verkehrsmuseum Dresden ein. Der Sammelgebietsleiter Städtischer Nahverkehr bat die Stadtbäder und Freizeitanlagen GmbH Radebeul im Dezember schriftlich um Aufschub für den Abriss der Gartenlaube, damit die Fahrzeuge im Frühjahr 2015 identifiziert und ggf. geborgen werden könnten. Das kommunale Wirtschaftsunternehmen der Stadt Radebeul ging darauf ein und setzte eine Frist bis Anfang Mai 2015.
Die Wagen werden identifiziert
Am 14. Januar 2015 holte Norbert Kuschinski mit dem Restaurator des VMD, Hagen Kreisch, die Besichtigung der Gartenlaube nach. Dazu war auch Mario Schatz eingeladen, womit gleich zwei bedeutende Straßenbahnkenner Mitteldeutschlands die Fahrzeuge untersuchten. Diesen fehlen jeweils zwei Drittel einer Seitenwand und die Inneneinrichtung. Die Oberlichtdachaufsätze waren hingegen vollständig erhalten. Hinter den Untersuchungsklappen in den Stirnwänden der Wagen entdeckten Mario Schatz und Norbert Kuschinski die mit Kreide angeschriebenen Betriebsnummern der Zweiachser: 33 und 36. Damit handelt es sich um zwei 1891 von der Firma Carl Stoll im damals noch vor den Toren Dresdens liegenden Plauen für die „Deutsche Strassenbahngesellschaft zu Dresden“ gebaute Pferdestraßenbahnwagen. Nach ihrer Farbgebung wurde diese Gesellschaft von der Bevölkerung kurz nur „die Rote“ genannt, während die konkurrierende Continental-Pferdeeisenbahn-Actiengesellschaft aus diesem Grund „die Gelbe“ genannt wurde. Befindet sich von letzterer seit vielen Jahren mit dem Wagen 106 (Brill 1886) ein Fahrzeug im Eigentum des Verkehrsmuseums, so hieß es bisher, dass von den baulich abweichenden Pferdebahnwagen „der Roten“ keine Fahrzeuge erhalten geblieben sind.
Wohin mit den Wagen?
Auch nachdem die Identität der beiden Kästen geklärt war, blieb der Vorstand des Dresdner Straßenbahnmuseums bei seiner Entscheidung, keinen der beiden Wagen übernehmen zu wollen. Er begründete dies damit, dafür keinen Platz zu haben. Zur Überraschung von Joachim Schulz zeigten auch das Deutsche Pferdebahnmuseum in Döbeln sowie der Verein Stadtbahn Riesa kein Interesse an einer Übernahme eines Kastens – obwohl der Riesaer Verein 2013 noch den später von der Stadt Meißen geborgenen Beiwagen 14 der Meißner Straßenbahn erwerben wollte. Ob das Verkehrsmuseum einen Wagen oder nur eine Seitenwand übernehmen würde, stand am Anfang ebenfalls nicht fest. Deshalb waren Joachim Schulz und André Marks erleichtert, als Norbert Kuschinski im Frühjahr die Rückmeldung gab, sein Direktor hätte zugestimmt, beide Kästen zu übernehmen, wenn dem Verkehrsmuseum möglichst wenig Bergungskosten entstehen.
07.06.2015