Stillgelegte Eisenbahnstrecken heute
Unfall auf der Strecke Königswalde (Erzgeb) ob Bf – Annaberg-Buchholz ob Bf
Am 23. Januar 1971 stürzten in der Nähe der Ladestelle Kleinrückerswalde vier regelspurige Güterwagen eines von Annaberg-Buchholz ob Bf nach Königswalde (Erzgeb) ob Bf fahrenden Güterzuges von der Brücke im km 4,72 der KA-Linie. Die Leerwagen, die in vielen Fällen den VEB Kohlehandel Annaberg beliefert hatten, sollten über Königswalde nach Annaberg-Buchholz Süd gebracht werden.
Auf der am 1. August 1906 für den Güterverkehr eröffneten Strecke Königswalde (Erzgeb) ob Bf – Annaberg-Buchholz ob Bf fuhr damals dreimal täglich ein Güterzugpaar. Neben dem VEB Kohlehandel wurden noch weitere Ladestellen bedient, so die volkseigenen Großhandelsbetriebe für Obst, Gemüse und Speisekartoffeln (OGS) und Lebensmittel sowie der VEB Getreidewirtschaft mit dem großen Silolager. Zu den Kunden gehörte außerdem der an der Strecke liegende VEB Elektroinstallation Annaberg. Wenn in Annaberg das jährliche Volksfest „Kät“ stattfand oder der Zirkus zu Gast war, gab es Extrazüge mit dem notwendigen Inventar. Damit handelte es sich bei der KA-Linie um eine für die Wirtschaft des Kreises Annaberg wichtige Eisenbahnstrecke.
Am besagten Tag zog eine Dampflok der Baureihe 86 der Triebfahrzeugeinsatzstelle Annaberg-Buchholz des Bw Aue in den Nachmittagsstunden etwa 20 leere Güterwagen und einen Zugführerwagen in Richtung Königswalde (Erzgeb) ob Bf. Ungefähr zwei Kilometer vor der Unfallstelle, etwa in der Nähe der Anschlussstelle des VEB Elektroinstallation, entgleiste einer der Leerwagen aufgrund eines scharf gelaufenen Spurkranzes. Da die Strecke dort in eine Steigung mit mehreren Bögen übergeht, bemerkte der Lokführer zwar, dass der Zug relativ schwer rollte, aber den mitten im Zug entgleisten Wagenradsatz entdeckte er von der Lok aus nicht. Die genaue Entgleisungsstelle des Wagens konnte im Nachgang eindeutig ermittelt werden, da die Schwellen ab dieser Stelle entsprechende Spuren aufwiesen. Als der entgleiste Radsatz an der Brücke im km 4,72 ankam, wurde er durch die auf diesem Überbau liegende Leitschiene weiter nach außen gedrückt – zu weit: Der Güterwagen kippte aus dem Gleis und stürzte von der Brücke. Dabei zog er drei andere Güterwagen mit sich. Die dadurch gerissene Hauptluftleitung löste eine Zwangsbremsung aus.
Glück hatten die Bewohner des unterhalb der Brücke befindlichen Wohnhauses. Die Trümmer der abgestürzten Wagen kamen vor dem Giebel des Gebäudes zu liegen. Das zur Unfallstelle alarmierte Kommando der Feuerwehr Annaberg brauchte nicht eingreifen: Es gab keine Verletzten und auch das Gebäude hatte nur Kratzer abbekommen. Doch die vier abgestürzten und zwei entgleisten Güterwagen blockierten sowohl die Eisenbahnstrecke als auch die Straße unter der Brücke. Wegen der strategischen Bedeutung der Strecke wurden die ins Profil ragenden Wagen in den angrenzenden Hang geschoben und dann in den nächsten Wochen vor Ort zerlegt. Brauchbare Teile wie die Radsätze samt Lager wurden allerdings als Ersatzteile einer Aufarbeitung zugeführt. Die eine Woche nach dem Unfall entstandenen Aufnahmen der Aufräumarbeiten zeigen, dass diese noch mehrere Tage in Anspruch genommen haben dürften.
Unfälle keine Ausnahme
Für die Feuerwehr gab es an dieser Strecke des öfteren zu tun. Neben Unfällen mit Straßenfahrzeugen kam es an der KA-Linie zu Bahndamm- und Waldbränden. Einen der letzten größeren Unfälle mit anschließendem Feuerwehreinsatz gab es Anfang der 1980er Jahre. Dabei stieß ein Traktor am Bahnübergang zum VEB Elektroinstallation mit einer in die gleiche Richtung fahrenden Diesellok der Baureihe 106 zusammen. Diese entgleiste bei dem Zusammenprall und zerbrach den Traktor in zwei Teile.
Sonderverkehre und Betriebsende
Personenverkehr fand auf der KA-Linie nur zweitweise und eingeschränkt statt. So wurde einem Güterzugpaar zwischen Juli 1917 und 1. Juni 1921 ein 3.-Klasse-Wagen beigegeben. Zwischen 1927 und 1944 ergänzten ebenfalls temporär Personenwagen die Güterzüge, zuletzt für Zwangsarbeiter.
Der letzte „große Verkehr“ fand auf dieser Strecke zum „Tag der Sachsen“ 1994 statt, als ein Pendelzug des VSE als Zubringer zum Festgelände auf dem Kät-Platz fungierte. Am 17. Dezember 1994 verkehrte nochmals ein Sonderpersonenzug, veranstaltet von VSE und IG Preßnitztalbahn e. V. Zum Jahresende 1994 fuhr der letzte Güterzug auf der KA-Linie. Dem folgte per 1. Mai 1995 die offizielle Einstellung des Verkehrs, ehe zum 1. Oktober 1996 die Stilllegung der Strecke Königswalde (Erzgeb) ob Bf – Annaberg-Buchholz ob Bf verfügt wurde.
An der Gleisdemontage beteiligte sich die IG Preßnitztalbahn e. V., um Schienen für den Wiederaufbau ihrer Bahn zu gewinnen.
Heute verläuft auf der ehemaligen Trasse – wie auf vielen einstigen Eisenbahnstrecken – ein Radweg. Die Brücke im km 4,72 existiert noch immer, trägt aber längst beidseitig Geländer, um die Radfahrer vor Abstürzen zu bewahren.
Quellen und weiterführende Literatur
- Siegfried Bergelt: „Eisenbahngeschichten zwischen Chemnitz und Weipert“, Bildverlag Böttger, Witzschdorf 2002
- Danilo Grund: „Königswalde (Erzgeb) ob. Bf. – Annaberg-Buchholz ob. Bf.“ in „Der Preß´Kurier“, Heft 1/2005 (PK 82)
- Stephan Häupel: „Königswalde (Erzgeb) ob Bf – Annaberg-Buchholz ob Bf“ aus „Neben- und Schmalspurbahnen in Deutschland“, Sammelwerk GeraNova-Verlag
- Jens Herbach – Internetseite: www.sachsenschiene.net/bahn/str/str020.htm
- Zeitschrift „Glückauf“, Heft 7/1995
13.02.2021