Schmalspurbahnen in Europa
Immer am Rande des Abgrundes – die elektrische Schmalspurbahn Grütschalp – Mürren
Die Schweiz ist ein Schmalspurparadies. Die Rhätische Bahn, die Jungfraubahnen oder auch die Brünigbahn sind vermutlich jedem Eisenbahnfreund ein Begriff. Züge auf schmaler Spur sind in beeindruckender Natur unterwegs, zahlreiche Aussichten auf Gletscher und Alpengipfel faszinieren wohl jeden Touristen. Doch im Schatten dieser weithin bekannten Bahnen steht eine der kürzesten Schmalspurbahnen der Schweiz: die Bergbahn Lauterbrunnen – Mürren (BLM).
Geschichte
Der autofreie Luftkurort Mürren liegt auf 1650 m Seehöhe und hat circa 450 ständige Einwohner. Doch bedingt durch die Lage hoch über dem Lauterbrunnental und die damit verbundenen Ausblicke wurde das Dorf, das im Kanton Bern in der Nähe von Interlaken liegt und ein weites Panorama auf das Jungfraumassiv bietet, schon früh ein Anziehungspunkt für den Fremdenverkehr. Der Weg hinauf war allerdings beschwerlich: Träger und Maultiere halfen dem Reisenden, den Weg zu überwinden, was angesichts der steilen Felswände beschwerlich war. Um dem Missstand der schweren Erreichbarkeit Abhilfe zu verschaffen, gab es bald verschiedene Projekte, um Mürren mittels einer Bahn mit dem im Tal liegenden Lauterbrunnen zu verbinden. Letztlich stellte sich das Projekt einer kombinierten Standseilbahn von Lauterbrunnen auf die Grütschalp mit schmalspuriger Zufuhrstrecke nach Mürren als am einfachsten umsetzbar heraus, wenngleich der Umsteigezwang und das somit notwendige Umladen von Gütern als nachteilig empfunden wurde. Im Jahr 1887 begannen die Bauarbeiten an der meterspurigen Standseilbahntrasse und an der meterspurigen Schmalspurbahnstrecke, die sich aufgrund des unwegsamen Geländes als nicht einfach erwiesen. Die gesamte Strecke mit beiden Sektionen übergab die BLM 1891 dem Betrieb. Während die Standseilbahn zunächst als Wasserballastbahn gebaut und 1901 elektrifiziert wurde, entschieden sich die Bauherren bei der Schmalspurbahn für eine Elektrifizierung mit 525 V Gleichstrom – die BLM war damit die dritte elektrische Eisenbahnstrecke in der Schweiz. Zur Erstausstattung gehörten drei zweiachsige elektrische Lokomotiven, die in der Lage waren, jeweils einen Sommerwagen zu ziehen. Zunächst fand ein Betrieb nur in den Sommermonaten statt, im Jahr 1910 nahm die BLM auf Betreiben der Fahrgäste den ganzjährigen Betrieb auf. Die Lokomotiven jedoch erwiesen sich bald als zu schwach, weshalb 1903 zwei Züge zu sogenannten Rowanzügen umgebaut wurden. Im Jahr 1913 lösten elektrische Triebwagen die Rowanzüge ab; eine Ellok blieb noch bis 1923 im Bestand, in diesem Jahr verschüttete sie eine Lawine. Danach ersetzte sie die von der Berner Oberland-Bahnen AG (BOB) übernommene Dampflokomotive „Eiger“, bis 1925 ein dritter Triebwagen bei der BLM eintraf.
Die Strecke
Die meterspurige Eisenbahnstrecke ist 4,27 km lang und beginnt an der Grütschalp. Von Lauterbrunnen hinauf führt seit 2006 eine Luftseilbahn mit Personengondel und Güterplattform, nachdem das zumeist auf Viadukten verlaufende Trassee der Standseilbahn sich als so instabil erwies, dass eine Instandsetzung einem Neubau gleichgekommen und eine Kapazitätssteigerung nicht in gewünschtem Maße möglich gewesen wäre. Dennoch sind die Reste der Standseilbahn gut auszumachen, folgt die Seilbahn doch direkt der alten Streckenführung. Die Station Grütschalp ist für das Umladen von Gütern von und zur Seilbahn eingerichtet (das Umladen von der Eisenbahn auf die Seilbahn und zurück darf fahrplanbedingt nicht mehr als drei Minuten dauern, um keine Einbußen bei der täglichen Kapazität hinzunehmen), außerdem findet der Reisende ein Bistro mit einem weiten Ausblick auf die umliegende Bergwelt vor. Von den drei Gleisen der Station besitzt nur eines einen Bahnsteig, die anderen Gleise dienen zur Abstellung oder Reparatur der Triebwagen. Diese, an der Länge der Strecke gemessen, ziemlich umfangreichen Anlagen haben ihre Ursache in der isolierten Lage der Bahnstrecke, sie verfügt über keinerlei Anschlüsse zu anderen Schienenstrecken, so dass alle Reparaturen – gleich welchen Umfanges – selbst ausgeführt werden müssen. Das Trassee windet sich entlang eines Berghanges, immer in Sichtweite des Promenadenweges von der Grütschalp nach Mürren und Gimmelwald sowie über weite Teile der Strecke auch entlang des Abgrundes hinab ins Lauterbrunnental. Ungefähr in der Streckenmitte befindet sich an der Winteregg die einzige Zwischenstation. In den ersten Betriebsjahren befand sich hier lediglich eine Ausweiche mit Wärterhaus, die Haltestelle wurde erst später eingerichtet. Heute kreuzen sich die Züge regelmäßig, allerdings nur, wenn in der Sommer- und Wintersaison im Viertelstundentakt gefahren wird. Zur Betriebsvereinfachung verfügt die Station heute über Rückfallweichen, außerdem gibt es ein Stumpfgleis für die Abstellung von Draisinen oder des Schneepfluges. In unmittelbarer Nähe zur Haltestelle laden das Restaurant Winteregg und eine Käserei zu einem Besuch ein. Hinter der Winteregg beschreibt die Trasse mehrere enge Bögen und überquert auf einer Brücke den Tobelbach. Diese Brücke musste infolge eines Lawinenabganges 1999 neu errichtet werden. Die Strecke nähert sich nun wieder dem Promenierweg und führt in dessen unmittelbarer Nähe bis an den Ortsrand von Mürren. Die Bahnstrecke endet in einem nüchternen Bahnhofsgebäude aus den 1960er Jahren. Zwei Bahnsteiggleise und ein mittels doppelter Gleisverbindung angebundenes Ladegleis bilden alles an Gleisanlagen. Von der Mürrener Dorfstraße aus gelangt man in die Schalterhalle mit Wartesaal, außerdem können Reisende hier ihr Gepäck aufgeben oder abholen. Doch das Interessanteste für den Eisenbahnfreund befindet sich inmitten des Vestibüls: Geschützt durch Glas steht hier der letzte erhaltene Wagen der einstigen Pferdestraßenbahn Mürren, die bis 1937 in Betrieb war. Diese Trambahn mit 500 mm Spurweite verband den Bahnhof Mürren mit dem Hotel Kurhaus.
Fahrzeugpark
Im Bestand sind heute fünf Triebwagen, bis zu drei davon werden während der Hochsaison gleichzeitig benötigt. Rückgrat der BLM sind die drei Triebwagen Be 4/4 21 bis 23, gebaut jeweils 1967 von SIG, BBC und SAAS. Außerdem befindet sich mit dem Triebwagen BDe 4/4 11 noch ein Triebwagen der zweiten Generation von 1913 im Bestand, der bis vor einigen Jahren als Reservefahrzeug diente. Auch jetzt findet der Triebwagen in der Nebensaison manchmal noch im Regelbetrieb Verwendung, ansonsten steht er für Sonderfahrten zur Verfügung. Der letzte Neuzugang ist Triebwagen 31, ein 1966 gebauter Be 4/4, der anfangs bei der Oberaargau-Jura-Bahn bzw. später der Aare-Seeland-Mobil (asm) zum Einsatz gekommen war. Er hat gegenüber den drei fabrikneu an die BLM gelieferten Triebwagen ein etwas höheres Fassungsvermögen, was in der Saison durchaus vonnöten ist. Eine Besonderheit der BLM sind die vier Niederflurloren, die jeweils an der Grütschalp-Seite an die Triebwagen gekuppelt werden und dem Transport von Sperrgut, Skiern und Reisegepäck dienen. Die Seilbahn von Lauterbrunnen hinauf verfügt ebenfalls über eine Güterplattform, die Umladung erfolgt in der Station Grütschalp durch einen Schrägaufzug mit aufgesetztem Gabelstapler. Die Versorgung des Ortes Mürren kann jedoch auch durch eine Lastenseilbahn sichergestellt werden, die von Stechelberg direkt nach Mürren führt (die Personenseilbahn Mürren – Stechelberg – Schilthorn führt über Gimmelwald). Diese Lastenseilbahn bringt nach Bedarf Güter nach oben und dient auch dem Abtransport von Müll.
Fahrplan und Tarif
Wie in der Schweiz üblich, ist auch der Verkehr auf der BLM vertaktet und in das nationale Takt- und Tarifgefüge eingebettet. Die Bahn verkehrt täglich zwischen 6 und 20.30 Uhr, während der Hauptsaison teilweise im 15-Minuten-Takt mit drei Zügen, wobei die beiden Sektionen in der Station Grütschalp aufeinander abgestimmt sind. Auch in der Nebensaison besteht mindestens ein Halbstundentakt, für den zwei Triebwagen benötigt werden. Die Züge kreuzen stets im Bahnhof Mürren und im verdichteten Verkehr zusätzlich auch an der Winteregg. Bei starkem Andrang verkehrt die Luftseilbahn nach Lauterbrunnen häufiger und vermittelt dann keine Anschlüsse an die Schmalspurbahn. Die fahrplangemäßen Fahrten der Seilbahn sind wiederum auf die Züge nach Interlaken ausgerichtet, wo Umsteigemöglichkeiten zur berühmten Brüniglinie nach Luzern ebenso wie Anschlüsse zum Schiffsverkehr, den Postautos und zum Regionalverkehr bestehen. Nach Interlaken gibt es von Berlin und Hamburg aus täglich Direktverbindungen mit EC und ICE. Alle Züge verkehren unbegleitet, gelegentliche Fahrkartenkontrollen sind jedoch üblich. Fahrkarten sind an allen Stationen erhältlich, in Mürren, Lauterbrunnen und an der Grütschalp am Schalter, an der Winteregg am Fahrkartenautomat. Die Einzelfahrt Lauterbrunnen – Mürren über Grütschalp kostet derzeit 11,80 Schweizer Franken (ca. 11,05 Euro), eine Einzelfahrt Mürren – Grütschalp 3,60 Franken (ca. 3,40 Euro). Aktionsangebote wie Tageskarten gelten ebenfalls auf der BLM, für Urlauber sind darüber hinaus verschiedene Ferienpässe im Angebot, die das Reisen etwas erschwinglicher machen. Ein Besuch der BLM lässt sich ideal mit einem Spaziergang entlang der Strecke verbinden, am Wegesrand finden sich Möglichkeiten zur Rast ebenso wie zur Verpflegung.
05.08.2017