Fahrzeuge im Porträt
Dampfspeicherlok zu Gast in Jöhstadt
Einigen aufmerksamen PK-Lesern ist im PK 96 (3/2007) auf Seite 10 oben aufgefallen, daß sich hinter dem GGw im Bahnhof Schlössel doch eine Dampflok versteckt – handelt es sich gar um eine neue Lok der Museumsbahn? Mit diesem Beitrag wollen wir das Rätsel um diese Lok lüften.
Bei einer Auktion des Zolls über Inventar des Bundes bzw. der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein (BfB) stand Anfang Mai 2007 eine regelspurige Dampfspeicherlok zur Versteigerung. Durch den Geschäftsführer der Eisenbahn-Bau- und Betriebsgesellschaft Pressnitztalbahn mbH wurde die Lok ersteigert – wenige Tage später gelangte sie nach Jöhstadt und wurde zunächst in Schlössel abgestellt. Zuvor war die Lok, bezeichnet mit der Betriebsnummer „1“, bis Mitte der 1990er Jahre für den Rangierbetrieb auf den Werkbahngleisen der Spiritusfabrik Wittenberg zuständig.
Technische Daten
Die feuerlose Dampflok wurde am 14. Juli 1909 von der Firma Borsig in Berlin unter der Fabriknummer 7104 ausgeliefert. Der B-Kuppler war als Rangierlokomotive für eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h zugelassen. Der Dampfspeicherkessel der Lok ist für einen Druck von 12 Atmosphären über dem Umgebungsdruck ausgelegt, er hat eine Gesamtlänge von 3,40 m und einen mittleren Durchmesser von 1,30 m. Die Abmessungen der Lokomotive betragen:
- Länge über Puffer: 6,03 m
- Breite: 2,92 m
- Achsstand: 1,70 m
- Höhe über SO: 3,30 m
- Das Gesamtgewicht der Lok beträgt 16 t. Kurioserweise verfügt die Lok über eine Schornsteinattrappe, die dem Fahrzeug zu einem dampfloktypischen Flair verhilft. Über den Grund des Aufbaus dieser Attrappe läßt sich heute nur noch philosophieren.
Einsatz der Lok
Über die Einsatzorte der Lok gibt es nur wenige Informationen. Nach dem Betriebsbuch war die Lok im Jahre 1913 im Eigentum der „Ostdeutschen Spritfabrik GmbH Berlin-Reinickendorf“, im Jahre 1951 wird als Betreiber die „Spiritus-Direction Leipzig“ in der Katzbachstraße benannt. Seit mindestens 1972 ist die Dampfspeicherlokomotive nachweislich dem VEB Likörfabrik Zahna, Werk Spiritus Wittenberg, zugeordnet gewesen. Bei ihrem Einsatz auf den Gleisen dieses Betriebes wurde sie am 10. Juli 1983 von J.-H. Peters für das Titelbild des „Modelleisenbahner“ 5/1984 abgelichtet. In Wittenberg verblieb sie auch über die „Wende“ hinweg und diente dem werksinternen Verschub von Güterwagen, bis sie nun nach mehreren Jahren Abstellzeit endgültig nicht mehr gebraucht wurde.
Die langjährige Schwesterlok der „1“ in Wittenberg, die „Spiritus 2“ – ein Dampfspeicher-B-Kuppler der Firma Maffei aus dem Jahre 1915, ist bereits seit mehreren Jahren im Bestand des Localbahnmuseums Bayerisch-Eisenstein.
Unterhaltung der Lok
Auch feuerlose Dampfspeicherlokomotiven unterliegen gesetzlichen Fristen zur Prüfung und Untersuchung von Kessel und Fahrwerk. Insbesondere der Kessel muß regelmäßig überprüft werden, im Anschluß an die Untersuchung wurde jeweils eine Wasserdruckprobe mit 15,6 Atmosphären Überdruck durchgeführt. Im Jahre 1964 erhielt die Lok im VEB Lokomotivreparatur Mühlhausen (Thüringen) einen neuen Kessel entsprechend den Originalabmessungen und ebenfalls 12 atü, jedoch in geschweißter Ausführung. Der Kessel aus dem Jahre 1964 auf einem Rollfahrzeug in Jöhstadt.
Im Eigentum eines „Volkseigenen Betriebes“ hatte es die Lok ab den siebziger Jahren schwer, ihre planmäßigen Revisionen zu bekommen, standen dafür doch nur die Kapazitäten der Ausbesserungswerke der Deutschen Reichsbahn zu Verfügung, die jedoch an den Fahrzeugen aus „VE-Betrieben“ kein großes Interesse hatten. Ein interessanter Schriftwechsel im Betriebsbuch der Lok zeigt dieses „Ping-Pong-Spiel“ der Zuständigkeit zwischen dem Raw Meiningen, dem Raw Stendal, dem Raw Halle und dem Raw Cottbus, Werkteil Görlitz, zwischen 1971 und 1973 auf. Letztendlich übernahm das Werk „DSF“ Görlitz im Jahr 1973 die fällige Hauptuntersuchung. Interessanterweise fanden dabei auch Teile aus dem „IV K-Neubauprogramm“ bei den Arbeiten ihren Weg an die Lok. Während der Rahmen und das Fahrwerk der Lok ebenfalls auf einem Rollfahrzeug gelagert sind, wurde das Führerhaus der Lok zur separaten Bearbeitung in der Fahrzeughalle aufgestellt.
Neue Perspektive für die Lok
Die Eisenbahn-Bau- und Betriebsgesellschaft Pressnitztalbahn mbH als neuer Eigentümer beabsichtigt, die Dampfspeicherlok als rollfähigen (beweglichen) Werbeträger bei ihrer Betriebsstätte in Südbrandenburg zu nutzen. Bevor sie dafür jedoch Verwendung finden kann, wird sie durch die Mitarbeiter der Werkstatt der Museumsbahn im Auftrag der EBB Press GmbH eine optische Aufarbeitung und einen intensiven Korrosionsschutz sowie eine teilweise Erneuerung von Blechteilen erhalten. Anfang Juli wurde die Lok weitgehend demontiert und befindet sich zum Redaktionsschluß dieser Ausgabe in größerer Ausdehnung verteilt.
Quellen:
- Betriebsbuch der Lok,
- Titelbild Zeitschrift „Modelleisenbahner“ 5/1984
30.07.2007