Eisenbahn-Geschichte
75 Jahre Schmalspurbahn Cranzahl – Oberwiesenthal im Jahr 1972
In diesem Jahr wird die heute als „Fichtelbergbahn“ bezeichnete Schmalspurbahn Cranzahl – Oberwiesenthal 125 Jahre alt. Es sind also bereits 50 Jahre ins Land gegangen, seit das 75-jährige Bestehen dieser kleinen Bahn gefeiert wurde. Grund genug, daran zu erinnern.
Doch zugegeben, meine Erinnerungen waren zu Beginn des Verfassens dieser Zeilen bruchstückartig und nur anhand meiner damals gemachten Fotos einigermaßen zu rekonstruieren. Ich konnte 1972 nicht ahnen, dass ich 50 Jahre später darüber berichten würde, sonst hätte ich mir einiges aufgeschrieben. Jedenfalls bin ich im langen Jubiläumssonderzug mitgefahren. Die Feierlichkeiten fanden nicht an einem Wochenende statt, wie es heute allgemein üblich ist, sondern exakt zum 75. Jahrestag der Streckeneröffnung – also am Mittwoch, dem 19. Juli 1972. Und die beiden Sonderzüge verkehrten vom Streckenendpunkt nach Cranzahl und zurück.
Als ich gegen 10 Uhr mit dem Bus am Bahnhof Oberwiesenthal eintraf, herrschte dort bereits ein reges Treiben. Im „Traditionszug“ mit der aus Jöhstadt für das Jubiläum ausgeborgten IV K 99 1561-2 und u. a. je einem Wagen aus Thum sowie Freital-Hainsberg nahmen Fahrgäste in Kleidung aus der Zeit der Bahneröffnung Platz – einige mit Schneeschuhen. Das waren vorwiegend Beschäftigte des Dienstortes Oberwiesenthal; der GGw wurde mit Ziegen und Schafen beladen. Dieser Traditionszug fuhr als erstes los. Danach bekam unser Jubiläumssonderzug um 11 Uhr das Abfahrsignal. In diesen war ein vierachsiger offener Güterwagen mit Sitzbänken eingereiht. Darauf saß eine Blaskapelle, die teils auch während der Fahrt aufspielte.
Entlang der Strecke standen viele Schaulustige. Mit dabei war der damalige Vizepräsident für den operativen Dienst der Rbd Dresden, Hermann Demmler, der eine Professur an der Hochschule für Verkehrswesen „Friedrich List“ in Dresden bekleidete. Er ließ sich gern mit den historisch gekleideten Fahrgästen fotografieren. Gespielt war sein Interesse nicht, denn damals hatten alle höheren Dienstgrade ihre Arbeit von der Pike auf gelernt; es gab keine „Seiteneinsteiger“ ohne fachbezogenes Wissen. Hermann Demmler hatte zum Beispiel in der schweren Nachkriegszeit als Fahrdienstleiter auf den Bahnhöfen Steinach (Thür) und Gräfenthal in der RBD Erfurt gearbeitet.
In Kretscham-Rothensehma angekommen, stand der Traditionszug auf dem Nachbargleis. Der lange Jubiläumssonderzug fuhr als erster in Richtung Cranzahl weiter. Der Traditionszug traf dort also als zweiter ein. Später standen beide Züge eine Zeit lang auf den Gütergleisen neben der Rollwagenrampe. Die Zugloks fuhren indes zur Bekohlungsanlage. Damals war der auf einem erhöhten Gleisjoch stehende urige Bekohlungskran noch in Betrieb, ein alter Regelspur-Eisenbahndrehkran auf zweiachsigem Fahrwerk mit Speichenradsätzen. Er hatte die Form eines Holzschuppens mit Spitzdach und einem Kranausleger an der „Giebelseite“.
Die Rückfahrt der beiden Züge lockte ebenfalls viele Schaulustige und Fotografen an. Es war zu spüren, dass alle beteiligten Eisenbahner viel Herzblut einbrachten. Nicht alles war „von oben“ verordnet, wie es sonst damals in der DDR üblich war. Das war ein Grund dafür, dass dieses Jubiläum ein Erfolg war – außerdem spielte der „Wettergott“ bestens mit. Nun konnte ich mich doch wieder sehr lebendig an alles erinnern. Sehr geholfen hat mir dabei der Beitrag von Hans-Werner Schellenberg in „Anekdoten und Geschichten zur Fichtelbergbahn“, einem lesenswerten Buch zur Strecke von Stefan Müller und Thomas Böttger.
Der 256-seitige Titel erschien im Jahr 2011 mit der ISBN 978-3-96564-015-3 im Bildverlag Böttger und ist auch verlagsseitig noch für 22,80 Euro erhältlich.
Alle Fotos dieses Beitrages: Hansjürgen Meyer, Sammlung Stefan Nunner.
14.08.2022