Straßenbahn-Nachrichten
Döbelner Pferdebahn eröffnet
Im Preß´-Kurier 87 stellte Reiner Scheffler die ehemalige Döbelner Pferdebahn vor und berichtete über die Aktivitäten des Traditionsvereines „Döbelner Pferdebahn“ e.V. zum teilweisen Wiederaufbau der meterspurigen Straßenbahn. Nach 81 Jahren „Betriebspause“ war es am 9. Juni um 10.30 Uhr soweit: Fünf Jahre nach Gründung des Pferdebahnvereines und zwei Jahre nach Start der ersten Bauarbeiten in der Döbelner Innenstadt – finanziert unter anderem mit EU-Fördermitteln aus dem SMART-Programm – setzte sich der Wagen Nr. 1 mit der Stute Elli zu seiner ersten öffentlichen Fahrt in Bewegung.
Am 9. und 10. Juni wechselte sich die Kaltblüterstute Elli mit ihrer „Kollegin“ Jule von Kutscher Peter Hennig aus Kohren-Sahlis ab, um den nach Vorbild des Triebwagens 1 der Meißner Straßenbahn neu entstandenen Pferdebahnwagen über die etwa 500 Meter lange Strecke vom Obermarkt über den Niedermarkt zum Döbelner Theater zu ziehen. Das Mittelsächsische Theater in Döbeln feierte an diesem Wochenende nach umfangreicher Sanierung ebenfalls seine Wiedereröffnung. An beiden Tagen war die in Deutschland verkehrshistorische Einmaligkeit – eine ausschließlich mit Pferden betriebene Bahn im Straßenraum – jeweils von 10 (bzw. 11 Uhr am Sonnabend) bis 17.30 Uhr im Halbstundentakt unterwegs.
Darüber hinaus hatte der Traditionsverein gemeinsam mit dem Döbelner Theater ein buntes Programm mit Auftritten von Döbelner Vereinen, vielen Ständen und Musik organisiert. Am Sonnabend begleitete der Stadtsingeverein die erste Fahrt in historischen Trachten und natürlich mit Gesang. Während der Fahrten zum Theater wurde jeweils ein Zwischenstopp am Niedermarkt eingelegt, wo ein Schauspieler des Mittelsächsischen Theaters Freiberg/Döbeln eine literarische Kostprobe darbot.
Es gab an den ersten beiden Betriebstagen keine Fahrt, bei der nur ein einziges Plätzchen im Inneren des neuen Pferdebahnwagens frei geblieben ist. Gebaut wurde der Meißner Triebwagen Nr. 1 im Jahr 1899 von der Gottfried Lindner Waggonbau AG in Ammendorf. Von der Eröffnung der elektrischen Meißner Bahn im Dezember 1899 an verkehrte er bis 1936 durch die Straßen unterhalb der Albrechtsburg und im Triebischtal. Nach seiner Ausmusterung stand der Wagenkasten von 1937 bis zu seiner Bergung durch den Döbelner Traditionsverein im Jahr 2003 auf einem Gartengrundstück in Keilbusch bei Meißen (siehe Preß´-Kurier 66, Seite 33). Für die Pferdebahn wurde der originale Wagenkasten von etwa 20 ABM- und Ein-Euro-Jobbern beim Sächsischen Umschulungs- und Fortbildungswerk in Dresden fachmännisch zerlegt und anschließend detailgetreu nachgebaut. Knapp zehn Prozent des Kastens bestehen aus originalen Holzteilen. Mehrere originale Fenstergläser, einzelne Holzteile sowie das Blech der Außenverkleidung mit dem Meißner Stadtwappen übernahm der Döbelner Pferdebahnverein zur Ausgestaltung eines zukünftigen Museums. Wie bei der Meißner Straßenbahn verfügt der nunmehrige Pferdebahnwagen über 16 Sitz- und 12 Stehplätze.
Sein Fahrgestell ist ein kompletter Neubau – einschließlich der beiden Radsätze. Diese wurden mit sehr geringer Neigung ausgeführt, was in den Gleisbögen zu lautem Quietschen führt. Erst nach dem Fetten der Schienen reduziert sich dieses.
Der zweite den aktuell 70 Döbelner Pferdebahnfreunden zur Verfügung stehende Wagen entstand im Jahr 1897 für die Neuchateler Straßenbahn (Neuenburg/Schweiz) in deren eigenen Werkstätten als elektrischer Triebwagen 17. Im Jahr 1922 wurde er dort zum Beiwagen Nr. 145 umgebaut. 1976 an einen privaten Sammler nach Schönau bei Darmstadt verkauft, gelangte er 1994 mit dem dortigen Engagement seines Eigentümers zur Naumburger Straßenbahn, wo er gelegentlich auch als Pferdebahnwagen zum Einsatz kam. Im Jahr 1997 kehrte das Fahrzeug für den Dampfzugbetrieb auf den Darmstädter Straßenbahngleisen nach Hessen zurück, von wo er aus sieben Jahre später nach Sachsen gebracht und im Döbelner Karosseriewerk restauriert wurde.
Ein dritter, ebenfalls über 100 Jahre alter Wagen, der von der Dresdner Straßenbahn zuletzt als HTw 3030 geführte 201 308-0, befindet sich seit März 2004 im Umschulungs- und Fortbildungswerk Dresden in der mühevollen Aufarbeitung. Gebaut worden war das Fahrzeug 1905 von der Firma Falkenried in Hamburg für die Dresdner Straßenbahn-Gesellschaft („Gelbe Gesellschaft“) mit der Nummer 267. Ab 1906 trug er die Nummer Tw 692. Seit 1928 wurde er als Arbeitstriebwagen genutzt.
Nach der Betriebsaufnahme der Pferdebahn konnte der Döbelner Traditionsverein am 12. Juli 2007 einen weiteren Teilerfolg erzielen – wenn auch allerdings mit einem weniger schönen Beigeschmack für die Vereinsmitglieder. An diesem Tag beschloß der Döbelner Stadtrat, dem Traditionsverein das gewünschte Grundstück für die Einrichtung eines Pferdebahnmuseums und Depots – einen ehemaligen Kindergarten am Rande der Döbelner Innenstadt – zum symbolischen Preis zu übertragen. Auch wenn die Freude über die perspektivische Nutzung des Areals sicher überwiegt, so ist die Übernahme des sanierungsbedürftigen sowie flutgeschädigten Gebäudes und des Grundstückes alles andere als optimal. Kommen doch wegen der geringeren Förderung noch einmal mindestens 63 000 Euro Baukosten unerwartet auf den Verein zu. Eine endgültige Entscheidung wird dazu im Oktober gefällt. Am 11. August wird die Pferdebahn jeweils von 10 bis 17 Uhr wieder in der an der Freiberger Mulde liegenden Stadt unterwegs sein. Abfahrt ist jeweils am Alten Amtshaus, wo auch die Fahrscheine am Informationsstand der Pferdebahn erworben werden können. Weitere Informationen zu den Vereinsaktivitäten und den Fahrbetrieb können beim Traditionsverein „Döbelner Pferdebahn e.V.“, Bäckerstraße 8 in 04720 Döbeln; per E-Mail unter info@doebelner-pferdebahn.de oder im Internet auf der Seite www.doebelner-pferdebahn.de bezogen werden.
Kommentar:
Herzlichen Glückwunsch nach Döbeln! Ein tolles Projekt wurde Wirklichkeit. Fein auch, daß die Originalsubstanz des Meißner Wagens nicht völlig vernichtet worden ist. Hoffentlich findet nun auch der aus Bromberg (Westpreußen) stammende Beiwagen 14 der Meißner Straßenbahn bald einen neuen Eigentümer, der mit dem wertvollen Fahrzeug sorgsam und verantwortungsvoll umgeht. André Marks
30.07.2007