Eisenbahn-Geschichte
Auf Fotoexkursionen entlang der WJ-Linie in den 1970er Jahren
Ab Mitte der 1970er Jahre entwickelte sich die WJ-Linie immer mehr zu einem viel besuchten Ausflugsziel für Eisenbahnfreunde. Dies war nicht verwunderlich, denn diese sächsische Schmalspurbahn und die IV K-Lokomotiven gehörten untrennbar zusammen. Nach der Einstellung des Personenverkehrs zwischen Oschatz und Mügeln sowie zwischen Schönheide Süd und Rothenkirchen im Herbst 1975 gab es nur noch im Preßnitztal die Möglichkeit, diese Maschinen vor Personenzügen zu erleben.
Dies veranlasste mich und meinen damals ebenfalls in Meißen wohnenden Eisenbahnkumpel Achim Trobisch, in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre mehrere ausgedehnte Fotoexkursionen dorthin zu unternehmen. Die zeitaufwendige Anfahrt von Meißen ins Erzgebirge mit den Zügen der Reichsbahn bewog uns, diese Reisen gleich auf mehrere Tage auszudehnen. Unterkunft fanden wir in Jugendherbergen der Gegend, so in Jöhstadt (damals Jugendherberge „Bruno Kühn“, das spätere Schullandheim) oder in Arnsfeld (damals „Kurt Löser“, heute „Rauschenbachmühle“). Mitunter war es im Vorfeld schwierig, für den geplanten Zeitraum eine Übernachtung zu bekommen, oft waren viele Schulklassen unterwegs, aber letztendlich hat es immer funktioniert.
Neben der Anfahrt gab es aber auch ein Problem mit der Mobilität vor Ort: Als Schüler stand uns kein motorisiertes Fahrzeug zur Verfügung. Unser Anliegen war es aber, die Züge an möglichst vielen verschiedenen Stellen abzulichten. Natürlich konnte man auch mit der Schmalspurbahn mitfahren und dann den Zug auf jeder Station fotografieren. Das haben wir auch gemacht und das freundliche Lok- und Zugpersonal hat geduldig gewartet, bis wir mit Fotografieren fertig waren, auch wenn der Zug eigentlich schon abfahrbereit war. Aber auf die Dauer war uns die dabei erzielte Motivmenge doch zu gering und eintönig. Als Alternative blieb uns nur das Fahrrad – und das funktionierte sehr gut. Die langen Zugfahrzeiten (bergauf fast zwei Stunden für eine Strecke von 23 km) sowie die teilweise längeren Rangieraufenthalte in Niederschmiedeberg ermöglichten es auch mit dem Fahrrad, den Zug zu verfolgen und mehrfach unterwegs zu fotografieren.
Der Transport der Fahrräder zur Preßnitztalbahn war äußerst einfach: Einige Tage vor der Anreise gaben wir diese in Meißen Hbf als Expressgut auf und holten sie dann vor Ort im Bahnhof Jöhstadt ab, umgekehrt genauso. Dadurch besitze ich einen Anhänger für Expressgut mit Stempel vom Bahnhof Jöhstadt.
Exkursionen auch zu Nachbarstrecken
Das Wetter im oberen Erzgebirge zeigte sich mitunter sehr wechselhaft, besonders bei Exkursionen im Frühjahr und Herbst. Bei länger anhaltendem Regen haben wir dann die Fahrräder im Zug mitgenommen, die Fahrradkarte von Niederschmiedeberg nach Jöhstadt kostete ja nur 60 Pfennige. Aber nicht nur die WJ-Linie war ein Ziel unserer Fahrradexkursionen. In der Nähe gab es weitere interessante Eisenbahnlinien. So fuhren wir von Arnsfeld aus zum oberen Bahnhof in Königswalde. Dazu mussten wir von der Jugendherberge im Rauschenbachtal auf die Höhe nach Mildenau, dann ins Pöhlbachtal bei Königswalde hinab und anschließend zum oberen Bahnhof hinauf. Aber die Anstrengungen lohnten sich. Auf der Güterzugstrecke nach Annaberg-Buchholz ob Bf standen zu der Zeit noch ausschließlich Dampflokomotiven der Baureihe 86 im Einsatz.
Ungewöhnliche Bierbestellung in Jöhstadt
War die Fotoausbeute des Tages erfolgreich, so musste das dann abends beim Feierabendbier begossen werden. Das machten wir in der Jöhstädter Gaststätte „Zum Zuchtfreund“, die es heute noch gibt. Einmal unterbrachen wir aber unseren dortigen Kneipenbesuch. Wir wollten unbedingt noch Nachtaufnahmen vom letzten Zug des Tages der Preßnitztalbahn machen. Es entstanden viele schöne Bilder und nach ca. einer Stunde kehrten wir in die Gaststätte zurück. Der Wirt sah uns zwar verwundert und prüfend an, aber wir bekamen dann doch noch unser bestelltes Bier. Wir konnten unsere Gaststättenbesuche sowieso nicht zu lange ausdehnen, gab es doch für jeden Tag einen durchorganisierten Zeitplan. Allerdings waren die Jugendherbergen mitunter nicht auf unser zeitiges Aufbrechen eingestellt. Manchmal war die Haustür sehr zeitig morgens noch verschlossen und wir mussten das Haus kurzerhand über das Küchenfenster verlassen.
Nur einmal kam unser Zeitplan gründlich durcheinander: In der Arnsfelder Jugendherberge war neben uns auch noch eine Schulklasse untergebracht. Deren Lehrer und Begleiter fanden es abends, wenn für ihre Klasse die Nachtruhe angebrochen war, in der etwas abgelegenen Unterkunft ziemlich langweilig. So luden sie uns zum gemeinsamen Umtrunk ein. Die Tatsache, dass wir eigentlich nur ein wenig älter waren als die Schüler und Schülerinnen, über die sie Aufsicht zu führen hatten, hinderte sie nicht daran, uns immer wieder einzuschenken. Am nächsten Tag waren es uns nicht möglich, im Preßnitztal Aufnahmen vom Frühzug zu machen …
Das Ergebnis dieser Exkursionen in den 1970er Jahren sind ca. 400 Schwarzweißaufnahmen von der alten WJ-Linie und auch zahlreiche Farbdias, da ich meist mit zwei Kleinbildkameras fotografiert habe. Und neben vielen schönen Bildern bleibt die Erinnerung an erlebnisreiche Tage im oberen Erzgebirge, auch wenn damals am darauffolgenden Montag in Meißen stets der Gang zur Schule etwas schwerer fiel.
14.04.2023