Bücher-Markt
Rezensiert: Ostpreußen und seine Verkehrswege | Teil 1 bis 1945, Teil 2 ab 1945
Gerhard Greß, Jörg Petzold
Ostpreußen und seine Verkehrswege
Teil 1 bis 1945, Teil 2 ab 1945
372 bzw. 216 Seiten (Teil 2) jeweils im Format 22,3 x 29,7 cm, in Leinen gebunden, mit ca. 800 (Teil 1) bzw. 350 Farb- und Schwarzweißaufnahmen, Faksimile, Karten sowie Grafiken VGB Verlagsgruppe Bahn, Fürstenfeldbruck/Klartext Verlagsgesellschaft, Essen 2018 (Teil 1) bzw. 2019 (Teil 2)
- ISBN Teil 1: 978-3-8375-2063-7
- ISBN Teil 2: 978-3-8375-2075-0 Preise:
- Teil 1: 59,95 Euro
- Teil 2: 49,95 Euro
Voll Hochachtung schaut der Rezensent über die Oder-Neiße-Grenze: Dort haben Polen und Litauer auch die seit 1945 zu diesen Ländern zählenden Teile des ehemaligen Ostpreußens in den vergangenen Jahren mit großem Fleiß und viel Liebe herausgeputzt. Galt die einst östlichste deutsche Provinz lange Zeit nur bei den letzten lebenden Vertriebenen als Sehnsuchtsort, so sind inzwischen auch die Nachkriegsgenerationen von der Region begeistert und können sogar dem russischen Oblast Kaliningrad etwas abgewinnen. Doch Literatur über die Eisenbahnen in Ostpreußen gab es bisher kaum. Das hat sich im Dezember 2018 bzw. Juni 2019 maßgeblich geändert: Die VGB brachte zwei in Summe 592 Seiten (!) umfassende Prachtbände über die Verkehrswege in der Region mit dem Schwerpunkt auf der Eisenbahn heraus. Wer die Verkehrswege-Reihe der VGB/Klartext Verlagsgesellschaft kennt, der erwartete zwei opulent illustrierte Bildbände mit längeren Einführungstexten. Der Band 1 bietet jedoch weitaus mehr! Er enthält die vom in Dresden lebenden Kleinbahnexperten Jörg Petzold (Jahrgang 1966) in mehr als 30 Jahren zusammengetragenen Forschungen zur Geschichte der schmal- und regelspurigen Kleinbahnen in Ostpreußen. Noch niemals zuvor gab es in einer Publikation so tiefgründig recherchierte und umfangreiche Darstellungen über dieses Thema. In seinen Texten und Tabellen, aber auch mit einer überraschend großen Anzahl an Aufnahmen setzt Petzold Eisenbahnen wie der Haffuferbahn, der Wehlau-Friedländer Kreisbahn oder der Pillkaller Kleinbahn ein Denkmal. Allein knapp 30 Seiten umfassen die Beschreibungen der zur Insterburger Kleinbahn gehörenden Strecken. Der Kleinbahnteil nimmt mit 148 Seiten knapp die Hälfte des Bandes 1 ein. Die übrigen Seiten stimmen geschichtlich würdevoll auf das Thema Ostpreußen ein, listen alle zwischen 1852 und 1911 in dieser Provinz errichteten Eisenbahnstrecken auf, widmen sich den Herstellern von Lokomotiven und Wagen in Elbing und Königsberg, gehen auf den Reichsautobahnbau mit vielen Feldbahnfotos ein, wie auch die Straßenbahnen sowie der Bus- und Schiffsverkehr nicht vergessen sind. Der Untertitel des Bandes 2 suggeriert ein Buch ausschließlich zur Nachkriegsentwicklung, enthält aber eine beachtliche Menge an vor 1945 bzw. vor Kriegsende entstandenen Aufnahmen – vor allem für Gegenüberstellungen im Stil von „einst & jetzt“. Auch der 14-seitige Kleinbahnteil von Jörg Petzold ist wieder ein Genuss. Die Stärke des Bandes 2 sind die brillanten Aufnahmen aus allen Teilen Ostpreußens im gewohnt angenehmen Layout. Auch wenn beim Band 2 der Bildbandcharakter ausgeprägter ist, gehört er zum Abrunden des Themas unbedingt dazu. Enttäuscht werden von beiden Bänden lediglich Eisenbahnfreunde sein, die auf eine detaillierte Darstellung aller Hauptbahnen und Bahnbetriebswerke samt Fahrzeugpark gehofft hatten. Die Tiefe des Kleinbahnteils erreichen die Ausführungen zu den Haupt- und Nebenbahnen nicht.
Fazit: Jeder Eisenbahnfreund mit einem Grundinteresse an Ostpreußen sollte sich jetzt unbedingt beide Bände zulegen – etwas Besseres hat es zu diesem Thema noch nie gegeben – und wird es wohl auch nie geben. Eine hervorragende Bildbearbeitung macht das Stöbern in den Büchern zum Genuss, die mit viel Fingerspitzengefühl von Gerhard Greß verfassten Beschreibungen der Region und geschichtlichen Entwicklung sind Balsam auf das verwundete Land. Für Kleinbahnfreunde handelt es sich um ein absolutes Muss!André Marks Nachtrag: Kurz vor der Drucklegung von Band 2 verstarb der Mitautor Gerhard Greß. Mit seinen Erfahrungen als Buchautor und mit seiner Liebe zu Ostpreußen war der in Freiburg (Breisgau) geborene Greß die Triebfeder für beide Bände. Sein angenehmer Stil und seine Menschlichkeit werden in beiden Büchern weiterleben. Posthum dafür meine Hochachtung – ich bereue es sehr, ihm das zu Lebzeiten nicht mehr persönlich gesagt zu haben.
10.06.2019