Regelspur- und Museums-Nachrichten
Eine Reise ins Tal der Iser
Das im Nordosten der Tschechischen Republik gelegene Isergebirge gilt als beliebtes Wander- und Erholungsgebiet. Schon frühzeitig kam der Wunsch auf, das Gebirge mit Eisenbahnen zu erschließen, um einen wirtschaftlichen Aufschwung einzuleiten. Am 29. August 1898 erteilten die damals dafür zuständigen Parlamente in Wien und Prag die Konzession für eine Eisenbahnverbindung nach Rochlitz an der Iser. Als Ausgangspunkt wählte man den an der Hauptlinie (Trautenau) – Parschnitz – Chlumetz (heute KBS 040 Trutnov – Chlumec n. C.) gelegenen Bahnhof Starkenbach-Martinitz. Dessen Doppelname ging auf den bedeutenderen Ort Starkenbach zurück, der vor dem Lokalbahnbau unbedingt als Bahnstation ausgewiesen sein wollte, obwohl er etwa drei Kilometer von Martinitz entfernt lag. Seinen „eigentlichen“ Bahnhof erhielt Starkenbach an der am 7. Dezember 1899 eröffneten Lokalbahn nach Rochlitz. Die Betriebsführung oblag im Auftrag der Lokalbahn Starkenbach–Rochlitz den k. k. Staatsbahnen (kkStB). Nach dem Ersten Weltkrieg erbrachten die ČSD diese Leistungen für die private Lokalbahn, deren nördliche Hälfte nach dem Anschluss des Sudetenlandes ab Oktober 1938 auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lag. Da es keine Verbindung zu einer Reichsbahn-Strecke gab, führten nach einer mehrwöchigen Unterbrechung die ČSD den Betrieb weiter. Nach Bildung des Protektorats Böhmen und Mähren übernahmen die Böhmisch-Mährischen Bahnen (BMB-ČMD) diese Aufgabe. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auch diese Lokalbahn enteignet und die Strecke vollständig ins Netz der ČSD integriert.
Die Tschechischen Bahnen (ČD) führen die Linie heute unter der Kursbuchnummer 042 Martinice v Krkonoších – Rokytnice nad Jizerou, im Reiseverkehr verkehren Triebwagen der Reihe 810. Das im Jahr 1899 für die Lokalbahn erweiterte Empfangsgebäude von Martinice (auf Deutsch ist für die Gemeinde neben Martinitz später auch Merzdorf bzw. Märzdorf üblich gewesen) versprüht noch heute den Charme der k & k-Zeit Österreich-Ungarns, daher wurde es im Jahr 2017 unter Denkmalschutz gestellt. Neben dem Gebäude wachsen Tomaten- und Paprikapflanzen des Bahnhofsvorstehers, was einen ländlichen Eindruck verschafft. Obwohl sich der Bahnhof (wie der Ort Martinice) im Vorland des Isergebirges befindet, liegt er auf einer Höhe von 485 m. Damit handelt es sich um den höchsten Punkt der Lokalbahn. Ein Ladegleis und mehrere Abstellgleise künden von dem einstmals sehr lebhaften Eisenbahnverkehr. Die Fahrt nach Rokytnice nad Jizerou, wie Rochlitz auf Tschechisch heißt, führt anfangs durch hügeliges Gelände vorbei an hübschen Häuschen und Gärten, die von der Heimatverbundenheit ihrer Bewohner Zeugnis ablegen. Nach sechs Minuten Fahrt und 3,62 km erreicht man den Bahnhof Jilemnice (Starkenbach). Im Gegensatz zur Stadt besitzt das dortige Empfangsgebäude ein eher schlichtes Aussehen. Im Frühsommer 2019 kündeten neben dem Ladegleis aufgestapelte Baumstämme vom noch stattfindenden Güterverkehr.
Nach weiteren sechs Minuten trifft der Triebwagen im km 6,04 im Bahnhof Hrabačov (Hrabatschow) ein. Von dort führt ein Anschlussgleis nach links zur Firma Devro, die Verpackungen für Fleisch- und Wurstwaren herstellt. Das bogenreich trassierte Gleis der Lokalbahn kreuzt im weiteren Streckenverlauf zahlreiche Wege und Straßen. Mangels moderner Sicherungstechnik muss der Triebwagenführer an diesen Stellen die Geschwindigkeit drosseln. Kurz nach dem ersten Überqueren der Iser erreicht der Triebwagen im km 9,17 den heutigen Haltepunkt Horní Sytová (Sittau-Haje). Dort befindet sich mit 390 m ü. NN der tiefste Punkt dieser Eisenbahnstrecke. Etwa einen Kilometer weiter nördlich befand sich zwischen Oktober 1938 und Mai 1945 die Grenze zum Deutschen Reich. Links und rechts der Strecke erheben sich häufig das Isergebirge prägende Mischwälder. Im km 11,18 befindet sich der Bahnhof Poniklá (Pschiwiak-Ponikla), der vergleichsweise weit von den einst namensgebenden Ortschaften entfernt liegt. Daher gibt es im km 13,8 inzwischen den Haltepunkt Poniklá. Wie schon in Horní Sytová muss sich dort der Triebwagenführer jeweils telefonisch über die Freigabe des nächsten Streckenabschnittes informieren. Dann geht die Fahrt weiter durch das inzwischen dicht bewaldete Isertal. Hat der Triebwagen einen als Linksbogen ausgeführten leichten Einschnitt passiert, überquert er auf einer Stahlfachwerkbrücke die Iser und anschließend auf einer Blechträgerbrücke die tschechische Staatsstraße 14. Nach zwei, drei Hundert Metern folgt der etwa 100 m lange und zugleich einzige Tunnel der Linie. Für die in diesem Bereich des Isertales befindliche Ortschaft Hradsko entstand im km 15,8 eine Bahnstation, die heute den Namen Jablonec nad Jizerou-Hradsko trägt. Wenige Hundert Meter dahinter überbrückt die Eisenbahn erneut die Staatsstraße und die Iser. Immer weiter geht es durch herrliche im Sommer Schatten spendende Laubwälder, bis die Trasse am Ortseingang von Jablonec nad Jizerou (Jablonetz [Iser]) nochmals den Fluss überquert und anschließend die Staatsstraße 14 niveaugleich kreuzt. Im km 18,51 erreicht der Triebwagen den Bahnhof der Stadt. Neben dem Bahnsteiggleis liegen zwei Gleise für den Güterverkehr. Hier endet die Fahrt werktags – nur an Wochenenden verkehrt ein Zugpaar die letzten knapp zwei Kilometer nach Rokytnice. In diesem Abschnitt kreuzt die Eisenbahn neben der Staatsstraße 14 auch mehrere andere Straßen sowie Wege. Der Endbahnhof Rokytnice nad Jizerou im km 20,19 auf 455 m Seehöhe bot im Frühsommer 2019 einen etwas trostlosen Anblick. Da er kilometerweit vom höher gelegenen Stadtzentrum entfernt liegt, wird er den heutigen Ansprüchen an eine Reiseverkehrsstation nicht mehr gerecht. Eine Laderampe sowie mehrere Gleise und ein großer Holzverladeplatz künden von einem einst regen Güterverkehr. Aktuell wird fast nur noch Holz verladen. Doch die etwa 45-minütige Fahrt auf dieser reizvollen Nebenstrecke ist bis heute ein Genuss. Eine Mitfahrt stellt zu jeder Jahreszeit ein großartiges Vergnügen dar. Die Triebwagen pendeln jeweils 6.59 Uhr, 8.58 Uhr, 11.04 Uhr, 12.58 Uhr, 15.04 Uhr, 16.58 Uhr und 19.07 Uhr ab Martinice nach Jablonec nad Jizerou, von wo sie jeweis eine Viertelstunde nach 8, 10, 12, 14, 16, 18 und 20 Uhr zurückfahren. Werktags ergänzt ein morgendliches Zugpaar 5.04 Uhr ab Martinice das Angebot. An Wochenenden fährt der Zug 8.58 Uhr ab Martinice als einziger bis Rokytnice (Ankunft 9.49 Uhr), von wo er 10.08 Uhr zurückfährt.
Fahrzeugeinsatz
Nach Eröffnung der Lokalbahn erbrachten die kkStB alle Zugleistungen zunächst mit drei Tenderlokomotiven der späteren Reihe 162. Diese dreiachsigen Nassdampfmaschinen hatte die Wiener Lokomotivfabrik Floridsdorf im Jahr 1899 mit den Fabriknummern 1300 bis 1302 gebaut. Die ČSD zeichneten die 162.21 bis 162.23 in den 1920er Jahren in 313.420 bis 313.422 um. Obwohl die Hälfte der Lokalbahn zwischen 1938 und 1945 im Deutschen Reich lag, gingen diese Lokomotiven nicht ins Eigentum der Deutschen Reichsbahn über, sondern wurden ab 1938 von den BMB eingesetzt. Zwischen 1949 und 1956 schieden die drei Dampflokomotiven aus dem ČSD-Bestand aus. Mit der 313.432 (Böhmisch-Mährische Maschinenfabrik Prag [BMMF] 1904/128) blieb eine ähnliche Lokomotive der ČSD-Reihe 313.4 erhalten. Sie wurde bis zum Jahr 2009 in Ostrava (Mährisch Ostrau) betriebsfähig unterhalten, seitdem ist sie im ČD-Museum in Lužná abgestellt. Nach Übernahme der Betriebsführung durch die ČSD kamen in den 1930er Jahren im Reiseverkehr auch Triebwagen zum Einsatz, darunter solche der Reihen M130.1-3. Ab den 1950er Jahren stellten Dampf- und Diesellokomotiven verschiedener Reihen den Verkehr sicher. Heute kommen im Reiseverkehr ausschließlich zweiachsige Triebwagen der ČD-Reihe 810 zum Einsatz.
Zukunfts- und Erweiterungspläne
In den Jahren vor und nach Eröffnung der regelspurigen Eisenbahn strebten die Gemeinden als Gesellschafter der Lokalbahn eine Verlängerung ihrer Strecke nach Grünthal an. Dort sollte sie in die grenzüberschreitende Linie von Tannwald über Grünthal-Polaun nach Hirschberg in Schlesien eingebunden werden. Doch die Kosten zur Überwindung des Höhenunterschiedes bis nach Grünthal ließen dieses Projekt scheitern. Vor mehreren Jahren waren die grundlegende Sanierung der Strecke und eine Verlängerung zum wenige Kilometer nordwestlich gelegenen Wintersportort Harrachov (Harrachsdorf) im Gespräch. Dort sollte die Neubaustrecke in einem unterirdischen Bahnhof enden. Die Baukosten für die Verlängerung hätten EU-Gelder decken müssen. Das Projekt liegt derzeit auf Eis. Um die Strecke von Martinice v Krkonoších nach Rokytnice nad Jizerou attraktiver und bekannter zu machen, veranstaltet der Klub der Freunde der tschechischen Eisenbahn gelegentlich Sonderfahrten mit der dreiachsigen Dampflok 310.0134 (BMMF 1913/482) oder historischen Triebwagen aus Turnov (Turnau). Während den Fahrten gibt eine Marionettentheatergruppe verschiedene Vorstellungen. Details zu den Fahrten gibt es im Internet unter http://3100134.cz.
04.08.2019