Eisenbahn-Technik
Fahrten in ETCS Level 3 auf Teststrecke Annaberg-Buchholz – Schwarzenberg
Am 5. September fuhr das neue „LUCY LAB“, das Laborfahrzeug und Erprobungsträger für innovative Bahntechnologien der Fa. THALES mit der Nummer VT 420/NE81, mit viel Messtechnik an Bord von Schwarzenberg nach Buchholz und weiter bis zur Grenze in Bärenstein. Dabei wurden Sensorik, Kameras, Radare und Laserscanner für das vollautomatische Fahren erprobt. Am folgenden 6. September fanden am ehemaligen Bahnhof Walthersdorf (Erzgeb) an der Strecke Annaberg-Buchholz – Schwarzenberg Videoaufnahmen statt. Dabei wurden sowohl die Eignung der BSg-Linie als „Living Lab“ als auch die ETCS Level 3-Technologie anschaulich und praktisch demonstriert. Bei ETCS handelt es sich um die Abkürzung für „European Train Control System“.
„Living Lab“ im Erzgebirge:
Als „Living Lab“ für Bahntechnik wird ein Labor unter Realbedingungen bezeichnet, in dem Forschung, Entwicklung, Erprobung, Nachweisführung, Begutachtung, Bewertung und Zulassung von innovativen Bahntechnologien einfach und flexibel in der Praxis umsetzbar sind. Während dieser Arbeiten tragen die neuen Systeme und Komponenten noch keine Sicherheitsverantwortung, weshalb besondere betriebliche Prozesse und streng definierte Laborbedingungen notwendig sind. Zudem können unter den definierten Laborbedingungen auch besondere Anwendungs-, Stör- und Fehlerfälle, die Ausfälle von Systemen, verschiedene Lasttests und, dies ist insbesondere bei automatisierten und digitalisierten Systemen wichtig, die Möglichkeit von Manipulationen, Cyber-Attacken sowie Auswirkungen von Sicherheitslücken erprobt werden, was im normalen Bahnbetrieb aus Sicherheitsgründen unmöglich ist. Solche vom normalen Betrieb abgeschotteten Testfelder werden in der Automobilentwicklung seit vielen Jahren genutzt. Mit dem „Living Lab“ im Erzgebirge wird nun auch im System Eisenbahn die Methode des „rapid prototyping“ (entwicklungsbegleitendes Testen und Experimentieren in einem abgegrenzten Labor, aber unter Realbedingungen) möglich, womit die Innovationsfähigkeit des Systems Eisenbahn erhöht und die Innovationszyklen verkürzt werden können. Am 6. September wurde auf der Strecke Annaberg-Buchholz – Schwarzenberg (BSg-Linie) dann richtig Eisenbahngeschichte geschrieben: die erste Fahrt auf Gleisen der Deutschen Bahn im ETCS Level 3. Neben den Partnern von DB Netz (für diesen Versuch die DB Erzgebirgsbahn), der PRESS GmbH und den Unternehmen Thales und Bombardier waren viele weitere Firmen um den Forschungscampus SRCC („Smart Rail Connectivity Campus“) dabei, die sich das Ereignis nicht entgehen ließen. Im ETCS Level 3 wird, wie bereits bei ETCS Level 2, der Signalbegriff per GSM-R Datenfunk von der ETCS Streckenzentrale (RBC) zum ETCS Fahrzeugrechner (EVC) übertragen. Zusätzlich meldet der EVC die Position und Zugintegrität an das RBC. Die Verwaltung der Blockbelegung und damit der sicherungstechnische Folgefahrschutz geschieht im RBC. Auf gleisseitige Gleisfreimeldetechnik wird dabei verzichtet: Neben den Achszählern spart dies auch die Verwaltung der Blockbelegung im Stellwerk und die Schnittstelle zwischen Stellwerk und RBC. Dies wiederum erlaubt extrem kurze Blöcke: In Walthersdorf wurden Blocklängen von 25 m realisiert, theoretisch sind sogar Blocklängen von einem Meter projektierbar. In der Praxis soll diese Technik eine kürzere Zugfolge auf den Gleisen ermöglichen.
Ausblick für mehr Kapazität im Streckennetz:
Die ETCS-Streckenzentrale für die Demonstration am 6. September verwendete somit noch die klassische, feste Blocklogik mit dem Unterschied, dass die Blöcke ‘virtuell’ waren: ohne physische Gleisfreimeldetechnik in der Infrastruktur. Der nächste Entwicklungsschritt ist die sich „bewegende“ Blockgrenze („Moving Block“). Diese ist nicht nur virtuell, also ohne Achszähler, sondern ihr Standort bewegt sich in Abhängigkeit der Geschwindigkeit des vorausfahrenden Zuges: Dies ermöglicht dann das Fahren von Zügen im absoluten Bremswegabstand. Zukünftige Entwicklungsschritte sind das Fahren im relativen Bremswegabstand: Im Straßengüterverkehr wird dies als „Platooning“ bezeichnet und basiert auf einer direkten Funkverbindung der Fahrzeuge untereinander, im Schienenverkehr bereitet diese Technologie auch dynamisches (d. h. während der Fahrt) Kuppeln und Flügeln vor. Die ersten konkreten Anwendungsfälle für diese Technologieerprobungen sind die Stammstrecken von dichtbefahrenen S-Bahn-Netzen mit einer Zugfolgezeit von weniger als 120 Sekunden. Für diesen Anwendungsfall sollen auch weitere Technologien im „Living Lab“ erprobt werden, wie die vollautomatisierte Triebfahrzeugführung (ATO) und der zukünftige Mobilfunkstandard FRMCS, die Nachfolgetechnologie für GSM-R.
11.10.2018