Fahrzeuge im Porträt
Jung-Typ ZL 130 in Sachsen
Anschlußbahnen mit eigener Betriebsführung erweckten oft die Neugier der Eisenbahnfreunde – fanden sich hier doch ab und an Fahrzeuge, denen man auf den Gleisen der Staatsbahn nicht begegnete. Während im Normalspurbereich einige Anschlußbahnen bis heute überlebt haben, sind die schmalspurigen gänzlich verschwunden. Ihnen widmet sich dieser Beitrag. Man muß zunächst ein wenig unterscheiden: Anschlußgleise zu Betrieben, Ziegeleien usw. gab es auf vielen Schmalspurstrecken (bekannt ist beispielsweise der Kohlehandel „Lässig“ in Mügeln). Hier bedienten aber die Loks der Staats-, Klein- oder Privatbahn diese Anschlüsse. Einige Bahnen waren allein für einen solchen Zweck gebaut worden: die Forster Stadteisenbahn, die Industriebahn Halle (Saale) oder die Hohenlimburger Kleinbahn (alle 1000 mm Spurweite). Kuriosa: Manchmal wurde einer Werksbahn später der Status einer öffentlichen Kleinbahn verliehen (Pretzien – Gommern) und ein andermal sogar der einer Staatsbahn (Waldeisenbahn Muskau). Anschlußbahnen mit eigener Betriebsführung – das heißt eigenen, für den Werksverkehr genutzten Fahrzeugen – waren hingegen in Deutschland nicht allzu oft anzutreffen. Neben der Anschlußbedienung des Militärflughafens in Cottbus auf dem Restabschnitt der Spreewaldbahn (1000 mm) und dem Übergabeverkehr der Quarzitwerke Kayna an der Strecke Gera-Pforten – Wuitz-Mumsdorf (1000 mm) können wir eigentlich nur Sachsen benennen. Hier wurden zwölf schmalspurige Anschlußbahnen betrieben, deren Lokomotiven ebenfalls zu Zwecken der Wagenübergabe auf das Netz der Staatsbahn übergingen. Von den insgesamt über 30 Anschlußbahnloks existieren heute noch zwölf, davon acht des Typs V 10 C und zwei des Typs Ns 4 – beide Typen aus DDR-Produktion (VEB Lokomotivbau „Karl Marx“ Babelsberg/LKM).
Von den historisch wertvollen Maschinen aus der Vorkriegszeit sind fast alle den Weg des „alten Eisens“ gegangen. Eine Ausnahme bilden die zweiachsigen dieselmechanischen Loks 1 und 2 des ehemaligen VEB Kaolin- und Tonwerke Kemmlitz. Vor etwa 70 Jahren wurde Nr. 1 von Jung (Jungenthal) unter der Fabriknummer 6304 und Ende der dreißiger Jahre Nr. 2 unter der Fabriknummer 6589 an die Engelsdorfer Firma Ernst Brangsch geliefert. Später gelangten diese Maschinen des Jung-Typs ZL 130 über das Baugeschäft Schneider in Riesa zur Kemmlitzer Werkbahn. Ab 1965 bis 1990 bzw. 1978 befanden sich außerdem zwei weitere Jung-Loks (Werklok 3 und 4) in Kemmlitz, die jedoch bereits viele Jahre zerlegt sind. Durch V 10 C ersetzt, kamen die verbliebenen Jung-Loks 1 und 2 ab Anfang der neunziger Jahre nur noch in Ausnahmefällen zum Einsatz. Während Lok 2 bis heute unzugänglich in Kemmlitz hinterstellt ist, gelangte Lok 1 im August 1991 in das Sächsische Schmalspurmuseum Oberrittersgrün, wo sie museal der Nachwelt erhalten wird.
Fazit:
Wenn auch für den Laien vielleicht nicht sofort offensichtlich, so haben die Rittersgrüner Freunde den Zusammenhang dieser Lok zur sächsischen Schmalspurbahn erkannt. Nur auf dem ausgedehnten sächsischen Schmalspurnetz konnten wir mehrfach schmalspurige Anschlußbahnen mit eigener Betriebsführung finden und nur von diesen haben Vertreter überlebt – Spreewaldbahn-Ns3h sowie Kaynaer Ns4c und V10C sind zerlegt. Andere Maschinen von Deutz oder O & K beendeten ihr Dasein bereits zu Werksbahnzeiten. In Sachsen waren diese Anschlußbahnen oft die Lebensader der „vor der Haustür“ verlaufenden Staatsbahnstrecke! Ein Erhalt einer Anschlußbahnlok – die zudem auch noch auf sächsischen Gleisen zu Übergabezwecken rangierte – ist also sehr lobenswert und dokumentiert sächsische Schmalspurgeschichte.
Wie alt sind die Jung-Loks?
Als Joachim Schulz im vorigen Jahr (2006) den Beitrag über die Jung-Werkloks schrieb, standen seine Ausführungen unter dem Motto „70 Jahre Jung-Diesellok in Rittersgrün“ – nennt doch der Verein „Sächsisches Schmalspurbahn-Museum Oberrittersgrün e.V.“ als Baujahr für die ZL 130 das Jahr 1936. Aber dann stießen die Redakteure und ehrenamtlichen Autoren des „Preß´-Kurier“ auf Widersprüche: In dem unter der Leitung von Jens Merte zusammengestellten Verzeichnis aller jemals in Deutschland gebauten Lokomotiven (bis vor wenigen Jahren als CR-Rom lieferbar) wird als Baujahr für Lok 1 das Jahr 1935 und für Lok 2 das Jahr 1936 genannt. In einer Eisenbahnzeitschrift wurden hingegen die Jahre 1938 und 1942 genannt (Quelle vermutlich Reiner Scheffler). Nun begann eine große Fragerunde: Die Rittersgrüner versuchten an ihrem Museumsexponat eine Jahreszahl zu finden – vergeblich. Ein Fabrikschild ist nicht mehr vorhanden. Jens Merte „half“ mit der Aussage, daß nach seinen Erfahrungen die in den von ihm und seinen Freunden abgeschriebenen Lieferverzeichnissen Abweichungen von ein bis drei Jahre „im grünen Bereich“ liegen. Kilian Kindelberger, der im „Eisenbahn-Kurier“ 7/2005 einen umfangreichen Beitrag über die Kemmlitzer Werkloks veröffentlicht hat, nennt die Jahre 1936 (Lok 1) und 1939 (Lok 2). Jetzt ist guter Rat teuer – welche Angaben treffen zu? Die von Merte genannten offiziellen – also 1935 für Lok 1 und 1936 für Lok 2? Das Jung-Lieferverzeichnis erscheint glaubwürdig – kann aber auch fehlerhaft sein. Deshalb: Wer dabei helfen kann, die tatsächlichen Baujahre der beiden Jungloks zu ermitteln, möge sich bitte bei der PK-Redaktion melden.
30.01.2007