Fahrzeuge im Porträt
Der regelspurige Flachdachgüterwagen 05-63-98 mit Bremserhaus
I. Vorbemerkungen
Wenn am 30. April 2007 auf der Preßnitztalbahn wieder einmal Fotogüterzüge verkehren , dann wird erstmals seit vielen Jahrzehnten auch ein regelspuriger Flachdachgüterwagen mit Bremserhaus auf einem Rollfahrzeug mitgeführt. Ein Neuzugang bei der IG Preßnitztalbahn e. V.? - Nein, im Gegenteil. Es handelt sich eigentlich sogar um eines der ersten Fahrzeuge des Vereins. Es hat lediglich inzwischen seine korrekte Betriebsnummer und ein Bremserhaus zurückbekommen. Deshalb hier mehr über diesen Wagentyp und das Museumsfahrzeug.
II. Die regelspurigen Flachdachgüterwagen der deutschen Bahnverwaltungen
Zu den ältesten Güterwagentypen - weltweit - gehören zweiachsige geschlossene Wagen mit flachgewölbten Dächern. Jede deutsche Bahnverwaltung einschließlich alle Privatbahnen hatte vor 1945 mindestens einen zweiachsigen Flachdachgüterwagen in ihrem Bestand, die großen Bahngesellschaften sogar viele Tausende. Ab Ende der 1880er Jahre waren Neubauten weitestgehend durch Achsstände von 4,5 m, Bodenflächen von 21 m² sowie Ladegewichte von 15 t gekennzeichnet. Allein von den Fahrzeugen nach preußischem Musterblatt lld8 wurden knapp 50 000 Exemplare gebaut. Über 50 000 weitere, nahezu bauartgleiche Wagen wurden von den anderen deutschen Länderbahnverwaltungen beschafft. Alle diese Zweiachser wurden bei der DRB als G Hannover oder G Stettin (hierin waren auch noch andere GWagen- Typen enthalten), bei der DB als G 02, bei der DR als G-03 bezeichnet. 1909 gründeten die Direktionen der deutschen Staatsbahnverwaltungen den Deutschen Staatsbahnwagenverband (DWV). Dieser Verband erstellte das Musterblatt A2 für einen zweiachsigen gedeckten Güterwagen mit Flachdach. Von 1910 bis 1927 wurden in den deutschen Waggonbauanstalten daraufhin allein für die Eisenbahnen des DWV nahezu 122 000 gedeckte Wagen dieser sogenannten Verbandsbauart gefertigt. Sie wurden von der Reichsbahn bis 1949 als G München oder G Kassel geführt. Angelehnt an sein erstes Baujahr teilte die Deutsche Bundesbahn diesem Fahrzeugtyp Anfang der fünfziger Jahre die Gattungsbezeichnung G 10 zu . Dieser Begriff verbreitete sich jedoch auch in der DDR unter Modelleisenbahnern und vielen Hobbyeisenbahnern. Fälschlicherweise werden die typischen DR-Flachdachgüterwagen der Verbandsbauart deshalb heute oft auch in den östlichen Bundesländern als „G 10“ bezeichnet. Diese Laien ordnen dann natürlich gleich noch alle anderen Flachdachgüterwagen dieser Gruppe zu , was ebensowenig korrekt ist! Die Reichsbahn in der DDR führte ihre ab 1910 gebauten G-Wagen der Verbandsbauart in den Nummerngruppen 04 (G Kassel) und 05 (G München bzw. G Karlsruhe). G Karlsruhe waren Ende der dreißiger Jahre aus G Kassel und G München umgerüstete Wagen, die für den Einbau von Sitzbänken vorbereitet worden waren. Sie hatten nahezu ausnahmslos Handbremsen und nicht selten die doppelte Anzahl von Lade-und Lüftungsluken. Von den älteren Flachdachgüterwagen unterscheiden sich die Verbandsbauartwagen z. B. aufgrund des von 15 auf 17,5 t erhöhten Ladegewichtes, aufgrund der stabileren Achslagerhalterungen, aufgrund des spitzen , statt abgerundeten Bremserhausdaches, aufgrund der Anzahl und Anordnung der Lade- und Lüftungsklappen sowie aufgrund der Abmessungen einzelner Profile. Doch auch Verbandswagen ist nicht gleich Verbandswagen! Während die ersten Wagen durchweg noch mit Stangenpuffern und Speichenradsätzen, oft ohne eigene Bremse in Dienst gestellt worden waren, hatten die Mitte der zwanziger Jahre gebauten Zweiachser von Anfang an Hülsenpuffer, Druckluftbremsen und massivere Zugvorrichtungen. Bei vielen älteren Fahrzeugen wurden diese Komponenten später nachgerüstet. Weitere Unterschiede betrafen z. B. die Anzahl der Lade- und Lüftungsklappen. In diesem Beitrag soll das Augenmerk insbesondere auf das Bremserhaus gelenkt werden.
III. Flachdachgüterwagen mit Bremserhaus
Mit einem Bremserhaus wurden alle Verbandswagen geliefert, die ab Werk über eine Handbremse verfügten. Wie viele der über 121 500 Wagen das waren, läßt sich nur schwer beziffern. Eine Schätzung geht von zehn bis 25 Prozent aus. Wesentlich ist, daß bei Indienststellung der Fahrzeuge das Bremserhaus über das Wagendach ragte. Ursache dafür war, daß die vom Wagenboden senkrecht an der Stirnwand nach oben gelegte Welle mit einer waagerecht angeordneten Kurbel bewegt wurde, die (nicht nur) bei jeder Drehbewegung auch über das Dach ragte. Im Laufe des Einsatzes stellte sich jedoch heraus, daß sich zwischen Bremserhaus und Wagendach besonders häufig undichte Stellen bildeten. Deshalb wurden die Bremserhäuser kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges, vor allem aber dann in Westdeutschland sowie in der DDR im Rahmen von Revisionen komplett entfernt. Dann verblieb jeweils ein 300 mm langer Rahmenüberstand am Pufferträger. Als Bahndienstwagen genutzte Fahrzeuge erhielten an dieser Stelle teilweise flache Bühnen. Eine andere Möglichkeit, die im Bremserhausbereich undichten Dächer der G-Wagen zu umgehen, war es, die Bremserhäuser so zu kürzen , daß es nicht mehr über das Dach ragte und für die Unterbringung der Bremskurbel eine Blechhaube anzubringen. Da die Bahnverwaltungen den Aufwand zur Unterhaltung der Bremserhäuser zunehmend als zu hoch einstuften, verloren immer mehr G-Wagen ab Ende der fünfziger Jahre ihre markanten Kanzeln. In den siebziger Jahren sank der Bestand an zweiachsigen Flachdachgüterwagen drastisch. In den achtziger Jahren sah man solche Fahrzeuge lediglich noch als Bahndienst-, Dienstgüter- oder Bahnhofswagen - mit Bremserhaus aber nur noch in absoluten Ausnahmefällen. Heute unterhalten Museumsbahnvereine in ganz Deutschland auch Vertreter dieser einst so weit verbreiteten Wagengattung - sowohl mit als auch ohne Bremserhaus.
IV Der Flachdachgüterwagen der IG Preßnitztalbahn e.V.
Sowohl der Hersteller als auch das Baujahr des regelspurigen Flachdachgüterwagens der IG Preßnitztalbahn e.V. (IGP) sind unbekannt. Der Bauart und der in den fünfziger Jahren zugeteilten DR-Nummer 05-63-98 nach handelt es sich um einen G München bzw. G Karlsruhe. Gemeinsam mit zwei anderen G-Wagen befand er sich 1990 als Werkwagen auf dem Anschlußgleis des VEB Mineralwolle in Bad Berka Nord in Thüringen. Anfang 1991 erwarben die IGP und der VSE die drei zu diesem Zeitpunkt grau lackierten Wagen, an denen sich weder ein Fabrikschild noch eine Betriebsnummer finden ließen.
Nach einer Lauffähigkeitsuntersuchung brachte eine V100 die drei Fahrzeuge zunächst nach Weimar. Von hier nahm sie 14 Tage später die 1991 in Meiningen hauptuntersuchte 86 333 nach Glauchau mit. Einen Monat später gelang es, den Lokführer einer Ellok der DR-Baureihe 250 (heute 155) zu überreden, die Zweiachser auf einer Leerfahrt bis Flöha mitzunehmen. Dabei soll zeitweise Tempo 80 erreicht worden sein! Mit der 1991 noch in Pockau-Lengefeld stationierten 86 049 unternahmen die drei Wagen im Sommer ihren nächsten „Ausflug“. Dieser führte nach Reitzenhain , wo der VSE damals mehrere Fahrzeuge hinterstellt hatte. Doch diese blieben nur kurze Zeit an der böhmischen Grenze. Schon bald ging es - wieder im Schlepp von 86 049 - zurück nach Flöha, von wo die VSE-Wagen nach Dresden gelangten, der IGP-Wagen hingegen in einem V100-bespannten Güterzug nach Wilischthal kam. Hier hatte die IGP Ende 1991 mehrere Fahrzeuge abgestellt, die der junge Verein in jenem Jahr gekauft hatte - so z. B. auch die Dampfloks 99 1542-2 und 99 1568-7 aus Mügeln sowie den vierachsigen Gepäckwagen 97 4-316 aus Mulda.
Im Rahmen der Fotoveranstaltung „Eine IV K in Wilischthal“ kam der Flachdachgüterwagen am 14. Dezember 1991 zu seinen ersten 750-mm-Fotozugehren (siehe PK 93, Seite 7 bis 9). Auf einen Rollwagen aufgerollt wurde er von 99 1586-9 etliche Male zwischen dem Reichsbahnhof und der Papierfabrik hin und her gezogen. Anschließend kam der erst kurz zuvor braun lackierte Zweiachser nach Buchholz, wo Vereinsfreunde Ende Dezember 1991 erste Holzarbeiten an dem Flachdachwagen ausführten. Nach einem Fotozug-Intermezzo auf der Fichtlbergbahn fand Anfang Mai 1993 seine Uberfuhrung nach Jöhstadt statt. Zum Pfingstfest 1993 war er auf einem Rollfahrzeug auf den Gleisen des Lokbahnhofs Jöhstadt aufgestellt. Auf seine Bühne hatten die Vereinsmitglieder eine große Holztafel mit den Namen der Helfer und Sponsoren der IG Preßnitztalbahn e.V. gestellt. Ende 1993 absolvierte der regelspurige Güterwagen seine ersten Fotozugeinsätze in seiner neuen Heimat. Vom Lokschuppen bis zum Bahnhof Loreleifelsen pendelte er in vielen Zügen mit. Zu solchen Einsätzen wurde der Wagen in den vergangenen 15 Jahren viele Male genutzt. Da die Flachdachgüterwagen naturhch auch einst Im Preßnitztal typisch waren, war er ein begehrtes Fotoobjekt. Seine bisher stets publizierte und in Jöhstadt 1994 angeschriebene Nummer 27 50 111 9830-4 war dabei frei erfunden, die Gattungsbezeichnung Gklm hingegen zutreffend.
V. Die Aufarbeitung des Museumswagens
Trotz wiederholten Lackierens seiner Aufbauten verschlechterte sich der Zustand des Wagens in den vergangenen drei, vier Jahren zusehends. Der Vorstand der IG Preßnitztalbahn erkannte dies rechtzeitig und stellte seine grundlegende Aufarbeitung in den Haushalt des Jahres 2005/06 ein. Wie in den vergangenen Ausgaben des Preß -Kuriers berichtet, wurde sein Aufbau grundlegend erneuert. Sowohl seine U- und L-Profile als auch seine komplette Holzbeplankung wurden dabei ersetzt. Im Herbst 2006 fiel schließlich die Entscheidung den Flachdachwagen wieder mit einem Bremserhaus zu versehen. Dieses ist in der Form der gekürzten Variante neu entstanden, wie es Anfang der siebziger Jahre bei der Reichsbahn noch vereinzelte Wagen gab.
Übrigens: Bei Sandstrahlarbeiten am Rahmen entdeckten die Aktiven die alte Reichsbahnnummer 05-63-98. Mit dieser historisch nun korrekten Nummer wurde der Zweiachser kurz nach Ostern 2007 neu beschriftet- und so können auch Sie ihn z.B. am 30. April im Preßnitztal fotografieren!
Herzlichen Dank an Herrn Hans Ulrich Diener für seine Unterstützung beim Verfassen der G-Wagen-Geschichte!
30.03.2007