Schmalspurbahnen in Europa
Die Schmalspurbahn am „Ungarischen Meer“
Am südlichen Ufer des Balatons (deutscher Name Plattensee) befindet sich in der Ortschaft Balatonfenyves der Ausgangspunkt der Schmalspurbahn nach Somogyszentpál. Ab den 1920er Jahren entstand in diesem Gebiet eine mit Pferden betriebene Feldbahn mit 600 mm Spurweite. Diese diente ausschließlich dem Transport landwirtschaftlicher Güter zum Bahnhof Balatonfenyves, der sich an der Hauptstrecke Budapest – Siofok – Keszthely befindet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann 1950 der Um- und Ausbau zu einem über 50 km langen Netz als Wirtschaftsbahn (GV) auf 760 mm Spurweite, der sogenannten Bosnaspur. Parallel wurde ein umfangreiches Gebiet trockengelegt, um es intensiv landwirtschaftlich nutzen zu können. Transportiert wurden dafür vornehmlich Kunstdünger, Viehfutter und Rüben. Außerdem wurde die Personenbeförderung aufgenommen. Als später die Leistungen im Gütertransport nach und nach sanken, ging damit der Abbau von Zweigstrecken einher. Auf diesen alten Trassen entstanden Wander- und Radwege. Im Jahr 1990 wurde der Güterverkehr gänzlich eingestellt. Erhalten geblieben ist lediglich der 12,5 km lange Streckenabschnitt nach Somogyszentpál, der seit den 1980er Jahren mehr und mehr touristisch genutzt wird. Daher wurden die Gleisanlagen in den Jahren 2002/03 mit EU-Mitteln saniert. Heute verkehren auf der Schmalspurbahn ganzjährig fünf Zugpaare, die auch für den Berufs- und Schülerverkehr große Bedeutung haben. In der Sommer- und Ferienzeit wird die Anzahl der täglichen Zugpaare auf acht erhöht.
Die Fahrt mit der Schmalspurbahn beginnt etwa 500 m vom Staatsbahnhof entfernt im Bahnhof Balatonfenyves GV. Ein ausgedehntes Gleisdreieck dient zum Umsetzen der Lokomotiven. Im September 2020 bestand der vom Autor genutzte Personenzug aus zwei geschlossenen Personenwagen aus den frühen 1960er Jahren sowie aus einem umgebauten offenen Güterwagen, in dem Fahrräder mitgeführt werden. Zunächst durchfährt der Zug ausgedehnte Wiesen und Felder, um nach etwa fünf Kilometern den Haltepunkt im Ort Imremajor zu erreichen. Ab dort ändert sich die Landschaft radikal: Die Strecke führt nun durch eine reizvolle Bruch- und Moorlandschaft, den Naturpark Nagyberek. Hier nehmen die Fahrgäste eine völlig andere Fauna und Flora als im ersten Streckenabschnitt wahr. Anschließend erreicht der Zug die Ortschaft Pálmajor. Dort steigen vor allem Wanderer sowie Radler ein und aus. Nach 14 Streckenkilometern und 40 Minuten Fahrzeit trifft der Zug am Endpunkt in Somogyszentpál ein. Dort setzt die Diesellokomotive um, fünf Minuten später beginnt die Rückfahrt. Am Tag der Mitfahrt des Autors war der Zug ausgebucht. Das Personal bestätigte, dass sich die Fahrten während der Ferien großer Beliebtheit erfreuen. Die erste Fahrt von Balatonfenyves GV beginnt 5.30 Uhr, die letzte 18.15 Uhr.
In den Gründerjahren der Bahn sollen dreiachsige Nassdampfloks von O & K, Krauss & Co. und MAVAG eingesetzt worden sein. Heute sind zweiachsige mechanische Dieselloks der ungarischen Reihe C-50 sowie vierachsige hydraulische Loks der Reihe Mk48 vorhanden, die in den 1950er und 1960er Jahren in Ungarn gebaut wurden. Gewartet werden diese Fahrzeuge am Ende des Gleisdreiecks in einer kleinen Remise, die sich parallel zur Staatsbahnstrecke befindet. Um die Attraktivität der Bahn zu erhöhen, werde nach einer Dampflokomotive gesucht.
Gegenwärtig wird an der Wiederherstellung des rund 10 km langen Streckenabschnittes bis zum Thermalbad Csisztapuszta gearbeitet. Man möchte das anerkannte Heilbad wieder an das Eisenbahnnetz anschließen. Der Autor hat die Fahrt von Balatonfenyves GV nach Somogyszentpál bei hochsommerlichen Temperaturen sehr genossen. Für ihn stellt die Bahn ein Kleinod am Balaton dar, das er jedem Eisenbahnfreund wärmstens empfehlen kann.
13.02.2021