Eisenbahn-Geschichte
Ausstellung im Architekturmuseum Breslau mit viel Eisenbahnbezug
Auch wenn es nicht Schwerpunkt der Berichterstattung ist (und werden soll), sei auch ein Blick über den Zaun zu den östlichen Nachbarn aus sächsischer Sicht geworfen, ist doch durch den Beitritts Polens zur Europäischen Union auch im dortigen Eisenbahnnetz ein bedeutender Entwicklungsschub zu erwarten. Zugleich lohnt sich aber dort auch ein Blick auf die Geschichte. Neben den zahlreichen Schmalspurbahnen, die besonders in Schlesien, ähnlich der Zielstellung in Sachsen, für die Erschließung von ländlichen Gebieten nach dem Preußischen Kleinbahngesetz angelegt wurden, sind heute auch noch an den regelspurigen Strecken die alten deutschen Regularien für den Bau von Anlagen und Gebäuden teilweise zu erkennen.
Das Breslauer Architekturmuseum zeigte im Herbst 2006 eine gelungene und von den polnischen Eisenbahnfreunden sehr interessiert aufgenommene Ausstellung, die mit dem Titel „Wroclawskie Dworce Kolejowe“ (Breslauer Bahnhöfe) überschrieben war. Die Schwerpunkte lagen dabei auf der geschichtlichen Entwicklung der Stationen und Anlagen der Eisenbahnstrecken rund um Breslau, der Bahnverbindungen von Breslau nach Berlin sowie vor allem auf der Architektur der Bahnhofsgebäude. Leider gibt es bisher keine Planungen, die Ausstellung auch in Deutschland zu zeigen.
Begleitkatalog zur Ausstellung
Mit einem umfangreichen Begleitbuch wird dieses Manko jedoch weitgehend getilgt, bietet doch das darin enthaltene Material bereits eine gewaltige Informationsflut zum Thema. Im Unterschied zu den wenigen bisher in Deutschland vorliegenden Werken zu den Eisenbahnen in Polen konnte für die Ausstellung und das Begleitbuch auf zahlreiche bisher nicht zugängliche Originalquellen zurückgegriffen werden. Viele Faksimile im Buch (naturgemäß in deutsch, die auch in den Ausstellungstafeln Verwendung fanden) ergänzen den polnischen Text und geben aufgrund ihres Bezugs auf die Bau- und Ursprungszeit der Entstehung der Anlagen und Gebäude die Möglichkeit, auch für den nur deutschsprachigen Leser den Inhalt zu verstehen. Zeichnungen, Lagepläne, Übersichts- und Luftaufnahmen, Fahrpläne und Bauentwürfe der Gebäude zeigen, daß sich die Ausstellungsmacher und Redakteure des Begleitbandes sehr intensiv mit allen Belangen der Eisenbahngeschichte beschäftigt haben.
Da der Schwerpunkt auf der Architektur der Bahnhofsgebäude und der Geschichte der Strecken liegt, gibt dieses Buch auch einen nicht unwesentlichen Teil der deutschen Eisenbahngeschichte wieder. Auch wenn es vor allem für die polnischen Ausstellungsbesucher, Leser und Eisenbahnfreunde geschrieben ist, die das übernommene Erbe nutzen, pflegen und – wie die Ausstellung und das Buch in eindrucksvoller Weise zeigen – achten, so ist es für jeden an der Geschichte der Eisenbahn interessierten deutschen Leser ebenfalls ein außerordentlich wertvolles Werk.
Im Anschluß an die umfangreichen Text- und Bildberichte ermöglichen die deutschsprachigen Kurzfassungen zu:
- „Die Architektur der Breslauer Bahnhöfe“ (Janusz L. Dobesz)
- „Zur Entwicklung der Eisenbahntechnik unter besonderer Berücksichtigung der Linie Berlin – Breslau“ (Michal Jercynski)
- „Der Breslauer Eisenbahnknotenpunkt in der Entwicklung des schlesischen Bahnnetzes – geschichtlicher Abriß“ (Janusz Golaszewski)
- „Vergessener Bahnhof – Stadtbahnhof der ‘Rechte Oderufer Eisenbahn’ “ (Piotr Gerber, Waclaw Sobocinski)
- „Industrie- und Eisenbahnmuseum in Schlesien in Jaworzyna Slask (fr. Königszelt)“ (Piotr Gerber, Miron Urbaniak) einen aufschlußreichen Überblick und bieten zusammen mit den Quellenangaben, die sich aus den Fußnoten ergeben und die naturgemäß wieder überwiegend in deutsch geschrieben sind, ein umfangreiches Repertoire an Fakten.
Der reine Katalogteil des Buches enthält die Vorstellung von zwölf Bahnhofsanlagen in Breslau und seinem Umfeld. Von der hohen wissenschaftlichen Qualität des vorliegenden Buches zeugen weiterhin die Biogramme von Architekten, Baumeistern und Ingenieuren, die mit den Breslauer Eisenbahnen und Bahnhöfen verbunden waren. Luftaufnahme des Breslauer Hauptbahnhofes aus dem Jahr 2004.
Über 75 Persönlichkeiten, die nicht nur in Schlesien und Breslau tätig waren, sondern an vielen Bahnanlagen im früheren Deutschen Reich ihre Spuren hinterlassen haben, werden vorgestellt. Daran schließen sich polnische Übersetzungen von historischen Eisenbahnartikeln aus den Gründerjahren im 19. Jahrhundert an, die der deutschsprachige Leser sicher gern einmal als Reprint der historischen Originale lesen würde. Eine umfangreiche Auswahl-Bibliografie, das Quellenverzeichnis der 208 Illustrationen und ein Personenverzeichnis runden das interessante und gut aufgemachte Buch ab.
Fazit: Ein Blick über den „Gartenzaun“ ist dank des Falls der Grenzen in Europa einfacher denn je. Für den Interessenten von Eisenbahnbauwerken und -architektur ist daher ein Besuch in Polen unbedingt zu empfehlen. Besonders das Eisenbahnmuseum in Jaworzyna Slask (Königszelt)* für die Region Niederschlesien bietet den Geschichtsinteressierten gute Einblicke auch in die Anfangszeit der Eisenbahn in Deutschland, auch wenn logischerweise hier ebenso die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges und der folgenden 45 Jahre „sozialistischer Baukultur“ sowie der auf höchste Effizienz gerichteten Marktwirtschaft nicht zu übersehen sind.
- Anmerkung der Redaktion: Hier sind z. B. Loks der deutschen Baureihen 50, 52, 55, 56, 64, 74 und 91, aber auch andere preuß. Fahrzeuge zu sehen.
Bibliographische Ergänzung zum Ausstellungskatalog
Maria Zwierz „Wroclawskie dworce kolejowe“. Hrsg.: Muzeum Architektury we Wroclawiu (dt. Architekturmuseum Breslau), 2006, 302 Seiten, umfangreich illustriert, Format: 29,7 x 21 cm; ISBN: 83-89262-30-4, Preis: 55 Zloty (ca. 17,– Euro einschl. Porto), Best.-Adr.: Muzeum Architektury, ul. Bernardynska 5, 50-156 Wroclaw, POLEN, Fax: 0048/713/446577
30.03.2007