Fahrzeuge im Porträt
Der interessante Wagenkastenfund: Personenwagen der Weimar-Rastenberger Eisenbahn
Alle Wagenkästen, die bisher im Preß´-Kurier unter dieser Rubrik vorgestellt wurden, stammten von Strecken, die im Zuge der so genannten „Rationalisierung“ zu (D-)DR-Zeiten stillgelegt worden sind. Der im Folgenden beschriebene Kasten stellt insofern eine Rarität dar, weil er einerseits von einer Eisenbahn stammt, die 1946 als Reparationsleistung für die Sowjetunion abgebaut wurde, und er anderseits mit 119 Jahren – neben den Wagen der noch in Betrieb befindlichen Chiemseebahn in Bayern – zu den ältesten erhaltenen Meterspurwagen in Deutschland zählt.
I. Vorbemerkung
Im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach gründete sich am 29. März 1886 eine Aktiengesellschaft mit dem Namen „Weimar-Rastenberger Eisenbahn-Gesellschaft“, die sich nach Erteilung der Konzession am 1. April 1886 für den Bau und den Betrieb einer meterspurigen „Secundairbahn“ (keine Kleinbahn!) von Weimar nach Rastenberg mit Abzweig von Buttelstedt nach Großrudestedt verantwortlich zeigte. Bereits am 25. Juni 1887 wurde die – im Folgenden als WRE bezeichnete – Schmalspurbahn feierlich eröffnet, am 26. Juni der öffentliche Personen- und am 29. August der Güterverkehr aufgenommen. Zum Einsatz kamen neben fünf Cn2t-Lokomotiven aus der Sächsischen Maschinenfabrik vormals Richard Hartmann Chemnitz auch 15 Personenwagen, fünf Gepäck-/Postwagen und 68 Güterwagen – allesamt zweiachsig und gebaut von der Breslauer Aktiengesellschaft für Eisenbahn-Wagenbau.
II. Technische Daten
Die recht kleinen Sitzwagen hatten bei einem sehr kurzen Radstand von 2,30 m nur eine LüP von 6300 mm. Der Wagenkasten war 4270 mm lang und 2100 mm breit, er besaß ab Werk eine Blechverkleidung. Auf jeder Längsseite waren drei Doppelfenster angeordnet. Ausgerüstet mit Ofenheizung, bot ein Wagen 17 Personen Platz. Die II.- und III.-Klasse-Abteile waren durch eine Scheidewand getrennt. Wie viele von den 15 Personenwagen ursprünglich mit II./III.-Klasse-Abteil ausgerüstet waren, kann nicht gesagt werden, später liefen alle als Wagen III. Klasse. Der Einstieg erfolgte über zwei offene Bühnen. Heberleinbremse und Trichterkupplung waren nicht nur in Sachsen, sondern auch bei dieser Bahnlinie anzutreffen.
III. Betriebseinsatz
Der Wagen Nummer 6 gehörte zur Erstausstattung der Bahn (1887) und war vermutlich bis in die dreißiger Jahre im Einsatz. 1891 wurde eine kurze Verbindungsstrecke von Mannstedt nach Buttstädt eröffnet, die mit dem Bau der Regelspurstrecke Rastenberg – Buttstädt 1910 wieder eingestellt und abgebaut wurde. Wie erwähnt, hatte zunächst die Weimar-Rastenberger Eisenbahn-Gesellschaft (WREG) die Betriebsführung inne. Die Wirtschaftlichkeit der Bahn lag jedoch sowohl im Reise- als auch im Güterverkehr weit unter den Erwartungen, so daß sich die Verluste bis 1896 auf 70000 Reichsmark summierten. Das veranlaßte die WREG, 1897 der Centralverwaltung (CV) für Secundärbahnen Herrmann Bachstein in Berlin die vorläufige Betriebsführung zu übertragen. 1898 erwarb Bachstein schließlich die Bahn. Beispielsweise gehörte auch die Südharzeisenbahn zu seinem Unternehmen. Mit dieser kam es später mehrmals zum Tausch einzelner Fahrzeuge. Eine Rentabilitätserhöhung der WRE gelang jedoch auch Bachstein nicht. 1923 kam es zur Einstellung der Teilstrecke Buttelstedt – Mannstedt – Rastenberg, so daß nur noch die Linie Weimar – Buttelstedt – Großrudestedt in Betrieb war. Im selben Jahr wurden alle thüringischen Bachsteinbahnen in der „Thüringischen Eisenbahn-Aktien-Gesellschaft“ (THEAG) – einem Tochterunternehmen der CV – zusammengefaßt. 1945 war der Bahnbetrieb infolge des Krieges und auch danach längere Zeit eingestellt, wurde aber nochmals aufgenommen! Allerdings fuhr am 9. April 1946 der endgültig letzte Personenzug, denn die Bahn ereilte ein Schicksal, welches sie mit vielen anderen – auch sächsischen – teilen mußte: Sie wurde als Reparationsleistung für die damalige Sowjetunion abgebaut und das gesamte Material (auch alle Fahrzeuge) dorthin verbracht. Ein Einsatznachweis in der UdSSR konnte (bisher) nicht erbracht werden!
IV. Verbleib
Der Wagen(kasten) WRE 6 verblieb in Deutschland, er wurde bereits in den dreißiger Jahren ausgemustert und am Bahnhof Sachsenhausen-Leuthenthal (Strecke Weimar – Buttelstedt) als Lager genutzt. Später wurde er privat an einen Eisenbahner vergeben, der ihn in sein Grundstück umsetzte. Hier diente er u. a. als Bienenwagen, zuletzt jedoch nur noch als Lagerschuppen. Der IG Hirzbergbahn e. V. in Georgenthal gelang es, den wertvollen Kasten zu erwerben. Am 21. April 2006 erfolgte mit tatkräftiger Unterstützung von Freunden der IG Wagen die Überführung zum Standort des Vereins nach Georgenthal. Hier entsteht auch das Thüringer Schmalspurmuseum, wofür allerdings noch viel Arbeit ansteht und viele finanzielle Hürden zu überwinden sind. Wichtig ist zunächst, daß ein weiteres Relikt Thüringer Bahngeschichte gerettet werden konnte! Weitere Informationen gibt es unter www. hirzbergbahn.de oder www.weimar-rastenberger-kleinbahn.de.
28.07.2006