Schmalspur- und Museumsbahn-Nachrichten
Prignitzer Kleinbahnmuseum Lindenberg e.V. („Pollo“-Verein)
Der „Pollo“ dampft wieder bis Lindenberg! Seit 12. Mai dürfen die Museumszüge des Prignitzer Kleinbahnmuseums Lindenberg e.V. offiziell den in den vergangenen Monaten neu gebauten Abschnitt Vettin – Lindenberg befahren. Im Beisein des auch für Verkehr zuständigen brandenburgischen Infrastrukturministers fuhr der Eröffnungszug bis kurz vor das neu gebaute Lindenberger Bahnsteiggleis. Hier fand – bei strömenden Regen – der symbolische Verkehrsträgerwechsel vom Bus auf die Schmalspurbahn statt. (Am 1. Juni 1969 lief dieser Vorgang umgedreht ab: Damals hatte die Eisenbahn in Lindenberg symbolisch an den VEB Kraftverkehr übergeben, der damals ebenfalls mit zwei Ikarus-Bussen vertreten war.) Nach dem feierlichen Banddurchschnitt fuhr der von 99 4511 bespannte Sonderzug als erster offizieller Zug an das Lindenberger Bahnsteiggleis. Ab den Mittagsstunden pendelte der aus den Jöhstädter Fahrzeugen 99 4511, dem Traglastenwagen 970-507, dem Oberlichtwagen 970-751 sowie den Prignitzer Vereinsfahrzeugen 970-864 und 975-312 gebildete Reisezug abwechseln mit einem Dieselzug zwischen Lindenberg und Mesendorf. Der Dieselzug wurde aus dem ehemaligen RüKB-Wagen 970-788, dem Aussichtswagen 970-604, dem modernisierten SOEG-Leihwagen 970-546 sowie ein oder zwei zweiachsigen Güterwagen gebildet. Daß der Aussichtswagen 970-604 – als Traglastenwagen bis Anfang der neunziger Jahre in Zittau eingesetzt, danach in Nürnberg aufgestellt – im Dieselzug lief, wurde von den Fotografen dankbar registriert. So war es möglich, einen vollständig aus authentischen Fahrzeugen gebildeten Dampfzug zu fotografieren bzw. zu filmen, während die „Fremdfahrzeuge“, also Loks und Wagen, deren Typen beim alten „Pollo“ nie gelaufen sind, in einem zweiten Zug vereinigt waren.
Nicht unerwähnt bleiben darf, wenn über die Festwoche beim Pollo berichtet wird, wie liebevoll die Lindenberger ihren Ort auf Vordermann gebracht hatten. Die große Anteilnahme der Bevölkerung an der Rückkehr der Kleinbahn dürfte in ganz Deutschland bisher einmalig gewesen sein. Vor fast jedem Haus hatten die Lindenberger alte Pkw, alte Traktoren, alte Lkw oder landwirtschaftliches Gerät ausgestellt. Außerdem schmückten viele Strohpuppen, Blumen, Zweige und Jubeltafeln die Bürgersteige und Fenster der Häuser. Mehrere Lindenberger traten in historischen Feuerwehrkostümen auf, und es gab zahlreiche Frauen in alten Bauernkleidern. Preußische Soldaten mit Pickelhauben vermißte man im Eröffnungszug ebenso wenig wie den Pfarrer. Mutmaßungen, daß es sich bei seinem ernsten Gesicht nur um einen echten Pfarrer handeln könne, wurden jedoch enttäuscht: Es war ein Angestellter der Stadtverwaltung Pritzwalk! Nach dieser Beichte war geschwind eine neue Erklärung für sein ernstes Gesicht parat: Es soll sich um den Stadtkämmerer gehandelt haben … Die Lindenberger Gaststätte Kiekbach hatte sich in der Festwoche zu einer Modellbahn-Ausstellung verwandelt, und im Vorgarten des ehemaligen Eisenbahnerwohnhauses wurde eine Gartenbahn gezeigt. Außerdem fanden sportliche Wettkämpfe wie der „Pollo“-Lauf, „Pollo“-Radwandertouren und ein Fußballturnier statt. Neben der Rückkehr der Schmalspurbahn nach Lindenberg galt es im Mai auch der Eröffnung der Strecke Lindenberg – Pritzwalk vor 100 Jahren zu gedenken. Zusätzlich jährt sich 2007 die Eröffnung der ersten Schmalspurbahn des späteren Netzes der Ost- und Westprignitzer Kreiskleinbahnen zum 110. Male. Die von Pollo-Kennern über alles geliebte Kult-Gastwirtschaft Lamprecht hatte aus diesem Anlaß passend mit dem zeitgenössischen Schwarzweißrot geflaggt!
Unvergeßlich waren für die Teilnehmer aber auch die nächtlichen Zugfahrten, die Kabarettaufführung und das Feuerwerk in Lindenberg – der Ort war – im positiven Sinne – im Ausnahmezustand. Auch im Laufe der Woche rissen die bemerkenswerten Ereignisse nicht ab. Während am Mittwoch erneut eine gemütliche Mondscheinfahrt auf der 9 km langen Strecke Begeisterung hervorrief, sorgten am Donnerstag – dem Himmelfahrtstag – ein Grill sowie ein Bierfaß auf einem offenen Güterwagen für den nötigen Fahrspaß. Die Züge platzten fast aus ihren Nähten, Sitzplätze waren absolute Mangelware. Nachdem am Eröffnungswochenende oft Regen oder Wolken den Fotografen die Laune verdorben hatten, zeigte sich der Wettergott am Freitag, dem Fotozugtag, von seiner besten Seite. Anders als im letzten Jahr fuhren die Züge dabei nach einem festen Fahrplan. Dieser enthielt aber soviel Luft, daß man jeden Zug bequem mehrfach aufnehmen konnte. In Mesendorf wurde meist rangiert, um eine große Zahl unterschiedlicher Fahrzeugkompositionen aufnehmen zu können. Anders als im Vorjahr kamen diesmal auch mehrere Reisezugwagen zu Fotozugehren. Im letzten Zug konnte man dann offiziell mitfahren, Fotohalte wurden selbstverständlich eingelegt. Olaf Herrig schreibt voller Begeisterung: „Es war ein wunderschöner Tag mit vielen Motiven, die man sonst nicht vor die Linse bekommt. Ich möchte mich ganz offiziell bei den Pollo-Museumsbahnern für diese gelungene Veranstaltung bedanken.“ Am zweiten Wochenende innerhalb der Festwoche nutzten nochmals viele hundert Besucher die Möglichkeit, mit dem Dampfzug nach Lindenberg zu fahren. Ungewohnt und schön zugleich war übrigens vom Bahnsteig in Lindenberg der Blick zur in der Nähe aufgestellten 99 4644. Da hinter dieser Maschine mehrere Wagen stehen, hatte man den Eindruck als ob zwei Züge auf die Einfahrt in den richtigen Bahnhof Lindenberg warten. So wie es für die Mitglieder der IG Preßnitztalbahn e. V. ein Wunsch ist, irgendwann einmal vor das Empfangsgebäude in Jöhstadt mit dem Museumszug vorzufahren, so hoffen die Mitglieder des Pollo-Vereins, irgendwann einmal ihre Züge an historischer Stelle in Lindenberg enden lassen zu können. Vom Infrastrukturminister und anderen Politikern am 12. Mai verbreitete Parolen, die Museumsbahn nach Pritzwalk zu verlängern, wurde indes von den Pollo-Mitgliedern kontrovers diskutiert. Für den vergleichsweise kleinen Verein stellt der Erhalt der nunmehr 9 km langen Museumsbahn sowie der vorhandenen Fahrzeuge bereits eine große Herausforderung dar. Doch immerhin wurde der betriebsfähigen Aufarbeitung der vereinseigenen 99 4644 eine Perspektive gegeben. Nachdem das Fahrwerk des D-Kupplers am 13. Mai eine Lauffähigkeitsuntersuchung erhielt (dazu wurden auch alle Stellkeile überprüft), soll die Maschine demnächst einmal von Lindenberg nach Mesendorf gebracht werden. Hier soll sie zukünftig im Lokschuppen geschützt untergestellt werden und eine äußerliche Aufarbeitung erhalten, um bei Veranstaltungen ins rechte Licht gerückt werden zu können. Langfristig soll sie natürlich wieder mit eigener Kraft fahren.
Daß der Pollo-Verein das schaffen wird, davon konnten sich alle Besucher der Festwoche überzeugen. Über 3000 Fahrkarten wurden vom 12. bis zum 20. Mai verkauft. Indes wurden 99 4511 und der Oberlichtwagen 970-751 bereits kurz nach der Festwoche ins Erzgebirge zurückgebracht. An den nächsten Fahrtagen des Pollos sind wieder ausschließlich die Dieselloks des Vereins unterwegs. Termine dafür sind am: 7./8. Juli, 4./5. August, 1./2. September, 3. Oktober, vom 4. bis zum 6. Oktober (Schmalspur-Expo) sowie am 8./9. Dezember (Nikolausfahrten).
Über Details informiert: Prignitzer Kleinbahnmuseum Lindenberg e.V. Dorfstraße 7; 16928 Lindenberg Telefon/Fax: 033982/60128 oder 60114 E-Mail: mail@pollo.de
29.05.2007