Schmalspurbahnen in Europa
Die Wassertalbahn (Teil 1)
Klack-klack, klack-klack….. Das Rattern leerer Holzschemel unterbricht die morgendliche Stille des Wassertales im Norden Rumäniens. Ein Produktionszug macht sich wie jeden Morgen auf den Weg in die Berge, um am Nachmittag die Schätze des Wassertales nach unten zu befördern – Holz aus den schier unendlichen Wäldern der Karpaten. Alles ist wie früher - nur das Brummen der Diesellok vom Typ L45H erinnert daran, daß wir in Viseu des Sus im Jahr 2010 sind. Täglich außer sonntags bringt die Wassertalbahn Waldarbeiter in die Berge und Holz ins Tal. Im Mai 2010 unternahm eine Reisegruppe des Vereins Sächsischer Eisenbahnfreunde e.V. unter Leitung von Thomas Krauß eine Reise zur letzten in Betrieb befindlichen Waldeisenbahn Rumäniens. Armin-Peter Heinze unternahm wenig später eine mit einem „Kulturevent“ in den Wäldern angereicherte Fahrt - Anlaß genug, uns dieser 760-mm-Schmalspurbahn in Europa im PK etwas intensiver zu widmen.
Waldbahnen in den Karpaten
Die ersten Waldeisenbahnen entstanden in den Karpaten ab etwa 1890, um die Reichtümer der nahezu endlosen Wälder bergen zu können. Die Waldeisenbahnen wurden entweder privat betrieben oder unterstanden der autonomen Verwaltung der Staatsforste. 1928 gab es auf dem Gebiet des nach dem ersten Weltkrieg auf Kosten Ungarns vergrößerten Rumäniens 4350 km Waldeisenbahnen, mehr als die Hälfte davon in der Spurweite von 760 mm. Zum Einsatz kamen einfachste Betriebsmittel, drei oder vierachsige Lokomotiven, letztere meist mit Klien-Lindner-Hohlachsen, die dem Oberbau so manchen Fehler nicht übel nahmen. Einige Waldeisenbahnen verfügten sogar über Personenwagen und Triebwagen und führten öffentlichen Personenverkehr durch. 1948 wurden alle Forst- und Waldbahnbetriebe verstaatlicht. Die Waldbahnen wurden unter der Bezeichnung „Caile Ferate Forestiere“ dem Ministerium für Holz-, Papier- und Zelluloseindustrie unterstellt.
Durch weitere Streckenneubauten wuchs die Gesamtlänge der Bahnen auf etwa 6000 Kilometer im Jahre 1960. Basierend auf einer Konstruktion der Budapester Lokomotivfabrik MAVAG aus den 1920er Jahren wurden von 1951 bis 1958 120 Waldbahnlokomotiven in der rumänischen Lokfabrik Resita neu gebaut. Die Loks wurden dabei konstruktiv verbessert und die Leistung von 120 PS auf 150 PS angehoben. Schwere Überschwemmungen Ende der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre führten zu vielen Streckenstillegungen. Der aufkommende kostengünstigere Lkw-Transport ließ ebenfalls so manche Bahn sterben. Erst der Ölpreisschock Anfang der 1970er Jahre konnte den Niedergang aufhalten. Rumänisches Erdöl war zum begehrten Exportgut geworden, die Dampflokomotive brachte nun wieder volkswirtschaftliche Vorteile. Um den auf Verschleiß gefahrenen Fahrzeugbestand zu erneuern, kam es von 1982 bis 1988 zum Neubau (!) von 12 Dampflokomotiven des Typs „Resita“ durch das Traktorenwerk in Reghin.
Noch 1989 waren über 1000 Kilometer Waldbahnen in Rumänien im Betrieb. Die wirtschaftlichen Veränderungen nach der politischen Wende in Rumänien Ende 1989 gingen aber auch an den Waldeisenbahnen nicht spurlos vorbei. Wiederum nach Hochwasserschäden wurden zahlreiche Bahnen im Nordosten des Landes im Jahr 1991 eingestellt. Den Kräften der Marktwirtschaft waren die wenigsten der personalintensiven Bahnen gewachsen. Wo Holz geschlagen wurde, übernahm der Lkw fortan den Transport. Nur noch eine Bahn erfüllt ihren originären Zweck, Holz zu transportieren – die Wassertalbahn von Viseu de Sus. Auf zwei anderen Bahnen, in Moldovita und Covasna, hat man inzwischen die Bedeutung für den Fremdenverkehr erkannt und bemüht sich um eine touristische Nutzung.
Die Geschichte der Wassertalbahn
Die Wassertalbahn gehört zu den jüngeren Waldeisenbahnen. Das Gebiet der Maramures im Nordwesten Rumäniens war erst im Ergebnis des ersten Weltkrieges (Vertrag von Trianon) von Ungarn an Rumänien übergegangen. Schon seit Anfang des 18. Jahrhunderts erschlossen deutschsprachige Siedler, die zum Teil auch heute noch hier ansässigen Zipser, die Urwälder und flößten das Holz zu Tal. Erst 1932 begann man mit dem Bahnbau von Viseu de Sus (Oberwieschau) ausgehend nach Nordosten zur ukrainischen Grenze. Auf über 60 Kilometer erstreckte sich das Netz mit einer Hauptstrecke bis hinauf nach Coman am Gebirgskamm und einer abzweigenden Strecke ins Novat-Tal. Bis zu fünf Züge waren täglich unterwegs, um Waldarbeiter und leere Holzschemel in die Berge zu bringen und die beladenen Holzwagen talwärts zum Sägewerk in Viseu zu befördern. Hinzu kamen noch zahlreiche Draisinen, meist umgebaute Kleintransporter oder Lkw mit vorlaufendem Drehgestell und angetriebener Hinterachse sowie „Wagoneten“, die mit dem Zug in die Berge gefahren wurden und den Weg ins Tal mittels Schwerkraft zurücklegten. Gefahren wurde dabei im Zugmeldebetrieb mit besetzten Bahnhöfen und Zugmeldung! Montags verkehrten reine Personenzüge, mit denen die Waldarbeiter in die Berge fuhren, wo sie in „Cabanas“ genannten sehr einfachen Holzhütten übernachteten. Erst am Sonnabend kehrten sie mit der Bahn zu ihren Familien zurück.
Daß die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen im Land nach 1989 für die Wassertalbahn nicht das Aus bedeuteten, ist unter anderem dem Finanzmangel der staatlichen Forstwirtschaftsbetriebe, die kein Geld hatten, um Forststraßen in die Wälder zu errichten, zu verdanken. In Viseu de Sus wurde parallel zum bestehenden Sägewerk durch die Firma RG Holz ein großes Holzverarbeitungswerk errichtet. Ab 2000 richtete die Firma mit eigenen Fahrzeugen einen Verkehr auf der Wassertalbahn ein, um das Holz der ersteigerten Einschlaggebiete aus dem Wald zu holen. Parallel fuhr auch noch die staatliche „Viseuforest“ mit einem mehr und mehr abgewirtschafteten Fahrzeugpark.
Der Schweizer Verein „Hilfe für die Wassertalbahn“ unterstützt seit 2000 die Bemühungen zum Erhalt der letzten rumänischen Waldeisenbahn. Das Jahr 2001 hätte das endgültige Ende der Bahn bringen können. Am 18. März 2001 zerstörte ein Hochwasser große Teile der Bahn. Während die staatliche „Viseuforest“ keinerlei Aktivitäten zur Wiederherstellung der Strecke erkennen ließ, handelte die Fa. RG Holz und ließ zunächst auf eigene Rechnung die noch im Staatsbesitz befindliche Strecke instand setzen. Bereits ab 25. Mai 2001 war das gesamte Streckennetz wieder voll befahrbar, das Holzwerk in Viseu mit seinen 800 Arbeitern war dringend auf die Holzlieferungen angewiesen. Am 6. Juli 2001 wurde der RG Holz daraufhin die Streckenunterhaltung anstelle der Viseuforest übertragen. Während RG Holz weiter in den Fahrzeugpark investierte - im Juli 2001 konnte die frisch überholte Dampflok 764.408R in Betrieb genommen werden - ging es bei Viseuforest weiter bergab. Leider wurde durch letztere 2001 mit dem Abriß nicht mehr benötigter oder zerfallener Bahnhofsgebäude begonnen. Im Oktober 2003 wurde die insolvente Viseuforest schließlich von der RG Holz übernommen, womit auf der Bahn endlich klare Eigentumsverhältnisse herrschten. Neben der täglichen Arbeit des Holzverkehrs begannen ab 2004 erste touristische Fahrten mit dampfgeführten Zügen auf der Bahn, die bis nach Faina verkehrten. Ein touristisches Umfeld entwickelte sich parallel in Viseu de Sus, in vielen Privathäusern entstanden Pensionen.
Fast wäre es im Juli 2008 nun doch noch um die Bahn geschehen gewesen. Am 26. Juli kam es im oberen Wassertal an der ukrainischen Grenze zu Gewittern mit sintflutartigen Regenfällen. Eine Flutwelle schoß zu Tal und riß unzählige Baumstämme mit sich, die für immense Schäden an der Bahn sorgten. Eine Schlammlawine versperrte dem auf der Strecke befindlichen Touristenzug die Weiterfahrt ins Tal. Die im Zug befindlichen Fahrgäste wurden zunächst in rettende Unterkünfte bei der Ladestelle Bardau evakuiert, anschließend sorgten geführte Abstiege bzw. Hubschraubereinsatz für Ihre Rettung.
Doch noch einige Wochen nach der Katastrophe herrschte Lethargie im Wassertal. Zwar hatte man im oberen Streckenteil einen Rumpfbetrieb mit einer Diesellok aufgenommen und konnte das Holz mittels Lkw über eine schlecht befahrbare Forststraße und einen Paß abtransportieren, doch zum Wiederaufbau wollte sich niemand entschließen. Die RG Holz Company, der größte Nutznießer der Bahn, wollte nicht mehr, weil die Erfahrungen von 2001 noch zu frisch waren, als man auf eigene Kosten die Strecke wieder aufgebaut hatte. Und der rumänische Staat, dem die Bahn letztendlich immer noch gehört, wollte auch nicht, weil ihm diese Bahn höchstwahrscheinlich völlig egal geworden ist. Aber irgend etwas mußte passieren - und so sammelte der Schweizer Verein all sein Geld und viel Mut zusammen, um einen kleinen Gleisbautrupp um den österreichischen Eisenbahnaktivisten Georg Hocevar (CFI Brad) zusammenzustellen. Wenn auch das technische Gerät und die personelle Stärke der Gruppe nur eine Winzigkeit gegenüber den entstandenen Schäden darstellte, war dieser Anfang doch Grund genug, den Stolz der Rumänen herauszufordern. Sollten Ausländer etwa ihre Bahn wieder aufbauen? Wie von selbst tauchten plötzlich an vielen Stellen der Bahn Bautrupps der RG Holz Company auf und nun packten auch alle Waldbahnmitarbeiter mit an. Das Ergebnis: Am 23. November 2008 wurde der Holztransport wieder aufgenommen, ab 12. Dezember 2008 war die Strecke wieder vollständig befahrbar. Man vergleiche dies mit der Weißeritztalbahn, die nach acht (!) Jahren immer noch nicht auf ganzer Länge wiederhergestellt ist!
Zur Verbesserung der Fahrzeugsituation für Touristenzüge konnten bereits im Juli 2008 von der schweizerischen Wengernalp-Bahn drei ausgemusterte Reisezugwagen übernommen werden. Obwohl nicht gerade waldbahntypisch, bieten sie den immer zahlreicheren Fahrgästen erheblich mehr Komfort und interessante Ausblicke auf die Strecke und die landschaftlichen Schönheiten des Wassertales. Von den ursprünglichen Personenwagen sind nur noch drei erhalten. Auch einige sächsische GGw-Wagen wurden für den Personentransport zu halboffenen Wagen umgebaut. Inzwischen verkehrt von Mai bis Oktober an vier Wochentagen der Touristenzug ins Wassertal, wobei von Juli bis Mitte September täglich gefahren wird – und dies ohne staatliche Zuschüsse. Im Sommer 2009 mußten wegen des großen Andranges sogar zwei Zugpaare täglich eingesetzt werden. Rund 20000 Besucher konnten insgesamt auf der in Rumänien liebevoll „Mokanita“ genannten Wassertalbahn im letzten Jahr gezählt werden.
Führten die ersten Fahrten bis hinauf nach Faina (km 31,2), so wurde inzwischen die Fahrtstrecke bis zur ehemaligen Verladestelle Paltin (km 21,6) verkürzt. Ein Zugeständnis an den nach dem Hochwasser immer noch sehr schlechten Oberbau. Mit maximal 15 km/h sind seither die Züge im Wassertal unterwegs, vorher waren es bis zu 25 km/h. Und eine mehr als achtstündige Tour ist für die meisten Touristen einfach zu lange. Deshalb entstand in Paltin im Sommer 2010 eine touristische Infrastruktur mit Picknickplätzen und Kiosken. Ein erstes Highlight in Paltin war am 16. Juli ein klassisches Konzert mit einem Quartett aus Cluj (Klausenburg). Unter der Leitung von Gergely Balint orchestrierte ein professionelles Quartett aus Cluj eine gelungene Mischung von klassischen Melodien. Die Dampflok „Elvetia“ brachte den Sonderzug die Konzertgänger nach Paltin, wo mit Barbecue und Barbetrieb im Wald auch für das leibliche Wohl der Gäste gesorgt war.
10.10.2010