Schmalspurbahnen in Europa
750-mm-Betrieb der Waldenburgerbahn läuft aus
Die Tage der einzigen 750-mm-Schmalspurbahn mit Personenverkehr in der Schweiz sind gezählt – bis zum Jahr 2022 wird die 13,1 km lange Strecke von Liestal nach Waldenburg im Kanton Basel-Landschaft auf 1000 mm Spurweite umgebaut. Am 23. September 2018 ging nun zunächst der Dampfzug der Waldenburgerbahn endgültig in Pension. Seine letzten Fahrten gestalteten sich zu einem wahren Volksfest. Neben hunderten Anwohnern verabschiedeten auch zahlreiche Eisenbahnfreunde aus dem In- und Ausland den von der Dampflok G3/3 Nr. 5 „G. Thommen“ geführten Museumszug auf der seit 25. Oktober 1953 regulär elektrisch betriebenen Strecke. Dieser C-Kuppler war 1902 von der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM) in Winterthur mit der Fabriknummer 1440 gebaut und am 26. August 1902 an die am 30. Oktober 1880 eröffnete Waldenburgerbahn geliefert worden. Bei Gédéon Thommen (1831–1890) handelte es sich um den Begründer dieser Schmalspurbahn. Von den einst acht auf dieser Strecke eingesetzten Dampflokomotiven ist neben der Lok 5 noch eine Schwestermaschine erhalten – die nicht betriebsfähig im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern ausgestellte Lok Nr. 6 „Waldenburg“ (SLM 1912/2276). Die Lok Nr. 5 „G. Thommen“ ging nach der Elektrifizierung der Waldenburgerbahn Ende 1953 außer Dienst. In den 51 vorangegangenen Betriebsjahren hatte sie 1 020 318 km zurückgelegt. Die nächsten Jahre stand die Dampflok zunächst als operative Reserve im Depot Waldenburg, dann stellte sie die Stadtgemeinde Liestal im Jahr 1961 im Bahnhofsgelände als Freilichtdenkmal auf. Dort war sie 14 Jahre lang Wetter und Vandalismus ausgesetzt.
Interimslösung mit Fahrzeugen aus Österreich
Während dieser Zeit kamen von Dampfloks geführte Touristenzüge auch in der Schweiz in Mode. Für einen solchen nostalgischen Sonderverkehr erschienen jedoch anfangs weder die Lok 5 noch die Lok 6 als geeignet. Deshalb beauftragte die Waldenburgerbahn die Vereinigung „Eurovapor“ im Jahr 1970 mit dem Betrieb einer solchen Dampfbahn. Diese übernahm dazu von den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) die zuletzt auf der Steyrtalbahn eingesetzte C1’-Tenderlok 298.14 sowie drei von der Mariazellerbahn erworbene zweiachsige Sitzwagen mit Haubendach (Biho/s 3692, 3694 und 3724) – allesamt mit 760 mm Spurmaß. Bei der Dampflok handelte es sich um die im Jahr 1898 mit der Fabriknummer 3816 im Krauß-Werk Linz an der Donau gebaute U.14 der kkStB. Erste Einsatzstrecke dieser Maschine war die Strecke Röwersdorf – Hotzenplotz in Mährisch Schlesien – siehe Seiten 12 bis 14 dieser Zeitschrift. Nach Übernahme der Betriebsführung dieser Bahn durch die ČSD (1919) erhielt sie im Jahr 1925 die Nummer U37.004 und nach Angliederung der Sudetengebiete an das Großdeutsche Reich Ende 1938 die DRB-Nummer 99 7843. Während des Zweiten Weltkrieges kam diese 760-mm-Lokomotive auf eine Schmalspurbahn im angeschlossenen Österreich, wo sie nach Kriegsende verblieb und so später in den Bestand der ÖBB gelangte. Diese wies ihr 1953 die Nummer 298.14 zu. Ab dem 1. November 1970, dem 90. Jahrestag der Aufnahme des regulären Verkehrs auf der Waldenburgerbahn, kam diese Krauss-Lok mit den österreichischen Wagen bei besonderen Anlässen auf der Schweizer Schmalspurbahn zum Einsatz. Doch viele Eisenbahnfreunde sahen den übrigens mit dem Namen „Hotzenplotz“ versehenen Zug als Fremdkörper in der Schweiz an. Die Fahrzeuge passten nicht ins Waldenburgertal. Daher gab es immer mehr Unterstützung für eine Reaktivierung der originalen Lok Nr. 5 „G. Thommen“. Schließlich wurde sie am 30. Juni 1975 in Liestal aufgegleist und nach Waldenburg geschleppt. Dort arbeiteten sie Eisenbahnfreunde ehrenamtlich in ihrer Freizeit fast komplett auf. Lediglich der Kessel erhielt im österreichischen Knittelfeld eine Revision. Die einst verwendete Vakuumbremse (System Hardy) ersetzten die Schweizer Freiwilligen gegen eine Druckluftbremse System Knorr, da zwischenzeitlich die ganze Bahn auf dieses System umgestellt war.
Ab 1980 Betrieb mit Originalfahrzeugen
Nach fünf Jahren war es geschafft: Zum 100. Jubiläum der Waldenburgerbahn im Juni 1980 fuhr die Lok Nr. 5 wieder auf ihrer alten Stammstrecke. Die österreichische Lok verließ die Schweiz und gelangte u. a. über Ochsenhausen zerlegt in das Jagsttal, wo ihre Einzelteile bis heute auf mehreren Bahnhöfen der Jagsttalbahn verteilt liegen. Die Wartung der Lok Nr. 5 „G. Thommen“ lag seit 1980 in den Händen von ehrenamtlich tätigen Eisenbahnfreunden. Am 14. April 2012 gründeten diese den Verein Dampfzug Waldenburgerbahn (VDWB). Er sicherte den Betrieb des im Eigentum der Waldenburgerbahn befindlichen Zuges ab und förderte die Akzeptanz des Dampfbetriebes in der Bevölkerung und Politik. Doch die Akzeptanz für den Dampfbetrieb beim damaligen Direktor der Waldenburgerbahn war gleich null. Dieser setzte alles daran, diese Fahrten zu unterbinden und auslaufen zu lassen. Dünnte er zunächst „nur“ den Fahrplan aus und lehnte Sonderfahrten ab, so unterblieben auf sein Geheiß hin später die Revisionen der Personenwagen. Daraufhin verkehrte der Dampfzug im Jahr 2014 vermeintlich das letzte Mal. Von 2015 bis zum September 2018 blieben die historischen Fahrzeuge ungenutzt – mehrheitlich ohne Fristen. An der ablehnenden Haltung gegenüber dem Dampfbetrieb änderte sich auch nach der Fusion der Waldenburgerbahn zum 7. Juni 2016 mit der Baselland Transport AG (BLT) nichts. Diese lehnt den Betrieb der Dampflok ebenfalls ab und kündigte an, auf dem Areal des Bahnhofes Waldenburg für die historischen Fahrzeuge – neben der Dampflok handelt es sich um drei Personen- sowie um drei, vier Güterwagen – keine Fläche für die Ab- oder Aufstellung der historischen 750-mm-Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen. Diese Festlegung traf die BLT übrigens, ohne zuvor mit dem VDWB jemals ins Gespräch gekommen sein. Damit schob sie der technisch möglichen Umspurung der Lokomotive und Wagen auf 1000 mm Spurmaß demonstrativ einen Riegel vor. Gilt die Schweiz gerade im Ausland als Paradies für den Betrieb historischer Eisenbahnen, so ist ein solches Wohlwollen gegenüber der verkehrsgeschichtlichen Vergangenheit in der Leitung der BLT demnach nicht vorhanden.
Der Dampfabschied 2018
Trotz der in diesem Jahr begonnenen Umspurung der Waldenburgerbahn von 750 auf 1000 mm Spurweite arbeitete die ehrenamtlich tätige Lok-Mannschaft die „G. Thommen“ nach fast vierjähriger Pause für eine würdige Verabschiedung am 23. September 2018 fahrfähig auf. An diesem Tag führte sie insgesamt drei Zugpaare auf dem verbliebenen, etwa zehn Kilometer langen Abschnitt zwischen Bad Bubendorf und dem der Bahn namensgebenden Endpunkt Waldenburg. Zukünftig soll die Dampflok einschließlich zweier Wagen in einer noch zu errichtenden Ausstellungshalle am Haltepunkt Talhaus präsentiert werden. Der Baubeginn für diesen Ausstellungspavillon ist auf Oktober 2018 terminiert, ein konkreter „Einzugstermin“ des Dampfzuges allerdings noch nicht bekannt. Die Aufnahmen von den letzten Dampfzugfahrten auf der liebevoll „Waldenburgerli“ genannten Schmalspurbahn zeigen die zwiespältige Stimmung des Tages. Es herrschte einerseits Freude über die Fahrten an sich mit einer gelungenen Zugkomposition, deren nochmalige Aufarbeitung nicht ganz selbstverständlich gewesen war. Andererseits herrschte Trauer über den Abschied dieser Tradition zugunsten einer nicht ganz unumstrittenen Rekonstruktion der Waldenburgerbahn. Im Trubel der Dampflok-Verabschiedung relativ unbeachtet ging an diesem 23. September 2018 übrigens auch der komplett erneuerte Haltepunkt Talhaus in Betrieb.
11.10.2018