Fahrzeuge im Porträt
Dampflokomotive 99 3301 – „Graf Arnim“
Älteste in Deutschland erhaltene 600-mm-Dampflokomotive in Aufarbeitung
Am 23. April 2019 verabschiedete die Parkeisenbahn Cottbus ihre Dampflok 99 3301 zur betriebsfähigen Aufarbeitung in die Tschechische Republik. In der ostböhmischen Stadt Žamberk (Senftenberg) begann Ende Mai die Demontage der im Jahr 1895 in München für die Waldeisenbahn Muskau (WEM) gebauten Lokomotive. Ziel ist ihre Wiederinbetriebnahme bis zum Jahr 2021. Hier ein Rückblick auf die Geschichte des C-Kupplers: Im Jahr 1883 kaufte Traugott Hermann Graf von Arnim-Muskau (1839 – 1919) die ehemals Fürst Hermann von Pückler gehörende Standesherrschaft Muskau. Danach begann er, die Nutzung der damals in der preußischen Provinz Schlesien liegenden Wälder und Bodenschätze (Ton, Braunkohle) zu industrialisieren. Dafür war in den ausgedehnten Ländereien ein geeignetes Transportmittel nötig. Da ein neues Gesetz den Bau und Betrieb von Kleinbahnen in Preußen ab 1892 vereinfachte, fiel die Wahl auf eine derartige Eisenbahn des nichtallgemeinen Verkehrs mit einer Spurweite von 600 mm. Im Unterschied zu den schmalspurigen Sekundärbahnen, wie sie im benachbarten Sachsen betrieben wurden, konnte auf einer Station der Gräflich Arnim’schen Kleinbahn – auch Waldeisenbahn Muskau (WEM) genannt – keine Fracht auf einen beliebigen Tarifbahnhof des allgemeinen Verkehrs abgefertigt werden. Stattdessen diente die WEM im Schwerpunkt dem Binnengüterverkehr.
Auf einer spätestens Anfang 1895 fertiggestellten ersten Strecke, von einer Braunkohlengrube bei Krauschwitz zu einer Verladebühne für Pferdefuhrwerke am Ortseingang von Muskau, zogen anfangs Pferde die Wagen. Dieser Verkehr erfüllte nicht die Erwartungen. Daraufhin bestellte das Gräflich Arnim’sche Forstamt noch 1895 eine erste Dampflokomotive für die projektierte Strecke von der Papierfabrik Muskau zum Bahnhof Muskau an der Regelspurlinie Weißwasser – Muskau. Den Auftrag zum Bau der Maschine erhielt die „Locomotivfabrik Krauss & Comp.“ in München. Deren Firmengründer Georg Krauß hatte im Jahr 1866 ein Patent für besonders leichte und wartungsarme Lokomotiven mit Rahmenwasserkasten angemeldet.
Die erste Lok der Waldeisenbahn Muskau
Für den Besteller aus Muskau fertigte das Krauss-Zweigwerk in der Münchner Lindwurmstraße noch im Jahr 1895 die Lok mit der Fabriknummer 3311. Es handelte sich um eine dreifach gekuppelte Nassdampftenderlok des Krauss-Typs XXVII ww, wobei Krauss stets von der Musterzeichnung abweichende Kundenwünsche berücksichtigte, wie dies auch hier der Fall war. So erhielt die Lok in der Führerhausrückwand rechteckige (anstatt runde) Fenster, einen Kobelschornstein mit einem Funkenfänger der Bauart Rose zur Verhinderung von Waldbränden, einen für Braunkohlefeuerung geeigneten Kessel, ein Latowski-Dampfläutewerk, Laternenhalter an der Rauchkammer und der Führerhausrückwand sowie dazu passende Petroleumlaternen. Die technische Abnahme der Lokomotive fand nach aktuellem Forschungsstand nicht 1896, sondern am 6. Dezember 1895 in Muskau statt. Benannt wurde die erste Lokomotive der WEM nach ihrem Eigentümer – Graf Arnim, der persönlich die Kesselzeichnung signierte. Im Jahr 1896 lieferte die Firma Krauss & Comp. eine zweite, gleichartige Tenderlok (Fabriknummer 3489) nach Muskau, die ab Mitte der 1920er Jahre als Ersatzteilspender diente und um 1930 verschrottet wurde. Einzelne Teile dieser Maschine befinden sich heute im Lagerbestand der Parkeisenbahn Cottbus.
In den 1920er Jahren erwarb die Waldeisenbahn mehrere einst für die Heeresfeldbahnen gebaute vierachsige Brigadelokomotiven. Ein solcher D-Kuppler, der etwa 1947 zum Braunkohlenwerk „Frieden“ nach Weißwasser und 1954 zur Deutschen Reichsbahn für den Einsatz auf der WEM gekommen war, befindet sich heute als „99 0001“ (LHW Breslau 1918/1739, ex HF 2257) ebenfalls im Bestand der Parkeisenbahn Cottbus. Die leistungsfähigeren vierachsigen Maschinen verdrängten die Lok „Graf Arnim“ in untergeordnete Dienste. Zur Vergrößerung ihrer Einsatzreichweite kuppelte man die dreiachsige Lokomotive um 1933 mit dem Schlepptender eines 1912 von O & K für den Rangier- und Bauzugdienst beschafften B-Kupplers. Als Schlepptenderlokomotive befuhr die „Graf Arnim“ meist die von Weißwasser nach Südwesten führende Strecke Sägewerk Weißwasser – Ruhlmühle/Papierfabrik Tzschelln, die ab der 1933 erfolgten Stilllegung des mitten durch den Ort Weißwasser führenden Gleises vom übrigen Netz abgetrennt war. Aber auch als „Fahrschullokomotive“ für angehende Lokführer stand die Krauss 3311 später auf dem Hauptnetz der WEM im Einsatz. Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel diese Lokomotive nicht unter die Reparationsleistungen an die Sowjetunion.
Im Jahr 1951 übernahm die DR die Betriebsführung der WEM und gliederte die Lokomotiven in ihr Schema ein. Die Krauss-Lok erhielt dabei die Betriebsnummer 99 3301. Diese Nummer besagt, dass es sich um die älteste von einer Klein- oder Privatbahn übernommene Dampflok mit 600 mm Spurweite und 3 t Achslast im Reichsbahnbestand handelte. Als 99 3301 stand die Maschine erneut auf der Tzschellner Inselstrecke im Dienst.
Die Ausbesserung der Lokomotiven der Waldeisenbahn Muskau erfolgte auch während der Reichsbahnzeit in den eigenen Werkstätten des 1921 erbauten Waldbahnhofs Krauschwitz, der ab 1951 offiziell als Bahnbetriebswerk der DR galt. Die dortigen Eisenbahner führten an der 99 3301 im Jahr 1963 die zunächst letzten größeren Reparaturen sowie einen Umbau an Dampfdom und Regler aus. Nach der Einstellung der Tzschellner Inselstrecke im Jahr 1966 wurde die Lok im Lokschuppen des Bahnhofes Tiergarten Ost in Weißwasser abgestellt.
Neues Einsatzgebiet: Die Pionier- bzw. Parkeisenbahn Cottbus
Ende der 1960er Jahre suchte die Stadt Cottbus für die 1954 eröffnete Pioniereisenbahn Cottbus nach einer weiteren Lokomotive. Dabei wurde sie 1969 auf die in Weißwasser abgestellte 99 3301 aufmerksam. Nach einer Besichtigung übernahm die Stadt Cottbus diese Schlepptenderlokomotive von der Deutschen Reichsbahn, was die Krauss-Maschine vor der Verschrottung rettete. Es folgte ihre Aufarbeitung im Raw Stendal mit einigen Anpassungsarbeiten. Ab 1970 kam die Maschine zusammen mit zwei Dieselloks und der bereits erwähnten Heeresfeldbahndampflok bei der Pioniereisenbahn Cottbus zum Einsatz. Trotz der sozialistischen Ausrichtung der Pioniereisenbahn war die Lok aus der Kaiserzeit bei den Mädchen und Jungen überaus beliebt. Es fanden für Eisenbahnfreunde sogar Gasteinsätze auf den Strecken der Waldeisenbahn Muskau statt, z. B. 1977 kurz vor der dortigen Betriebseinstellung durch die Deutsche Reichsbahn. Um die damals schon sehr alte Lokomotive trotz fehlender Originalersatzteile betriebsfähig zu halten, nahm das Raw Görlitz im Rahmen der regelmäßigen Hauptuntersuchungen eine Reihe an Umbauten vor, die das Erscheinungsbild und die Bedienung der Maschine beeinflussten. Im Jahr 1987 musste die Lokomotive wegen größerer Kesselschäden schließlich abgestellt werden.
Die 1995 in Cottbus veranstaltete Bundesgartenschau brachte die erforderlichen Mittel, um die mittlerweile 100-jährige Maschine zu reparieren und wieder in Betrieb zu nehmen. In diesem Jubiläumsjahr stand die Lok nahezu täglich unter Dampf und erbrachte Höchstleistungen. Im Jahr 2008 kam erneut das Aus wegen zu großem Verschleiß und einem gerissenen Stehbolzen an der noch originalen Kupferfeuerbüchse. Seitdem sammelt der Verein zur Förderung der Cottbuser Parkeisenbahn e. V. Spenden für die fachgerechte Restaurierung mit dem Ziel der Betriebsfähigkeit der einzigartigen Lok „Graf Arnim“.
Aufarbeitung in Tschechischer Republik
In den vergangenen Monaten signalisierten immer mehr Freunde der Parkeisenbahn Cottbus ihre Bereitschaft zur finanziellen Unterstützung einer betriebsfähigen Aufarbeitung der Dampflok 99 3301. Immerhin handelte es sich bei dieser Maschine bis 1990 um die älteste erhaltene 600-mm-Lokomotive in der DDR. Im vereinigten Deutschland gibt es zwar noch zwei ältere Motorlokomotiven mit dieser Spurweite, aber keine erhaltene 600-mm-Dampflok ist älter als die ehemals Muskauer Waldbahnmaschine. Lediglich im Ausland gibt es noch ältere 600-mm-Dampflokomotiven.
Die denkmalgeschützte 99 3301 besitzt daher seit November 2018 den Status eines Kulturguts von nationaler Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland, womit eine Förderung durch das Denkmalschutz-Sonderprogramm VII möglich wurde. Dank der gesicherten Finanzierung prüfte der Verein zur Förderung der Cottbuser Parkeisenbahn e. V. die Möglichkeiten einer fach- und denkmalgerechten Aufarbeitung. Einig wurden sich die Parkeisenbahner mit der „1. Koliner Lokomotivgesellschaft“ in der Tschechischen Republik. Diese unterhält in der ostböhmischen Stadt Žamberk eine Fachwerkstatt, in der in den vergangenen Jahren bzw. Monaten bereits auch mehrere Lokomotiven der Waldeisenbahn Muskau (99 3315, 99 3312 und zuletzt auch 99 3317) zur Zufriedenheit des Auftraggebers – und der deutschen Bahnaufsicht – betriebsfähig aufgearbeitet worden sind.
Am 23. April 2019 machte sich die auf einen Straßentieflader verladene 99 3301 auf den Weg nach Žamberk. Dort hat Ende Mai die Demontage der Maschine begonnen. Das Ziel ist ihre Wiederinbetriebnahme in der Fahrsaison 2021. Gefördert wird die Aufarbeitung mit 50 000 Euro von der Stadt Cottbus, mit 120 000 Euro vom Bund sowie mit 60 000 Euro vom Land Brandenburg. Der Verein zur Förderung der Cottbuser Parkeisenbahn e. V. steuert 80 000 Euro zweckgebundener Spenden zur mit 310 000 Euro veranschlagten Gesamtsumme bei. Der Förderverein würde sich jedoch auch nach Beginn der Aufarbeitung über finanzielle Unterstützung zugunsten der 99 3301 freuen. Die im Rahmen einer Spendenaktion herausgegebenen sogenannten AGktien mit gestaffelten Beträgen von 10 bis 100 Euro sind unter anderem an den Bahnhöfen der Cottbuser Parkeisenbahn erhältlich. Weitere Informationen sind auf der Webseite www.parkeisenbahn-verein.de zu finden.
10.06.2019