Schmalspurbahnen in Europa
Schnellzugdampf und Schienenbusse: Schwedensommer bei der Anten-Gräfsnäs Järnväg
Weitgehend unbekannt sind hierzulande die schwedischen Schmalspurbahnen, obgleich das Königreich im Norden Europas einstmals ein regelrechtes Schmalspurparadies war. Doch bis heute haben einige Strecken als Museumsbahnen überlebt, wie etwa die hier vorgestellte „Anten-Gräfsnäs Järnväg“ (AGJ). Die AGJ liegt im Westen Schwedens und war einst Teil der rund 130 km langen „Västgötabanan“ (Västergötlandbahn) zwischen der Küstenstadt Göteborg und dem Landstädtchen Skara, von wo aus weitere Schmalspurstrecken die Region südlich des Sees Vänern erschlossen.
Nach Fertigstellung ihrer 891-mm-spurigen Stammlinie nahm die „Västergötland-Göteborgs järnvägsaktiebolag“ den Betrieb zwischen Göteborg und Skara zu Beginn des Jahres 1900 auf. Die gewählte Spurweite entspricht übrigens umgerechnet drei schwedischen Fuß. Im Jahr 1948 gingen Eigentum und Betriebsführung der Strecke auf die Schwedischen Staatsbahnen (SJ) über.
Wie vielerorts bedeutete auch in Schweden die Nachkriegszeit eine Epoche des Niedergangs der Nebenstrecken. Auf dem westlichen Abschnitt Göteborg – Sjövik (Länge ca. 38 km) stellten die SJ im Jahr 1967 den Personenverkehr ein und bald darauf wurden die Gleise abgebaut. Ein ähnliches Schicksal drohte in den Folgejahren auch der Reststrecke Sjövik – Skara. Doch Eisenbahnfreunde retteten den rund zwölf Kilometer langen Abschnitt zwischen dem Haltepunkt Brobacka (km 47,1) entlang des Sees Anten bis zum Schlosspark von Gräfsnäs (km 59,4). Seit 1970 verkehren hier die Museumszüge der AGJ. Auf dem weiter östlich gelegenen Streckenabschnitt von Vara (km 77,9 ab Göteborg) nach Nossebro (km 95,2) betrieben die SJ noch bis Ende 1986 Güterverkehr.
Die Museumsbahnstrecke
Durch die AGJ ist ein sehr sehenswerter Abschnitt der früheren Västgötabanan erhalten geblieben. Zwischen Brobacka und Anten liegt sogar ein knapp 200 m langer Tunnel. Hier wurden Ende der 1960er Jahre Szenen für den Kinderfilm „Pippi außer Rand und Band“ gedreht. Dass die Umgebung der Museumsbahn noch heute so manchem Schwedenklischee entspricht, beweisen nicht nur die zahlreichen roten Holzhäuser entlang der Strecke. Der etwa 1,3 km lange Abschnitt Brobacka – Anten darf seit einigen Jahren nicht mehr von Museumszügen befahren werden, da der Brobackatunnel saniert werden muss. Doch die Arbeiten hierzu laufen und möglicherweise findet noch 2023 die Wiederinbetriebnahme statt. Planmäßig befahren wird der elf Kilometer lange Abschnitt Anten – Gräfsnäs, der weitgehend am Westufer des Sees Anten verläuft. Die diesjährige Sommersaison der AGJ soll am 4. Juni beginnen und bis zum 27. August 2023 andauern. Alle Fahrtage und weitere Informationen findet man auf den Seiten www.agj.net im Internet.
Der Fahrzeugpark
Bei einem Besuch im Sommer 2022 zeigten sich Fahrzeuge und Anlagen der AGJ in einem sehr gepflegten Zustand. Es kam die Dampflok 24 zum Einsatz, eine 2’C-Schlepptenderlok. Diese 1911 von der schwedischen Lokfabrik NOHAB in Trollhättan für die Västgötabanan gebaute Maschine gehört zu den erhaltenen Originalfahrzeugen dieser Strecke. Mit ihrer Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h kann die Lok durchaus als Schnellzuglok bezeichnet werden. Bemerkenswert sind die sowohl in Anten als auch in Gräfsnäs vorhandenen Drehscheiben, auf denen die Dampflokomotiven vor jeder Rückfahrt gedreht werden können. Im regelmäßigen Museumsbetrieb kommen zudem die typisch schwedischen crème-orangenen Schienenbusgarnituren zum Einsatz, oft in der Kombination Motor- plus Steuerwagen.
Unter den Triebfahrzeugen der AGJ befinden sich neben weiteren Dampfloks und Schienenbussen einige Diesellokomotiven, so auch die Loks Tp 3500 und 3503. Bei ihnen handelt es sich um zwei Exemplare aus einer 20 Stück umfassenden Serie, welche die Maschinenbau Kiel AG (MaK) 1954 für schwedische 891-mm-Bahnen baute. Ihre Kieler Herkunft können die Maschinen aufgrund der Ähnlichkeiten mit der Bundesbahntype V 80 nicht verleugnen. Die Diesellokomotiven der AGJ gelangen allerdings selten auf die Strecke. Meist ist dies der Fall, wenn aufgrund von Waldbrandgefahr eine Dampflok vertreten werden muss. Eine Gelegenheit, eine Diesellok zwischen Anten und Gräfsnäs zu erleben, dürften die diesjährigen Museumsbahntage („Museibanans Dagar“) zum Saisonende am 26./27. August sein.
Tipp
Wer eine Reise nach Schweden plant, sollte einen Ausflug zur AGJ mit einem Besuch am östlichen Streckenende der einstigen Västgötabanan in Skara verbinden. Zwar ist von diesem früheren Schmalspurknotenbahnhof nur ein kleinerer Teil erhalten geblieben, doch noch heute gibt es in Skara eine Drehscheibe und einen Rundlokschuppen. Hier beginnt die „Skara-Lundsbrunns Järnväg“, eine weitere 891-mm-Schmalspurbahn mit Dampf- und Dieselbetrieb in den Sommermonaten – siehe https://sklj.se
14.04.2023